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Das bekannte Grauen

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Die Bedrohung im Horrorfilm besteht zumeist aus dem Unheimlichen, Unbekannten, oft auch Übernatürlichen. Als bester Genrevertreter der jüngeren Zeit wird seit seiner Premiere auf dem Sundance Film Festival 2017 jedoch ein Werk bezeichnet, das sich bei aller Verrücktheit im Laufe seines Plots einer leider allzu bekannten Gefahr widmet: dem Rassismus.

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Get Out
Szene aus "Get Out"

Get Out von Jordan Peele versteht es bereits in seiner Eröffnungssequenz, mit Denk- und Darstellungsklischees der Gruselfiktion zu spielen. Wenn wir hier einen jungen Schwarzen in einer vornehmen, suburbanen Gegend der USA sehen, der sich in der nächtlichen Stille verlaufen hat, müssen wir schnell begreifen, dass wir um Leib und Leben dieser Figur ebenso bangen müssen, wie wir es sonst um das Wohlergehen von (in den Hauptrollen üblicherweise weißen) Teenagern tun sollen, die durch einen wrong turn an mordlustige Hillbillys geraten oder in einer Hütte im Wald mit tanzenden Teufeln konfrontiert werden.

Das Szenario lässt an den Todesfall des 17-jährigen Afroamerikaners Trayvon Martin denken, der im Februar 2012 in Sanford/Florida von einem Mitglied der Nachbarschaftswache in einem geschlossenen Wohnkomplex erschossen wurde – weil er in seinem Kapuzenpullover auf den Wachmann wirkte, als sei er „up to no good“. Besagter Wachmann, der wegen „second degree murder“ angeklagt wurde, wurde später freigesprochen.

In seiner Haupthandlung erzählt Get Out in einer Mischung aus Satire und Horror von dem jungen Fotografen Chris (Daniel Kaluuya), der zum ersten Mal die Familie seiner Freundin Rose (Allison Williams) kennenlernen soll. Chris‘ Frage, ob Rose schon erwähnt habe, dass er schwarz ist, verneint diese – versichert aber, dass dies wirklich überhaupt kein Thema sei. In einem schlechten Film würden sich Rose‘ Eltern als rasch offensichtliches Xenophobie-Duo erweisen, wodurch wir uns als Zuschauer_innen mit keinerlei Herausforderungen auseinandersetzen müssten. Ein Beispiel dieser plumpen Vorgehensweise ist Garry Marshalls RomCom Mother’s Day, in welcher das intolerante Elternpaar als Knallchargen inszeniert wird, sodass wir keine Sekunde ernsthaft über die verschiedenen Ebenen von Rassismus nachzudenken brauchen. Get Out ist allerdings wesentlich ambitionierter; es sei ein Film über den Mangel an Erkenntnis, dass Rassismus existiere, sagt Peele in einem Interview mit der New York Times.

Get Out
Bild aus Get Out; Copyright: Universal Pictures International Germany

 

Roses wohlhabende Eltern Missy und Dean (Catherine Keener und Bradley Whitford) empfangen Chris auf ihrem Anwesen mit offenen Armen; der Neurochirurg Dean lässt seinen potenziellen Schwiegersohn in spe gleich wissen, dass er Barack Obama gern noch ein drittes Mal zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt hätte. Roses Bruder Jeremy (Caleb Landry Jones) zeigt indes eine seltsame Bewunderung für Chris‘ Physis.

Ehe sich Get Out in äußerst wilde und wendungsreiche Splatter-Gefilde begibt, wird die Spannung (und gelegentlich auch der Humor) vor allem aus einer stetigen Irritation erzeugt. Ist diese oder jene Äußerung nicht ziemlich rassistisch? Ist sie es bewusst oder völlig unbewusst? Was hat dieser oder jener Blick zu bedeuten? Und was hat es eigentlich mit den zwei schwarzen Hausangestellten auf sich, die sich höchst merkwürdig verhalten? Im Stil der Geschichten von Ira Levin (Rosemaries Baby) bleibt zunächst in der Schwebe, ob die Hauptfigur unter Paranoia leidet oder ob sie tatsächlich in Gefahr schwebt. Der Horror liegt in diesen Momenten im Uneindeutigen, in den Nuancen, aber auch in der Frage, wie man mit Alltagsdiskriminierung und einer fehlenden awareness seines Umfeldes umgehen soll.

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Trailer zu Get Out

 

Einen solchen Einbruch des Real-Beklemmenden ins Fantastisch-Erschreckende (oder umgekehrt) gab es bereits in George A. Romeros Die Nacht der lebenden Toten (1968). Es sei ihm nie in den Sinn gekommen, dass er engagiert worden sei, weil er schwarz ist; sehr wohl in den Sinn gekommen sei ihm aber, dass die Tatsache, dass er schwarz ist, dem Film eine andere historische Komponente geben würde, meinte Duane Jones, der den Helden in Romeros Low-Budget-Arbeit verkörpert.

Auch Romero äußerte in einem Interview mit dem Telegraph, dass das „racial statement“ gar nicht intendiert war. Doch dass ein Schwarzer von einem Mob weißer Zombies gejagt wird (während sich etwa durch Jacques Tourneurs Ich folgte einem Zombie aus dem Jahr 1943 die Bildtradition des schwarzen Zombies etabliert hatte) und dass der Mann letztlich von der Polizei erschossen wird, verleiht dem Film aus dem geschichtsträchtigen Jahr 1968, in welchem Martin Luther King jr. bei einem Attentat getötet wurde, ganz klar eine politische Dimension.

Die Nacht der lebenden Toten
Bild aus Die Nacht der lebenden Toten; Copyright: Splendid Film

 

Man findet besagte Einbrüche aber nicht nur in Festival-Lieblingen oder in kanonisierten Werken der Kinohistorie, sondern manchmal auch in durchaus reizvoller Form an höchst unerwarteter Stelle – etwa in dem übersinnlichen Direct-to-DVD-Slasher Bedeviled des Regie- und Drehbuch-Duos Abel und Burlee Vang. Darin geht es um eine sprechende App namens Mr. Bedevil, welche sich als eine Art Bogeyman des Smartphone-Zeitalters entpuppt. Zum größten Teil ist dieser Film genau die Teenager-Horror-Durchschnittsware, nach der die Prämisse klingt. Mr. Bedevil, der als Mann mit roter Fliege und sehr fiesem Grinsen eine Freddy-Krueger-ähnliche Gestalt annimmt, macht sich die individuellen Phobien seiner adoleszenten User zunutze, um diese in den Tod zu treiben – was überwiegend zu müdem Geisterbahn-Grusel und etlichen jump scares führt: Der coole Athlet fürchtet sich vor Clowns, die zickige Freundin der Protagonistin fühlt sich von einem mörderischen Teddybären verfolgt – und so weiter.

Interessanter ist das Trauma des asiatischstämmigen Dan (Brandon Soo Hoo), da es mit dessen kultureller Herkunft verknüpft ist: Ihn ängstigt eine verstorbene Verwandte aus dem Dorf seiner Eltern – und somit ein Teil seiner Identität, der ihm als Highschool-Schüler in einer typischen US-Vorstadt völlig fremd ist und doch unbestreitbar zu ihm gehört. Bedeviled ist in der Ausgestaltung dieses Strangs allerdings nicht differenziert genug, um in Wort und/oder Bild wirklich etwas über das Empfinden und die möglichen Konflikte von Menschen mit Migrationshintergrund auszusagen. Intensiver sind indes die Passagen, die sich mit dem afroamerikanischen Jugendlichen Cody (Mitchell Edwards) befassen, welcher sich seiner nachvollziehbaren Angst vor einer xenophoben Gesellschaft, verkörpert von misstrauisch und abschätzig dreinblickenden Weißen, sowie vor willkürlicher Polizeigewalt ausgesetzt sieht. Rassismus sowie Machtmissbrauch und nicht zuletzt deren Kombination sind das bekannte und derzeit leider allzu präsente Grauen, das – anders als zum Beispiel ein garstiger Teddy – auch ohne einen Mr. Bedevil für zahlreiche Personen eine (Lebens-)Bedrohung bedeutet. Im Film der Vangs ist Codys Kampf nur einer von vielen; er hinterlässt aber ohne Zweifel den tiefsten Eindruck.

Bedeviled
Bild aus Bedeviled; Copyright: Ascot Elite Entertainment Group

 

Auffällig ist in Bezug auf die Verbindung von Horror und dem Thema „Rassismus“ noch, dass ein historisches Drama wie The Birth of a Nation von Nate Parker in Teilen wie ein Horrorfilm in Szene gesetzt ist: In der auf Tatsachen basierenden Geschichte des Afroamerikaners Nat, der seit seiner Kindheit zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf einer Plantage in Virginia als Sklave lebt und zum Anführer eines kurzen Aufstandes gegen die bestehenden Verhältnisse wird, kommt einem Sklavenjäger eine Schlüsselrolle zu, die in ihrer Diabolie an die Funktion eines zu bezwingenden Filmmonsters gemahnt. Gespielt wird diese Figur von Jackie Earle Haley, der auch als Freddy Krueger in A Nightmare on Elm Street (2010), dem Remake des Wes-Craven-Werks, auftrat.

Die Stilisierung des Antagonisten ins Monströse zählt jedoch zu den Schwächen von The Birth of a Nation; auch hier ist es das Alltägliche, vermeintlich Nebensächlich-Kleine, das die größere Wirkung erzielt, zum Beispiel ein Satz wie „These books are for white folks“ oder die Beobachtung von einer bereits im Kindesalter verinnerlichten Machtstruktur.

Die Gefahren, die wir alle sehen oder sehen sollten, die wir (mit) verursachen und die einige von uns ständig spüren müssen – sie sind beängstigender als die Fantasiegestalten, die nur im Kinodunkel lauern.

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