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Daniel Radcliffe – Nie wieder Kind

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

Die meisten Menschen hassen niemanden intensiver als die Person, die sie bis vor kurzem noch selbst gewesen sind. In Horns wird Daniel Radcliffe zum Dämon, zu einer Art Voldemort, um Harry Potter zu töten. Das ist nicht Teil der Handlung von Alexandre Ajas Fantasy-Horrorfilm, der eigentlich die Leiden des jungen Ig schildert, dem der Mord an seiner eigenen Freundin zur Last gelegt wird. Aber das macht es nicht weniger wahr. Radcliffe gehört einer Generation von jungen Schauspielern an, die vor allem eines verbindet: Der Kampf gegen die eigene Adoleszenz. Sie führen ihn nicht allein.

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Filmstill aus "Horns"
Filmstill aus "Horns"

Der Fall des Kinderstars ist immer ein besonderer: Viele von ihnen friert das öffentliche Auge ein, gerade in der Phase des Lebens, in der sie sich am meisten verändern. Jahrzehnte später tauchen sie dann in der Boulevardpresse auf, wo die Vergänglichkeit ihrer Jugend spöttisch kommentiert wird. Die Schaulust am Scheitern der einstigen Jugendidole bestimmt etliche Texte und vor allem Bildstrecken mit dem immer gleichen „Wo sind sie jetzt?“-Narrativ.

Zuletzt hat es Jake Lloyd getroffen, den unglücklichen Anakin-Skywalker-Darsteller aus Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung. Nach einer Verhaftung wegen gefährlichen Verhaltens im Straßenverkehr vermengte sich im Netz die Ablehnung für die Star Wars-Prequels mit den jüngsten Ereignissen. Das Bild der ungeliebten zehnjährigen Nervensäge und das Fahndungsfoto verschmolzen zu einer vielfach verspotteten Karikatur. Es ist die Logik des Vorher/Nachher-Bilds. Oft scheint es, als trügen Kinderstars die alleinige Schuld am Vergehen der Zeit, weil sie diese so offenkundig sichtbar machen. Wie jeder in Hollywood werden sie ihrem Publikum ein Gradmesser für das eigene Altern. 

Für die Hauptdarsteller der Harry Potter-Filme gilt das natürlich auch, und doch stellen sie eine Ausnahmeerscheinung dar. Für die jüngere Vergangenheit war es ein Präzedenzfall: Die Vorlagen von Joanne K. Rowling erzählen zwar eine Fantasy-Geschichte, im Kern ist die Buchreihe jedoch ein siebenteiliger Bildungsroman. Harry, Hermine und Ron kämpfen im gleichen Maße mit den Fallstricken der Pubertät wie mit dem finsteren Lord Voldemort. Alle Zauberer und Fabelwesen können nicht verschleiern, dass es in Wahrheit um das Erwachsenwerden geht. Darum, einen Platz in der Welt zu finden.

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Die Verwandlung der Harry Potter-Darsteller

 

„Jeder Film ist ein Dokumentarfilm über seine Schauspieler“, wird Jean-Luc Godard zitiert. Und so zieht sich durch alle Zauberer-Abenteuer, trotz wechselnder Regisseure, immer neuer Ästhetik und ausgetauschten Darstellern, ein roter Faden. Eine kuriose Dublette von Kino und Realität, ein reziproker Austausch von Rolle und Leben. Denn Aufwachsen mussten Emma Watson, Rupert Grint, Daniel Radcliffe und ihre Leinwandbegleiter auch hinter der Kamera. Die Pubertät macht jeden zum Schauspieler. Sie ist eine Metamorphose, eine lang währende Suche nach Identität. Was Richard Linklaters Boyhood üppige Lorbeeren einbrachte – die Bebilderung des Heranwachsens, das Konservieren von Zeit in kleinen Slice of Life-Sequenzen – geschah hier ganz nebenbei. Populäre Jugendbuch-Adaptionen von Harry Potter und Twilight, über die Tribute von Panem bis hin zu Die Bestimmung und Maze Runner kreieren eine neue Form des Kinder- und Jugendstars, den es vorher höchstens im Fernsehen zu sehen gab.

Die Tendenz zum Franchise beseitigt das sprunghafte Bild des Alterungsprozesses und erlaubt es Darstellern und den Fans der jeweiligen Serie, miteinander zu wachsen. Gesehen und gelesen werden die im englischen Sprachraum oft mit dem Label Young Adult bedachten Geschichten von nahezu jeder Altersklasse. Umfragen haben sogar ergeben, dass es vor allem Erwachsene sind, die sich den oft sehr zugänglichen Abenteuerwelten zuwenden.

Nun ist das gemeinsame Nebeneinander zwischen Figur und Mensch zeitlich begrenzt. Ein Jahrzehnt verging zwischen Beginn und Finale der Harry Potter-Filme, doch auch wenn in der Zukunft Spin-Offs drohen – Daniel Radcliffe wird wahrscheinlich nie wieder Harry Potter im Kino sein. Und doch – jedes Interview mit dem mittlerweile sechsundzwanzigjährigen Briten handelt von eben dieser Figur. Auf die Frage, ob er nicht Angst habe, „der Kerl, der einst mal Harry Potter war“ zu werden, antwortet er: „[…]das könnte passieren, wer weiß das schon. Aber ich denke nicht, dass ich mir von diesem Gedanken vorschreiben lasse, wie ich mein Leben lebe und welche Entscheidungen ich treffe.“

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Trailer zu Die Frau in Schwarz

 

Die Filmprojekte, die er wählt, sprechen eine andere Sprache: Schon der Titel des Beatpoeten-Dramas Kill Your Darlings – Junge Wilde ist bezeichnend. Genau wie seine Kollegen Emma Watson, Rupert Grint, Kristen Stewart und Robert Pattinson stürzt er sich vor allem in Rollen, denen nichts Kindliches anhaftet. Rollen, die düster, ernst und erwachsen wirken. Horns etwa basiert auf einer Vorlage von Joe Hill, seines Zeichens Sohn von Stephen King und beseelt von dem Wunsch, aus dem Schatten des Vaters zu treten. Umgesetzt von Alexandre Aja, einem Vertreter der neuen französischen Härte, bietet der Film stellenweise groteske Gewaltspitzen und suhlt sich geradezu in seinen Tabubrüchen und Anrüchigkeiten. Weniger blutrünstig, aber ähnlich düster geht es in dem Horrorfilm Die Frau in Schwarz zu. In der Serie A Young Doctor’s Notebook wird Radcliffe die deutlich gealterte Version seiner selbst gleich in physischer Form zur Seite gestellt, in Form von Jon Hamm, besser bekannt als anzugtragendes Alphamännchen Don Draper aus Mad Men. Deutlich wird: Eine gänzlich andere Daseinsform ist fast ein Automatismus, das neue Ich steht längst bereit.

Darüber hinaus lockte Radcliffe die Seriosität von Bühnenstücken. In einer Inszenierung von Peter Shaffers Psychoanalyse-Dramas Equus zeigt er sich nackt. Was für weibliche Stars den unwiderruflichen Verlust der Unschuld in der Öffentlichkeit darstellt, wirkt bei ihren männlichen Kollegen nicht im gleichen Maße. (In dieser Hinsicht versteht der junge Schauspieler seinen Status fast als Privileg. Emma Watson etwa – so erklärt er nach ihrer Rede vor den Vereinten Nationen, bei der sie die Bedeutung des Feminismus für sich selbst und Frauen in aller Welt betonte – wurde durch die wiederholte Sexualisierung durch Männer förmlich in eine Erwachsenenrolle gezwungen.) Viele von Radcliffes Rollen — etwa auch im Agenten-Thriller Imperium, im Horrorstreifen Victor Frankenstein und in der Fortsetzung Die Unfassbaren 2 — sind eher Simulationen von Reife – biedere Düsternis, im Kern jugendliche Explizität.

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Trailer zu Horns

 

In ihrem Konflikt mit dem eigenen Image bilden die neuen Young Adult-Stars einen gewichtigen Aspekt des Selbstverständnisses der zu Millennials erklärten Generation ab: Ihnen wird vorgeworfen, sie lebten in einem Zustand ewiger Adoleszenz. Ein endloser Schwall von Selbstfindungs-Komödien erzählt von entwicklungsgehemmten Männern und Frauen. Schauspieler haben immer eine Vorbildfunktion: Ihre langsam verbleichenden Poster in nunmehr leeren Jugendzimmern auf der ganzen Welt sind gewichtige Symbole. Sicher entscheiden Radcliffes zukünftige Karriere und seine Akzeptanz als ernstzunehmender Darsteller nicht darüber, ob Urteile über die Generation Y gerecht waren oder nicht. Letztendlich liegt nur bedingt in seiner Macht, ob er sich schließlich von seiner Vergangenheit lösen kann oder ewig Harry Potter bleibt. Radcliffe ist lediglich ein einzelner Tupfer eines pointilistischen Generationenporträts, das viele zeichnen. Und nirgendwo wird die Magie des Wandels so deutlich wie im Kino.

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