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Blumen der Revolution - Das Kino Nordkoreas

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Die Demokratische Volksrepublik Korea ist der abgeschottetste Staat der Welt. Das Internet ermöglicht es dennoch, den Vorhang ein wenig zu lüften. Was verrät uns das nordkoreanische Kino über sein Land?

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Das Blumenmädchen
Das Blumenmädchen

Als Xiaonan (Liu Dong) zum ersten Mal mit dem Taxi durch Pjöngjang fährt, gehen ihr regelrecht die Augen über. Das Fahrzeug passiert alle wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt: Das Monument zur Gründung der Partei der Arbeit Koreas, den Juche Tower, den Triumphbogen und den Kim-Il-Sung-Platz. Staunend wie ein Kind schaut sie zu den Bauwerken auf, zu der Stadt und ihren Bewohnern, die in den kommenden Tagen ihr ganzes Leben verändern werden.

Die Szene von Xiaonans Ankunft in Pjöngjang ähnelt so ziemlich jedem Film, in dem je ein Tourist an seinem Zielort angekommen ist: Der erwartungsvolle Blick, die beeindruckenden Stadtansichten. Nur die Silhouette von Pjöngjang ist eben eher selten zu sehen. Und vor Ort war dort ohnehin kaum jemand. 61 Jahre nach ihrer Proklamation ist die Demokratische Volksrepublik Korea der abgeschottetste Staat der Welt und dementsprechend sind auch Informationen über seine Filmwirtschaft rar gesät. Alle zwei Jahre findet in der Hauptstadt ein internationales Filmfestival statt, auf dem unter anderem deutsche Sat.1-Produktionen im Wettbewerb laufen.

Nordkoreanische Zeichner des staatlichen Trickfilmstudios sind häufig an internationalen Animationsfilmen beteiligt. Gerüchteweise sind Zeichnungen aus der Kinderserie Lauras Stern und sogar von Disneys König der Löwen in Nordkorea entstanden (der Kanadier Guy Delisle gibt darüber in seinem schönen autobiografischen Comic Pjöngjang selbstironisch Auskunft). Aber dann versiegt das Allgemeinwissen zum nordkoreanischem Film auch schon. Selbst über das Produktionsvolumen gibt es nur Spekulationen. Seit dem Wegfall finanzieller Unterstützung durch die Sowjetunion in den 1990er Jahren gilt es als wahrscheinlich, dass in Nordkorea nur um die fünf Filme pro Jahr entstehen, genaue Informationen gibt es jedoch nicht.

Zugleich ermöglicht es aber das Internet doch ein wenig in diese fremde Welt vorzustoßen. Das ist ein zwiespältiges Vergnügen: Denn einerseits reißt man bei der Sichtung nordkoreanischer Filme häufig ebenso ungläubig die Augen auf wie Xiaonan. Andererseits gilt es dabei ständig mitzudenken, dass man als durchschnittlich gebildeter Mitteleuropäer kaum je alle Implikationen, Botschaften und potentiellen Subversionen dieses so speziellen Kinos durchschauen kann.

 

Ein Tanz für die Einheit

Meet in Pyongyang (2012) von Xierzhati Yahefu und Kim Hyong-chol ist die erste Koproduktion zwischen China und Nordkorea, ein Drama über eine aufstrebende chinesische Tänzerin, deren Bewegungen es am gewissen Etwas fehlt — bis sie im Rahmen eines Austauschprogramms nach Pjöngjang kommt, um dort von einer einheimischen Kollegin (Jin Yulin) in die Geheimnisse des nordkoreanischen Volkstanzes eingeweiht zu werden. Der Film spielt während der Vorbereitungen zum Arirang, dem bekannten nordkoreanischen Massentanz, für den Kinder, Jugendliche und Arbeiter monatelang proben. In Meet in Pyongyang sollen diese Proben einmal wegen eines Wetterumschwungs abgebrochen werden, damit die Kinder nicht krank werden. Doch diese weigern sich einstimmig den Platz zu verlassen.

Meet in Pyongyang von Xierzhati Yahetu und Kim Hyong-chol (c) Henan Film
„Meet in Pyongyang“ von Xierzhati Yahetu und Kim Hyong-chol (c) Henan Film

Später erfährt der Zuschauer gemeinsam mit Xiaonan von der Bedeutung des Arirang: Tausende Tänzer stehen dabei im Stadion Erster Mai, doch man könne auch sagen, es sei nur ein Tänzer. Denn der Tanz gehöre nicht dem Tänzer allein, man tanze für seine Nation, in ständiger Hoffnung auf die baldige Einheit. Man mag darin sofort die Propaganda sehen, tatsächlich ist Meet in Pyongyang aber überhaupt kein typischer nordkoreanischer Film. Und das nicht nur wegen seiner verhältnismäßig hohen production values, sondern allein schon, weil sich darin die Hauptfiguren zum Abschied umarmen.

 

Immer auf Abstand

Nordkoreanische Filme sind alles andere als Körperkino. Im Gegenteil, es ist ein geradezu asexuelles Kino. Es gibt keine Küsse, keine Umarmungen zwischen Figuren, kaum einmal überhaupt eine Berührung, wenn sie nicht gerade zwischen Eltern und ihren Kindern stattfindet. An Nacktheit oder auch nur entsprechende Suggestionen ist überhaupt nicht zu denken. Lediglich in O Youth! (1995), einer der wenigen nordkoreanischen Komödien von Jon Jong-pal, erschrickt eine junge Frau vor einem Gewitterblitz und fällt daraufhin ihrem Verehrer in die Arme, besinnt sich jedoch nach etwa einer halben Sekunde ob ihrer Schandtat und rennt peinlich berührt davon.

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Generell bleibt die Kamera meist auf Abstand zu den Figuren. Kaum einmal gibt es Detailaufnahmen oder Tempo und die wenigen action-ähnlichen Szenen dicken häufig durch Zeitlupen ein. Zum Beispiel im Drama A Schoolgirl’s Diary (2007) von Jang In-hak, in dem ein Schulmädchen Verständnis für seinen Vater entwickeln muss, der als Wissenschaftler im Einsatz für sein Land so gut wie nie nach Hause kommt. Zu Beginn des Films löscht ihre Familie nur mit Mühe die Stichflamme aus einer kaputten Steckdose und später gibt es ein Wettrennen zwischen zwei Schulkameradinnen — alles auf Abstand zu den Figuren und in Zeitlupe gedreht.

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Obwohl Genrefilme im nordkoreanischen Kino eher eine Seltenheit sind, gehören zu vielen der Filme Standardszenen, die in ihrer Inszenierung inklusive lauschiger Sonnenuntergangsstimmung auch schwülstigen Liebesdramen entsprungen sein könnten. Nur projizieren die Figuren in diesen Momenten all ihre Emotionen statt auf ihr Gegenüber auf den „Lieben Führer“ Kim Jong-Il. In O Youth! soll der älteste Sohn einer Familie sich verheiraten und verliebt sich auch tatsächlich in eine junge Frau, von der er glaubt, sie sticke beruflich. Tatsächlich aber ist sie professionelle Taekwondoin mit Aussicht auf eine Goldmedaille. Auf einer Terrasse vor dem roten Glühen der Dämmerung turtelt sie nicht mit ihrem Verehrer. Stattdessen erklärt sie ihm, und der Pathos bringt dabei ihre Stimme leicht zum Zittern, dass Sportler nicht ihrer Technik wegen erfolgreich seien, sondern weil ihnen die Ehre zuteil werde für den „lieben General“ zu kämpfen.

 

Pragmatisches Kino im Geiste der Revolution

Tatsächlich war es besonders Kim Jong-Il, der die Bedeutung des Kinos erkannte und 1973 seine theoretische Schrift On the Art of the Cinema veröffentlichte, in der er die Ideen der Juche-Ideologie auf das Kino anwandte. Er überwachte über die Jahrzehnte hinweg die Produktion zahlreicher Filme und beauftragte Ende der 1970er Jahre auch die Entführung des südkoreanischen Regisseurs Shin Sang-ok und seiner Exfrau, der Schauspielerin Choi Eun-hee. Nach Jahren in Lagerhaft heirateten die beiden auf den Druck Kims hin erneut und drehten sechs Filme für Nordkorea — der bekannte unter ihnen wohl Pulgasari (1985), ein Monsterfilm nach dem Vorbild der japanischen Godzilla-Reihe. Darin werden Bauern von einem tyrannischen König unterdrückt. Ein alter Schmied fertigt vor seinem Tod im Gefängnis noch eine kleine Figur aus Reis, die zum Leben erwacht, sich von Metall ernährt, schnell wächst und den Bauern bei der Rebellion gegen die Monarchie hilft.

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Pulgasari ist ein Paradebeispiel und Lehrstück in pragmatischem Filmemachen. Denn während die meisten Monsterfilmen in der Gegenwart spielen, wo mit Vorliebe die Wolkenkratzer hochmoderner Städte in Schutt und Asche gelegt werden, ist die nordkoreanische Version im 14. Jahrhundert angesiedelt. So konnte man sich nicht nur aufwändige und durchtechnisierte Settings sparen, sondern auch Figuren in den Mittelpunkt stellen, die sich hervorragend in die heimische Ideologie einpassen (wenn auch der Bruder der Heldin für ein westliches Publikum unverkennbar aussieht wie ein Rambo-Verschnitt): Einfache, hart arbeitende Bauern, die sich gemeinschaftlich gegen eine scheinbar übermächtige Kraft zur Wehr setzen.

Ein weiteres Prestigeprojekt war Das Blumenmädchen (1972) von Choe Ik-kyu und Pak Hak, der beim 18. Internationalen Filmfest in Karlovy Vary mit einem Sonderpreis ausgezeichnet wurde. In der Opernadaption (nach einer angeblich von Kim Il-sung selbst verfassten Oper) verkauft die 16-jährige Koppun (Hong Yong-hui) Blumen auf der Straße, um die Medizin ihrer kranken Mutter zu finanzieren. Verantwortlich für das vielfältige Elend ihrer Familie und ihrer Nachbarn sind die japanischen Kolonialherren. So schließt sich Koppun unter Aufbringung all ihrer Kräfte der antijapanischen Partisanenbewegung unter Kim Il-sung an und kämpft für die japanische Unabhängigkeit. Hong Yong-hui wurde dafür als „Volkskünstlerin“ gewürdigt und erlangte solche Beliebtheit, dass man sie in ihrer Rolle der Koppun auf einen nordkoreanischen Geldschein druckte.

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Tatsächlich ist es auch heute noch schwierig sich Koppuns Schicksal vom Leib zu halten, denn in seiner melodramatisch-manipulativen Inszenierung steht Das Blumenmädchen im Grunde Hollywood in nichts nach. Die Regisseure konterkarieren jede aufkeimende Hoffnung mit unendlichem Leid und bitteren Tränen, tauchen diese Affekte in rauschende Farben und expressive Schatten. Gelegentlich unterbrechen — daraus wurde in den folgenden Jahren ein beliebtes Mittel im Kino der DVRK — Lieder die Handlung, deren Texte die Situationen der Figuren und des Volkes in blumige Worte fassen: „Groß ist die Welt aber arme Mädchen können nirgendwo hin.“ Oder am Ende, mit neu gefasstem Mut: „In meinem Land von 3.000 Ri sähe ich den Samen der Revolutionsblume aus.“

 

Die Hassliebe zu Südkorea

Revolution und Krieg sind wiederkehrende, häufig nostalgisch verklärte und romantisierte Themen im Kino Nordkoreas. So etwa in Song of Retrospection (1986) von Ryu Ho-son. Im Film wird ein Komponist aus dem westlichen Ausland, der im Koreakrieg eine Sonate über den Sieg der Nato schreiben will, zum Kriegsgefangenen einer nordkoreanischen Soldatin und entscheidet sich infolge seiner Erfahrungen in dem Land um: Geläutert schreibt er eine Hymne auf den Sieg des nordkoreanischen Volkes. Song of Retrospection ist ein interessanter Fall, auch, weil sich die Figuren nach dem Krieg ein zweites Mal in Ostberlin treffen und zu diesem Anlass Archivaufnahmen von den dortigen 1951er Weltfestspielen der Jugend und Studenten mit nachträglichen Studioaufnahmen montiert werden. Besonders eindrücklich aber sind die Kriegsszenen: Die US-amerikanischen und südkoreanischen Soldaten werden durchweg als feige und hinterlistig dargestellt, sie flüchten bei der ersten Gelegenheit oder greifen aus dem Hinterhalt an. Währenddessen wird auf der nordkoreanischen Seite gemeinsam gegessen, gelacht und musiziert, selbst die Verwundeten mit blutigen Stofffetzen um den Kopf heben lachend ihr Glas und schunkeln im Takt.

"Song Of Retrospection" von Ryu Ho-son (c) Korean Video
„Song Of Retrospection“ von Ryu Ho-son (c) Korean Video

Ähnlich eindeutig sind die Seiten in The Other Side of the Mountain (2012) von Jang In-hak verteilt, der ersten offiziellen Koproduktion zwischen der DVRK und einer US-amerikanischen Firma, fertiggestellt über einen Zeitraum von sechs Jahren on location in Nordkorea mit einheimischen Darsteller_Innen und nie zuvor dort verwendetem Equipment (hier gibt es ein sehr lesenswertes Interview mit dem Autoren und Produzenten Joon Bai). In The Other Side of the Mountain gibt sich ein zurückgelassener südkoreanischer Soldat im Krieg als Nordkoreaner aus. Eine Krankenschwester erkennt sein Geheimnis, doch weil er sich reumütig und für die Lehren Kim Il-sungs empfänglich zeigt, versteckt und pflegt sie ihn.

Auch hier bleiben vor allem die Kriegsszenen in Erinnerung, im Gegensatz zu früheren Filmen fokussiert der Regisseur jedoch nicht ausschließlich auf den Zusammenhalt der einfachen Leute, sondern malt mithilfe tosender Bombeneinschläge, visueller Desorientierung und der Allgegenwart des Todes auch die Schrecken des Krieges und das Leid der nordkoreanischen Bevölkerung in kräftigen Farben. Demgegenüber stehen Szenen aus der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, in denen die Figuren geldgeil und ignorant gezeichnet werden. Folter im Gefängnis sind dort an der Tagesordnung und die Armee verübt ein grausames Massaker an der zivilen Bevölkerung.

Die Skepsis gegenüber Ausländern zieht sich nebenbei bemerkt aber auch durch nordkoreanische Filme, die sich nicht konkret mit dem Krieg oder politischen Themen beschäftigen. Bemerkenswert ist etwa eine kurze Einstellung in O Youth!, in der ein koreanischer Statist bei einer Sportveranstaltung durch eine lächerliche blonde Perücke und exaltierte Kleidung als Ausländer markiert ist. Das Verhältnis gegenüber dem Süden aber bleibt besonders ambivalent. Am Ende von The Other Side of the Mountain ist die Crew und das Darstellerensemble zu sehen. Zu Tränen gerührt singen sie gemeinsam ein Lied über den Wunsch zur Wiedervereinigung, dazu werden TV-Aufnahmen von Familien eingeblendet, die sich im Rahmen staatlicher Programme erstmals seit der koreanischen Teilung wieder begegnen.

"The Other Side of the Mountain" (2012) von Jang In-hak (c) Transwestern Pictures
„The Other Side of the Mountain“ (2012) von Jang In-hak (c) Transwestern Pictures

 

Ein Kino ohne Männer

Einer der offensichtlichsten nordkoreanischen Propagandafilme ist Myself in the Distant Future (1997) von Jang In-hak, gedreht während des sogenannten „beschwerlichen Marschs“, einer Hungersnot, der schätzungsweise bis zu dreieinhalb Millionen Nordkoreaner zum Opfer fielen. Im Film ist davon nichts zu sehen. Der Protagonist entstammt einem privilegierten Haushalt, seine Vorfahren sind Märtyrer und Helden der Arbeit. Er wohnt in einem Apartment in der Hauptstadt, ausgestattet mit einem Fernseher und einem Klavier und besucht mit seinen Freunden Restaurants, in denen es alles im Überfluss zu geben scheint. Später hilft er bei der Ernte sonnenbeschienener Felder, die in vollem Korn stehen, während Lieder über die Kameradschaft in der Partei ertönen. Aus heutiger Perspektive lässt sich Myself in the Distant Future wohl am ehesten als Durchhaltefilm beschreiben.

Dabei beginnt wieder einmal alles unter den Vorzeichen eines Liebesfilms: Der Protagonist verliebt sich in eine junge Frau aus einem Dorf im Norden des Landes und will sie zu sich nach Pjöngjang holen, wo das Leben komfortabler und abwechslungsreicher ist. Doch sie erkennt, dass er sich auf den Errungenschaften seiner Vorfahren ausruht und gibt ihm so lange einen Korb, bis er selbst den Wert harter Arbeit zum Wohle der Nation erkennt.

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Der Plot verweist schon auf die vielleicht gravierendste Gemeinsamkeit der nordkoreanischen Filme: Sein Mangel an männlichen Helden. Natürlich gibt es Männer in den Filmen. Doch in den wenigen Fällen, in denen sie einmal im Mittelpunkt der Handlung stehen, sind sie fehlgeleitet, faul oder leben in den Tag hinein und müssen erst von einer moralisch überlegenen Frau zu einem Leben im Sinne der Juche geführt werden: Der anfängliche Nichtsnutz aus Myself in the Distant Future, der ausländische Komponist aus Song of Retrospection, der heiratsunwillige Sohn aus O Youth! oder der desertierte südkoreanische Soldat aus The Other Side of the Mountain — sie alle stehen gefestigten, starken und opferbereiten weiblichen Heldinnen gegenüber.

Der Bauarbeiterin aus Myself in the Distant Future und der selbstlosen Krankenschwester aus The Other Side of the Mountain, der Bauerstochter aus Pulgasari und der jungen Revolutionärin aus Das Blumenmädchen. Der souverän uniformierten Leiterin einer Verkehrskontrollgruppe im Fernsehfilm A Traffic Controller on Crossroads (1986), die selbst noch dem notorischsten Raser erklärt, warum es für alle das Beste ist die Regeln zu befolgen. Der Soldatin aus Song of Retrospection, die ohne mit der Wimper zu zucken ihre Gegner erschießt und im nächsten Moment ihr Brot mit den Gefangenen teilt. Den patriotischen Sportlerinnen aus O Youth! (die gemäß der englischen Untertitelung als tomboys bezeichnet werden), der weisen Tänzerin aus Meet in Pyongyang und der Undercover-Agentin aus dem Spionagethriller Case Closed (2011, Chong Yong-min), die ihre gesellschaftliche Ächtung auf sich nimmt, um im Untergrund Staatsfeinde aufzuspüren.

Die wenigen ideologisch einwandfreien Männer des nordkoreanischen Kinos sterben früh, glänzen durch Abwesenheit wie der unentwegt arbeitende Vater in A Schoolgirl’s Diary oder sind onkelige Alte wie der bereits ergraute Vater in O Youth! — möglicherweise, um keine Projektionsfläche zu schaffen, die zur Konkurrenz für den „lieben Führer“ an der Staatsspitze werden könnten.

 

Ein Funken Subversion?

Auch den Figuren nordkoreanischer Filme mit Psychologie zu Leibe rücken zu wollen, führt nicht weit. Zumindest nach westlichen Maßstäben sind es keine tiefgründigen, ambivalenten Figuren mit individuellen Geschichten oder Persönlichkeitsmerkmalen. Ihr Dasein ist durch die Verhältnisse um sie bestimmt, charakterisiert werden sie fast ausschließlich durch ihre Arbeit, ihren Grad an Opferbereitschaft.

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Möglicherweise steckt aber doch gerade darin auch ein winziger Funken an Subversion — im vollem Bewusstsein darum, dass wir mit unserer mitteleuropäischen Prägung darüber nur spekulieren und projizieren können. Zu wenig wissen wir über die nordkoreanischen Filmemacher, über die genauen Produktionsbedingungen und die heimische Rezeption der Filme. Aber es fällt dennoch auf: Figuren ohne Eigenschaften laden nun einmal dazu ein in ihnen zu sehen, was man möchte. In O Youth! schließen die fünf Töchter der Familie mit ihrem Vater einen Pakt, um die Mutter und den heiratsfähigen Sohn davon zu überzeugen, eine weitere Sportlerin in der Familie aufzunehmen. Sie widersetzen sich der Mutter und hecken sogar einen Hinterhalt aus. Zwar immer im Sinne der Gerechtigkeit und zum Wohle der Nation — aber lehnen sie sich damit nicht dennoch gegen eine Autoritätsperson auf? Als „Diktator“ bezeichnet der Vater seine Frau einmal im Scherz.

In A Schoolgirl’s Diary werden immer wieder deutlich die alltäglichen Probleme der Familie in Abwesenheit des Vaters angesprochen: Das Haus ist dringend reparaturbedürftig, die ersehnte Wohnung im Pjöngjanger Plattenbau jedoch nicht ohne weiteres zu bekommen. Nicht zuletzt gibt es immer wieder Szenen in den Filmen, in denen die Figuren sichtbar ihr Gespräch weiterführen, während jedoch die anschwellende Musik ihre Worte übertönt. Häufig setzen die Regisseure dieses Stilmittel ein, wenn es zu menscheln beginnt, wenn etwa die Heldin aus Myself in the Distant Future schlussendlich doch noch auf den Antrag ihres geläuterten Verehrers eingeht. Und doch verweisen diese Momente mehr oder weniger direkt darauf, dass unter den Leuten Worte fallen und dabei Dinge sehr wohl ausgesprochen werden, die offiziell aber niemand hören und sagen darf.

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