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Berufswunsch: Unsichtbar? - Drehbuchautoren als Stars

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

Ein berühmter Drehbuchautor ist ein wandelndes Paradoxon. Hollywood verkauft eine bunte Fassade, eine moderne Version des Schachtürkens, deren menschliches Innenleben weitestgehend verneint wird, zugunsten magischer Mechanik und mechanischer Magie.

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Filmstill aus "Anomalisa" von Charlie Kaufman
Filmstill aus "Anomalisa" von Charlie Kaufman

Fahrgäste in einer Achterbahn denken nicht an den Ingenieur, sondern fiebern nur der nächsten Kurve entgegen. In der Regel soll die Wirkung einer Geschichte spürbar sein, nicht ihre Beschaffenheit. Drehbücher sind dann wie Mikrofongalgen oder Schnitte, deren Sichtbarkeit oft als Fehler gewertet wird. Unsichtbarkeit und Prominenz sind indes schwer miteinander zu vereinbaren, weil Stars vor allem Projektionsflächen sind. Sie werden durch ihre Präsenz definiert – Star ist, wer gesehen wird. In dieser Hinsicht gleicht Hollywood der Zauberwelt Oz, immerzu scheint es aus dem Off zu rufen: „Beachte nicht den Mann hinter dem Vorhang.“ Und doch gibt es sie: Filme schreibende Menschen mit klingendem Namen. Wie sind diese sichtbaren Berufsunsichtbaren zu erklären?

Die beste allgemeine Erklärung erhält man hier wohl durch Induktion, den Blick auf individuelle Fälle: Charlie Kaufman ist einer von ihnen. Mit dem Animationsdrama Anomalisa ist seine zweite Regiearbeit nun endlich auch in Deutschland erschienen. Es ist die Geschichte eines Mannes, der für etwas berühmt ist, das ansonsten selten ins Rampenlicht führt: Er schreibt Ratgeber für den Kundendienst. Bekannt geworden ist Kaufman jedoch nicht als Regisseur, sondern als Autor von Geschichten, bei denen er weder das letzte Wort noch das letzte Bild hatte – etwa die High-Concept-Dramen Vergiss mein nicht! und Being John Malkovich.

Auch Quentin Tarantino ist einer von ihnen, war jedoch von Beginn seiner Karriere an in der Doppelrolle Writer/Director bekannt. Trotzdem liegt ein substanzieller Teil seiner Stimme als Auteur in seinen Büchern: Niemand würde seine spürbare Mit-Autorenschaft an Filmen wie True Romance oder Natural Born Killers leugnen.

Dasselbe gilt auch für Aaron Sorkin, der mittlerweile – wie im Fall von Steve Jobs – sogar gleichwertig neben einem Regisseur wie Danny Boyle auf Plakaten auftaucht. Er steht für einen dritten Typ des populären Szenaristen: Obwohl er seine ersten Erfolge in Theater und Kino feierte (Eine Frage der Ehre), wurde er vor allem durch Serien wie Sports Night oder The West Wing – Im Zentrum der Macht bekannt. Traditionell wurde das Fernsehen als Autoren- und das Kino als Regie-Medium verstanden. Es erscheint also nur konsequent, dass sich im so genannten „Goldenen Zeitalter des Fernsehens“ schreibende Prominenz aus den Writers Rooms der Welt rekrutiert. Durch den gesellschaftlichen und kulturellen Bedeutungsgewinn der Serie müssten mehr und mehr Stars aus diesem Feld hervorgehen.

Zuletzt wären da noch die Romanciers und Literaten, die es nach Hollywood verschlägt. Sie bringen „fachfremde“ Prominenz mit und dienen Studios noch am ehesten als konkretes Verkaufsargument. Ihr vorhergehendes Werk macht sie zu Cross-Promotion in Personalunion, zur Brücke zu Fans des Stoffs und jenen, die Seiten gegenüber der Leinwand bevorzugen.

Wenn ein Cormac McCarthy für Ridley Scott The Counselor verfasst, dann erregt das durchaus Aufmerksamkeit. Auch Nick Hornbys Transformation vom Pop-Literaten zu einem popaffinen Drehbuchautor blieb nicht unbemerkt. Sein Script zu Brooklyn (basierend auf dem gleichnamigen Roman von Colm Tóibín, seit dem 21. Januar im Kino) ist als bestes adaptiertes Drehbuch für einen Academy Award nominiert. Auf einen Oscar kann auch Alex Garland hoffen, der über Romane wie Der Strand (später von Danny Boyle verfilmt) zuerst zum Scriptwriting kam und im vergangenen Jahr mit Ex Machina sein Regiedebüt vorlegte.

Sie stehen mit ihrer Arbeit in einer langen Tradition von Autoren, die in Hollywood nach etwas suchten, dass ihnen in ihrem ursprünglichen Betätigungsfeld fehlte – sei es die Liebe eines größeren Publikums oder schlicht und ergreifend finanzielle Sicherheit. Aldous Huxley, William Faulkner, Raymond Chandler, John Steinbeck und viele mehr entschieden sich für diesen Pfad.

Prominenter wurden sie dadurch selten. Auf die Liebe der kulturellen Elite durften sie für diesen Schritt in einer Zeit, in der die Frage, ob Filme überhaupt Kunst seien, noch stark umstritten war, ohnehin nicht hoffen. Keine der oben genannten ist primär als Drehbuchautor in Erinnerung geblieben.
Das liegt zum Teil an dem großen Erfolg ihrer Romane und Dramen, aber auch daran, dass der Beruf des Screenwriters als „unsichtbare Kunst“ oft auf faszinierende Weise als sekundäre Eigenschaft angesehen wird. Als Übergangszustand, den jeder, der etwas auf sich hält, bald hinter sich lässt. Eine zweite Liga, aus der man aufsteigen will. Man sieht es in den Geschichten, die über den Berufsstand geschrieben werden – die er über sich selbst schreibt: In Adaption positioniert Charlie Kaufman sich als schüchterne, unansehnliche Figur an den Rand der Dreharbeiten von Being John Malkovich, eine geisterhafte Erscheinung, die mit dem Geschehen wenig zu tun zu haben scheint. Barton Fink aus dem gleichnamigen Film der Coen-Brüder ist eine verschüchterte Gestalt, herumgeschubst und gelenkt von den Strukturen um ihn herum. Und Joe Gillis aus Boulevard der Dämmerung treibt gleich in der ersten Szene des Films tot in einem Swimmingpool. In der Villa der Diva Norma Desmond war er anfangs wenig mehr als geduldet, im Ansehen stand er irgendwo zwischen Butler Max und Desmonds dressiertem Schimpansen.

Adaption
Filmstill aus Adaption von Spike Jonze; Copyright: Sony Pictures Home Entertainment

 

Aufmerksamkeit begegnen diese fiktiven Schreiberlinge meist mit Irritation, Verunsicherung und taktischem Rückzug. Sie werden als introvertierte und introspektive Einzelgänger gezeichnet, stehen im Kontrast zu protzigen, an der Kunst kaum interessierten Studiobossen und egomanischen Schauspielern. Ihre Eigendarstellung hat oft etwas narzisstisches, diese Reflexionen sind gefangen zwischen Selbstzweifel und Minderwertigkeitskomplex auf der einen und einem Gefühl von intellektueller Überlegenheit auf der anderen Seite.

Die Rollenverteilung im Filmgeschäft ist heute oft eine mit weichgezeichneten Konturen und fließenden Übergängen, im Kino will und soll jeder alles können. Dem Universalgenie kommt natürlich immer und überall besondere Bewunderung zu, aber in kaum einer Kunstform rückt diese Figur so deutlich in den Vordergrund wie in dem Gemeinschaftsmedium Film. Das Spannungsfeld zwischen persönlicher Vision und der schon allein logistisch bedingten Notwendigkeit zur Kollaboration im Kino sorgt dafür, dass die meisten Protagonisten von Filmkunst und -industrie eine Vielzahl von Funktionen einnehmen. Ein Star wie George Clooney beispielsweise ist als Schauspieler, Regisseur, Produzent und Autor bekannt, singt aber auch gelegentlich mal ein Stück des Soundtracks (in O Brother, Where Art Thou? — Eine Mississippi-Odyssee). Dabei geben sich Darsteller in der Regel noch recht genügsam, während man bei Regisseuren oft eher fragen sollte, welche Rolle sie am Set noch nicht eingenommen haben.

Gerade die technischen Möglichkeiten der digitalen Ära haben dazu geführt, dass die allgemeine Tendenz zur Spezialisierung in der Filmbranche nicht im gleichen Maße gilt wie anderswo. Sie ist ein Versammlungsort für Generalisten, auch wenn sich in manchen Fällen die Frage aufdrängt, ob Stolz und Kontrollsucht über die Kraft der persönlichen Vision hinausgehen.

Man kann sich fragen: Werden Drehbuchautoren nur berühmt, wenn sie die Profession wechseln und andere Rollen annehmen – sind sie eigentlich auch Schauspieler, nur eben hinter der Kamera? Nur einer der vier oben angesprochenen „Typen“ von Star-Autoren ist vor allem als solcher bekannt: Aaron Sorkin, dem wie wenigen anderen die Fähigkeit zugeschrieben wird, durch Ton und Rhythmus der Sprache die erzählerische Beschaffenheit des Endprodukts zu bestimmen. Bis jetzt hat er – im Gegensatz zu Kollegen wie Tarantino und Kaufmann – noch nicht auf dem Regiestuhl Platz genommen.

Anomalisa
Filmstill aus Anomalisa von Charlie Kaufman; Copyright: Paramount Pictures Germany

 

Es ist, genau wie in der Literatur, natürlich die Sprache, die einen Autoren ausmacht. Das Gesagte mag einen Rahmen bieten, aber wie es gesagt wird, zeichnet das finale Bild. Deshalb sind schreibende Kinostars so selten: Das Publikum kann wenig mehr als ein Echo ihrer Arbeit erfahren. Es bedarf einer besonderen Art von Wahnsinn, um Lieder vorzutragen, wenn immer eine Mauer zwischen Sänger und den Zuhörern ist, vielleicht sogar sein muss.

Es gibt also Drehbuchautoren, die Stars sind, weil es Menschen gibt, die in ihrer geschriebenen Stimme eine besondere Klarheit haben. Die zeigen, dass Bonmots wie „Das Bild hat immer das letzte Wort.“ (Peter Greenaway) zwar wichtige Denkanstöße sind, aber auch zu reduktionistisch sein können. Kino, das beim Wort beginnt, ist Kino, genau wie solches, das beim Bild beginnt. (Man denke nur an George Millers bildgewaltigen modernen Klassiker Mad Max: Fury Road, der sein Leben als Storyboard-Panels begann.)

Film darf wie Jazz sein, wo das Nicht-Gespielte so wichtig wie das Gespielte ist, also das Erkennbare so wichtig wie das Verborgene. In Frank Baums Roman wird am Ende klar, dass der Zauberer von Oz eigentlich ein ganz gewöhnlicher Mann aus Omaha in Nebraska ist. Doch das macht sein Königreich nicht weniger magisch. Ganz im Gegenteil.

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