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Als sich der Western in den Osten aufmachte

Ein Beitrag von Paul Katzenberger

Mit Leichtigkeit wird heutzutage von „der deutschen Filmgeschichte“ gesprochen und dabei negiert, dass Deutschland lange Zeit geteilt war. Unsere Jahresserie „Ost/West“ sucht in der Differenz der zwei Staaten nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Filmgeschichte(n). In dieser Ausgabe im Mittelpunkt: der Western.

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Die Söhne der großen Bärin - Bild
Die Söhne der großen Bärin - Bild

Mit dem Genre-Kino tat sich die Kulturpolitik der DDR lange Zeit schwer, denn das Medium Film sollte die Menschen nicht in erster Linie unterhalten, sondern vielmehr im sozialistischen Sinne erziehen. Die westdeutschen Karl-May-Filme der 1960er Jahre, die im Osten nicht unbemerkt blieben, stellten für dieses Verständnis vom Bildungsauftrag der Kunst schließlich eine Herausforderung dar, denn die Figur „Karl May“ war für die Staatsführung der DDR in mehrfacher Hinsicht problematisch.

Die DEFA, das volkseigene Filmstudio der DDR, reagierte mit eigenen Indianerfilmen, die sich wegen des Genozids an den Native Americans politisch ausschlachten ließen und dabei auch noch den Mainstream ansprachen. Während das westdeutsche Publikum mit sehr eindimensionalen Hollywood-Westernhelden à la John Wayne und leichter Karl-May-Kost versorgt wurde, hatten die historisch genaueren DEFA-Western dem tatsächlich etwas entgegenzusetzen. 

Es war in den 1960er-Jahren, da merkte die Staatsmacht der DDR, dass sie ein Problem hatte. Auf der anderen Seite der Mauer hatte der westdeutsche Produzent Horst Wendlandt unter der Regie des österreichischen Regisseurs Harald Reinl das populärste Karl-May-Buch Der Schatz im Silbersee mit so überwältigendem Erfolg verfilmt, dass es zu einem Karl-May-Hype mit insgesamt 17 Filmen gekommen war, der die westdeutschen Kinos eroberte.

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Die Folgen dieses Booms, an dem auch der westdeutsche Produzent Artur Brauner partizipierte, brachten die DDR-Führung schnell in eine Zwicklage: Obwohl der Sachse Karl May aus Ostdeutschland stammte, war er in der DDR geächtet, weil Adolf Hitler ein großer Liebhaber von Mays Büchern gewesen war. Wie Joachim Fest in seiner Hitler-Biografie von 1973 schreibt, habe der Diktator fast alle (damals waren es knapp 70) Bände Mays gelesen, von denen er im Krieg später behauptete, dass sie ihm die Augen für die Welt geöffnet hätten.

Die SED hätte May daher am liebsten vergessen. Doch wie der russische Journalist Andrej Scharij 2007 schreibt, erinnerten die Karl-May-Filme aus dem Westen die Deutschen nun auf beiden Seiten der neu errichteten Mauer an ihre gemeinsame Vergangenheit, in der sie das von May ausgelöste Fernweh kollektiv geteilt hatten. Schließlich hatte es May Ende des 19. Jahrhunderts mit seinen Büchern über den Apachen-Häuptling Winnetou und seinen Blutsbruder Old Shatterhand zu einem der meistgelesenen Autoren deutscher Sprache gebracht. Zwar habe die DDR-Führung alles unternommen, um den unerwünschten westlichen Einfluss nicht über die gut abgeriegelte innerdeutsche Grenze dringen zu lassen, schreibt Scharij. Doch sie habe nicht verhindern können, dass ihre Bürger mit Brauners Filmen in Berührung kamen, weil sie in Ostblock-Ländern mit einer etwas liberaleren Kulturpolitik wie Polen oder der Tschechoslowakei zu sehen waren.

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Die DEFA reagierte. Bislang sollten DEFA-Produktionen wie Daß ein gutes Deutschland blühe über eine DDR mit saftigen Wiesen und fröhlichen Arbeitern ihr Publikum oftmals im sozialistischen Sinne erziehen, kommunistische Werte vermitteln und den SED-Staat verherrlichen, was an der Gefühlslage der Zuschauer im real existierenden Sozialismus oft genug vorbeiging. Doch nun setzte sie dem Karl-May-Rummel aus dem Westen etwas Eigenes entgegen. 

Wie der Berliner Filmkritiker und Kenner der DDR-Filmgeschichte Frank Burkhard Habel in seinem Buch Gojko Mitic, Mustangs, Marterpfähle. Die Defa-Indianerfilme. Das große Buch für Fans von 1997 schreibt, sei die Order zur Produktion von eigenen Wildwest-Filmen nicht von oben gekommen. Das habe vielmehr auf der Eigeninitiative des DEFA-Filmproduktionsleiters Hans Mahlich beruht, der schließlich die Produktion für den ersten Genre-Film der DDR übernahm, das Indianer-Epos Die Söhne der großen Bärin von 1966. Die Staatsführung war nach Auffassung Habels darüber zwar nicht begeistert, doch sie habe es auch nicht verhindert. Mahlich hatte vermutlich Glück, dass das politische Tauwetter, das in der Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow eingesetzt hatte, auch die Satellitenstaaten beeinflusste.

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Während die Westdeutschen allerdings mit dem US-amerikanischen B-Schauspieler Lex Barker in der Rolle des „Old Shatterhand“ „Western“-Filme für ein westliches Publikum produzierten, wandte sich die DEFA mit ihren „Indianerfilmen“ an die Zuschauer in den Staaten des Warschauer Pakts, denen sie ihre eigenen Stars präsentieren wollte: Für Die Söhne der großen Bärin, der auf dem gleichnamigen Roman von Liselotte Welskopf-Henrich beruht, engagierte sie den Tschechen Josef Mach als Regisseur und den bis dahin recht unbekannten serbischen Schauspieler Gojko Mitic als Hauptdarsteller für die Rolle des Häuptlings Tokei-ihto, zu deutsch „Stein hat Hörner“.

Dieser Sioux war eine deutlich eigenständigere Figur als der von Pierre Brice verkörperte Winnetou, der in erster Linie die Rolle eines Sidekicks zu seinem Blutsbruder Old Shatterhand zu spielen hatte. Welskopf-Henrichs Tokei-ihto ist hingegen ein Kriegshäuptling, der sein Volk aus der Unterdrückung durch den weißen Mann in die Freiheit führt, was gut zu der in der DDR-Kulturbürokratie vorherrschenden Weltanschauung passte, in der der Genozid an den Native Americans durch die weißen Einwanderer einen festen Platz hatte.

Die Söhne der großen Bärin und die 15 folgenden DEFA-Indianerfilme wie Chingachgook, die große Schlange (1967), Ulzana (1974) bis hin zu Der Scout (1983) präsentierten ein idealisiertes, ja geradezu schwärmerisches Bild der amerikanischen Ureinwohner und drehte das in US-amerikanischen und westdeutschen Western-Filmen häufig vermittelte Klischee um, wonach diese als primitive Wilde anzusehen waren, die aus reiner Mordlust unschuldige weiße Einwanderer überfallen und dafür mit gerechten Racheaktionen der Siedler oder der Armee zu rechnen hatten. Der von John Wayne gespielte Ethan Edwards in dem US-Western Der schwarze Falke von 1956, den viele für Waynes beste Rolle halten, ist ein fanatischer Indianerhasser, dessen Bruder, Schwägerin und Neffe durch Komantschen ermordet wurden, und der die Tat im Film grausam rächt. 

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Die Söhne der großen Bärin war demgegenüber eine Blaupause für alle weiteren Indianerfilme der DEFA, die bewusst nicht „Western“ genannt wurden und nun eindeutig den weißen Einwanderern die Rolle der Übeltäter zusprachen. Das Muster war dabei oft ähnlich: Meist geht es um die Gier des weißen Mannes, die für die Ureinwohner zur tödlichen Gefahr wird. 

Für Gojko Mitic war der erste DEFA-Indianerfilm ein Karrieresprungbrett. Denn als ehemaliger Stuntman konnte er Action. Der Film war in der DDR ein Kassenschlager, der dem Serben elf weitere Hauptrollen als tragende Indianerfigur eintrugen. Endlich hatte auch das sozialistische Deutschland seinen Mainstream-Filmstar.

In Die Söhne der großen Bärin wollen weiße Siedler die Sioux aus reiner Habgier aus ihrem Reservat vertreiben, weil dort Gold-Reserven zu heben sind. Der von Mitic verkörperte Tokei-ihto wird als integrer Stammeshäuptling dargestellt, der ganz anders als Ethan Edwards zu einer Vergebung fähig ist, zu der ansonsten wohl nur Jesus imstande war. Denn obwohl sein Vater Mattotaupa (Adolf Peter Hoffmann) in dem Konflikt um den lukrativen Boden von dem weißen Verbrecher Red Fox (dargestellt durch den tschechischen Schauspieler Jiří Vršťala) ermordet wurde, versucht Tokei-ihto mit der Gegenseite einen Frieden auszuhandeln. 

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Auf einen Showdown zwischen dem Bösen und Guten verzichtet auch Die Söhne der großen Bärin nicht, wobei die Rollen natürlich anders verteilt sind als in den Filmen John Waynes, der seine indigenen Gegner meist vernichtend schlägt: Im Zweikampf um Leben und Tod behält hier Tokei-ihto gegen Red Fox die Oberhand. Doch interessanterweise bedeutet das für die Sioux im Film noch nicht einmal einen Etappensieg: Sie lenken schließlich ein, indem sie sich neues Land suchen, um dort in Frieden unbehelligt von weißer Dominanz weiterleben.

Gemessen an den wahren historischen Ereignissen, die nach dem Massaker von Wounded Knee im Jahr 1890 die totale Unterwerfung der Sioux unter die Vorherrschaft der Siedler bedeuteten, mag die Kompromisslösung in Die Söhne der großen Bärin wie Geschichtsklitterung erscheinen, mit der dieser erste DEFA-Western exemplarisch für einige der 16 DDR-Indianerfilme endet. In Osceola von 1971 entgeht der Häuptling Osceola (Gojko Mitic) mit seinem Stamm der Seminolen tödlichem Beschuss durch Flucht auf Booten. Und Apachen von 1973 endet sogar mit einem Sieg der Indianer.

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Doch im Vergleich mit den westdeutschen Karl-May-Filmen der 1960er Jahre, die das Schicksal der amerikanischen Ureinwohner nur sehr vereinfacht anrissen, und den vielen damaligen US-amerikanischen Mainstream-Western, die das fatale Los der Native Americans als deren eigene Schuld darstellten, waren die DEFA-Filme des Genres der damaligen Zeit offensichtlich voraus, als sie die historische Wahrheit vom Massenmord an der indigenen Bevölkerung zumindest anschnitten und einigen Fällen wie in Tecumseh von 1972 auch direkt darauf verwiesen.

Zwar hatten auch amerikanische Filmemacher schon in der frühen Nachkriegszeit bisweilen ein differenzierteres Indianerbild gezeichnet, etwa Delmer Daves in Der gebrochene Pfeil von 1950. Doch das waren wie auch Arthur Penns Little Big Man von 1970 Einzelfälle, die inzwischen allerdings zur Regel geworden sind: Zuletzt kamen auffällig viele US-amerikanische Filme in die Kinos, die das Unrecht ansprechen, das den Native Americans vom weißen Mann angetan wurde und wird. In Die Frau, die vorausgeht von Susanna White spielt Jessica Chastain etwa die historische Frauenfigur Caroline Weldon, die im späten 19. Jahrhundert ein Porträt des Sioux-Häuptlings Sitting Bull anfertigte und dabei zur Aktivistin für die Rechte der indigenen US-Bevölkerung wurde. Und in dem Thriller Wind River von Taylor Sheridan bringt der Wildhüter Cory Lambert (Jeremy Renner) im heutigen Wyoming den brutalen Mörder und Vergewaltiger einer jungen indigenen Frau zur Strecke. Im Abspann heißt es: „Für jede Bevölkerungsgruppe gibt es in den USA Vermissten-Statistiken. Für amerikanische Ureinwohnerinnen nicht.“

Wer hätte in der DDR einst gedacht, dass der Klassenfeind es ihr einmal gleichtun würde?

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