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Sex und Satire – zum 100. Geburtstag von Russ Meyer

Ein Beitrag von Mathis Raabe

Russ Meyers Filme sind am bekanntesten für ihre exzessive Darstellung großer nackter Busen. Sie sind aber auch Sittengemälde, gemacht von einem Independent-Filmemacher durch und durch. Er wäre heute 100 Jahre alt geworden.

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Meyer, Russ

„Meine Filme werden häufig auf Partys gezeigt. Wenn einer zum Bier holen in die Küche gegangen ist, muss er beim Reinkommen wieder Leute beim Bumsen sehen.“ So begründete Russ Meyer 1981 bei einer Kinotour in Deutschland seine versexte Erzählstruktur. Das ist das Ethos eines B-Filmemachers, der die Regeln von Bewachern einer sogenannten Hochkultur schon aufgrund ihrer Lustfeindlichkeit ablehnt. Russ Meyer war ein Auteur in dem Sinne, dass er oft im Alleingang schrieb, drehte, schnitt und vertrieb und aus den Einnahmen eines Films den nächsten finanzierte. Er entwickelte über die Jahre auch eine deutlichere filmische Handschrift als andere Sexploitation-Regisseure, mit denen man ihn schon wegen solch unsäglicher deutscher Verleihtitel wie „Die Satansweiber von Tittfield“ („Faster, Pussycat! Kill! Kill!“) verwechseln könnte.

Eine Kamera zu führen, das übte Russ Meyer als Kriegsberichterstatter der US-Armee während des Zweiten Weltkriegs. Später fotografierte er für den Playboy und drehte Lehr- und Werbefilme. Entsprechend geradlinig sind Kadrierung und Montage seiner ersten Arbeiten. Das Langfilmdebüt The Immoral Mr. Teas (1959) erzählt von einem Mann, der als Nebenwirkung der Zahnarztnarkose plötzlich alle Frauen nackt sieht. Der Film kostete nur 25.000 Dollar, spielte aber eineinhalb Millionen ein. Das große Interesse rührte daher, dass Meyer dem Hays Code den Gnadenstoß gab, der die Darstellung sexueller Inhalte in US-amerikanischen Spielfilmen seit 1930 stark reguliert hatte. Es war der erste über der Ladentheke verkaufte Film, der sich traute, nackte weibliche Körper ohne den Deckmantel des Nudismus darzustellen. Vorausgegangen war eine Welle von FKK-Filmen, die sich dokumentarisch gaben, um die Richtlinien zu umgehen, die Nachfrage nach Erotik im Kino aber nicht stillen konnten.

Nach einer kurzen Phase sogenannter „Nudie Cuties“ beginnt Meyer schon 1964 mit Lorna sich am Schein bürgerlicher Lebenswelten abzuarbeiten. Der Film handelt von einer Frau, die von ihrem Ehemann nicht sexuell befriedigt wird. Nach einer Vergewaltigung erwacht ihre Libido und sie beginnt eine Affäre. Die Schwierigkeit, einen Mann zu finden, der sexuelle Befriedigung leisten kann, ist in mehreren Filmen Meyers Thema und ein interessanter Gegensatz zu Sexfilmen, in denen Frauen im Sekundentakt Orgasmen haben, wie es heute noch im Großteil aller Pornografie der Fall ist. Als ein angeblich niederes Gelüst, das aber fast allen Menschen gemein ist, war Sex auch das perfekte Vehikel, um die weißen Lattenzäune der Amerikaner zu beschmutzen. Meyers Filme wurden düsterer und brutaler. Er sah sich von europäischer Filmkunst der Zeit beeinflusst, von den Umwälzungen der Nouvelle Vague und des Neuen Deutschen Films.


Schwarzenegger mit BH 

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Faster, Pussycat! Kill! Kill! (1965) ist so rasend wie sein Titel. Drei Stripperinnen fahren in Sportwagen durch die kalifornische Wüste und begehen mehrere Morde. Dabei geben sie befremdliche Dialoge von sich, die zwischen angestrengter Poesie und abgebrühten Sprüchen pendeln. Überspitzt wirke das, schrieb Roger Ebert später in einer Kritik, aber nur so lange, bis man realisiere, dass Arnold Schwarzenegger oder Sylvester Stallone ganz ähnliche Charaktere spielen – „nur ohne die BHs“. So erklären sich auch die seinerzeit schlechten Einspielergebnisse: Actionkino um Frauencliquen war das Publikum nicht gewohnt. Die Filmkritikerin B. Ruby Rich bezeichnete Meyer sogar einmal als „ersten feministischen Filmemacher“. Darüber lässt sich streiten. Meyer zeigt aber in Filmen wie Faster, Pussycat! Kill! Kill! zweifellos machtvolle und dominante Frauenfiguren – nicht nur, weil er sie gerne von unten filmt, um ihre Brüste noch größer erscheinen zu lassen. Die Männerfiguren dagegen sind entweder dümmliche muskulöse Sexobjekte oder impotente Waschlappen, die zur Strafe verlacht und vermöbelt werden. Die Einstellung aus Faster, Pussycat! Kill! Kill!, in der die Figuren Varla und Rosie, von unten gefilmt, einen Muskelprotz und einen alten Mann im Rollstuhl meterweit zu überragen scheinen, zeigt gut, dass Meyer diese Dynamiken auch über seine Bildkomposition zu erzählen wusste.

Vixen! (1968) wurde dann wieder ein Kassenschlager. Dabei musste dem Publikum an mancher Stelle der Geifer im Hals stecken bleiben: Nicht nur ist die Titelfigur mal wieder eine untreue Ehefrau, die unter anderem mit ihrem eigenen Bruder schläft. Sie äußert sich bei jeder Gelegenheit rassistisch gegenüber Niles, einem Schwarzen Wehrdienstflüchtigen. Am Ende entführen Niles und ein irischer Kommunist zusammen ein Flugzeug, um damit ins Kuba Fidel Castros zu fliehen. Die letzten 15 Minuten zeigen keine Brüste mehr, stattdessen eine ausführliche Kommunismus-versus-Kapitalismus-Diskussion mit der traurigen Quintessenz, dass man Rassismus in keinem der beiden Systeme entkommen kann. Meyer verwendet den Sex hier erneut als Köder, um sein Publikum mit ernsten Themen zu konfrontieren.

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Konsequente Gegenkultur

Derart konsequent ungefällig zu bleiben, war Meyer möglich, weil er sich von den großen Filmstudios fernhielt. Mit Beyond the Valley of the Dolls (1970) für 20th Century Fox machte er eine Ausnahme. Das Skript schrieb Roger Ebert, der sich dafür extra von seinem Job als Kritiker bei der Chicago Sun-Times beurlauben ließ. Er schrieb noch zwei weitere Filme für Meyer – seine einzigen Ausflüge in die Praxis. Beyond the Valley of the Dolls handelt von drei Rockmusikerinnen, die nach Los Angeles reisen und sich dort in flamboyanten Szenepartys verlieren. Das Finale ist eine übersteigerte Seifenoper: Innerhalb von zehn Minuten kommt es zu drei Hochzeiten und vier Todesfällen, eine Figur enthüllt ihre wahre Geschlechtsidentität, eine andere steht aus ihrem Rollstuhl auf. Während einer Enthauptungsszene läuft die Erkennungsmelodie von 20th Century Fox.

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Inzwischen ist auch Meyers Montage nahezu schwindelerregend: Die Party-Sequenzen springen pausenlos von einem illustren Charakter zum nächsten, in einer Autosex-Szene schneidet er immer wieder auf Nahaufnahmen von Kühlerfiguren, als würde ihm sonst langweilig werden. Ein gerne verwendetes Stilmittel von Meyer sind Off-Erzähler, die das Publikum in die Welt von Nymphomanie und Ehebetrug einführen, so als würde es sich um die Tiefsee handeln. In Beyond the Valley of the Dolls zieht der Erzähler am Ende aus der Entwicklung jeder einzelnen Figur eine Lehre. Nach so viel Sex und Gewalt ist dies reinste Ironie und als Parodie auf moralistische Melodramen zu verstehen. Meyer hat eine Wandlung vollzogen — vom düsteren Provokateur zum offensichtlichen Satiriker.

Die Anerkennung in Cineastenkreisen kam für Meyer (wie für viele Exploitation-Größen) in den Achtzigern mit der Hochzeit der Home-Video-Kassette. Sie führte zu Retrospektiven im New Yorker MoMA und in der Pariser Cinémathèque. Hardcore-Filme drehte Russ Meyer nie – da hätte sich die Kamera ja unter die Gürtellinie bewegen müssen und damit weg vom Busen. Manche Porträts über ihn neigen deshalb zur Pathologisierung und legen ihm die Reduktion auf die Brust als Mutterkomplex aus. Russ Meyer starb am 18. September 2004 im Alter von 82 Jahren an Komplikationen bei einer Lungenentzündung. Sein Erbe ist nicht nur, Urvater der „Nudies“ zu sein und bei Menschen mit Brustfetisch die Oxytocin-Produktion anzuregen. Er war eine der treibenden Kräfte bei der Aufweichung des amerikanischen Puritanismus hin zur Hippie-Bewegung. So schaffte er ohne jegliche Kompromisse den Sprung nach Hollywood, wo er dann wiederum sofort mit den Hippies abrechnete. Anpassung war seine Sache nicht. Er war, in den Worten seines Weggefährten Roger Ebert, „in einem Feld voller Billigproduktionen der einzige Künstler“.

 

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