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Haut und Fleisch: Claire Denis und David Cronenberg

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Der Körper spielt im Kino von David Cronenberg eine große Rolle. Und auch die Filme von Claire Denis werden gerne als Körperkino beschrieben. Wie verhalten sich diese beiden großen Regisseur_Innen der Gegenwart zueinander?

Meinungen
Cronenberg_Denis

Auf dem Filmfestival San Sebastián erhält David Cronenberg dieser Tage den Donostia Award. Sein neuer Film Crimes of the Future kommt bald in die deutschen Kinos. Claire Denis wird mit ihrem Drama Mit Liebe und Entschlossenheit (OT: Both Sides of the Blade) ebenfalls San Sebastián vertreten sein. Das hat auch damit zu tun, dass Juliette Binoche für ihre Schauspielkunst ausgezeichnet wird und mit ihrem Gesicht das Festivalplakat beehrt. Denis und Cronenberg also – beide in Spanien. Doch braucht man wirklich solche Gründe, die Werke zweier so wichtiger Regisseur*Innen, die sich in ihrem vielfältigen Schaffen immer wieder exzessiv mit dem Körper auseinandergesetzt haben, aufeinander zu beziehen? Wir finden nicht. Worin liegen die Ähnlichkeiten in den Unterschieden zwischen der Französin und dem Kanadier? Stürzen wir uns also in das Fleisch der Körper und berühren die Haut der Leinwand.  

In seinem Buch Corpus schreibt der französische Philosoph Jean-Luc Nancy: „Es bliebe, nicht über den Körper zu schreiben, sondern den Körper selbst. Nicht die Körperlichkeit, sondern den Körper. Nicht die Zeichen, Bilder, Chiffren des Körpers, sondern den Körper selbst.“ Diese Passage ist eine Linie, mit der das auf den ersten Blick disparate Werk von David Cronenberg und Claire Denis auf fruchtbare Weise miteinander verbunden werden kann.

All die Drastik ihrer Filme, die es ja durchaus gibt, die indessen auch noch von ganz unterschiedlicher Form ist, beiseite geschoben: Ihre Filme, oder zumindest einige ihrer Filme, lassen sich durchaus als Versuch begreifen, nicht den Körper zu filmen, sondern den Film selbst zu einem Körper werden zu lassen. Möglicherweise interessiert sich Denis mehr für die Haut, die feinen Haare des Nackens, für die Linien in den Handinnenflächen und das Begehren, was über die Oberfläche des Körpers sich vertieft. Und wahrscheinlich ist Cronenberg mehr vom Fleisch und den Wunden angezogen, lässt seine Filme dann in analytische Ekstase geraten, wenn der Körper aufbirst, wuchert und aus sich selbst und über sich hinausdrängt. Lässt sich das so erzählen? Film als Körperstudie: Haut und Fleisch.

Haut: Denis

Denis filmt in einer Ästhetik, die von der Innerlichkeit der körperlichen Veräußerlichung erzählt. Ihre Filme führen in ein Innen des Außen; an jenen Punkt, an dem unser ganzer Körper und damit die Leinwand zu einem sensiblen Organ wird und mitunter – wie in Trouble Every Day und High Life – sich selbst zerfleischt und zerstört. Doch sollte man sich vom blutigen Exzess in jenem berüchtigten Trouble Every Day nicht täuschen lassen: Im Grunde ist dieser Film eine tragische Liebesgeschichte, der unmögliche Wunsch, einem anderen Menschen ganz nah zu sein. Die Haut ist es, die den Körper zusammenhält, uns aber auch davon abhält, vollständig hineinzuschlüpfen: Sie verbindet und trennt. In der Lust spielt sich nicht ohne Grund immer auch ein Kampf ab, mitunter ein tierisches Beißen und Kratzen.

Verzehrende Begierde in Trouble Every Day, © rapid eye movies

Trouble Every Day ist sicherlich ein kannibalischer Vampirfilm, aber eben auch einer der Unmöglichkeit, in den anderen und sein Geheimnis einzutauchen. Um es erneut mit Nancy zu sagen: „Ein Körper kann nicht in die Öffnung eines anderen eindringen, außer indem er ihn tötet.“ Was rätselhaft klingt, ist ein wunderschöner Gedanke: Die Körperöffnungen werden nicht penetriert, weil es sich um Falten handelt, die für eine Vereinigung gedacht sind. All das ist Körper, das Innen, wie das Außen. Wenn die blutwütigen Raubtiere in Trouble Every Day sich in den Körper beißen, dann penetrieren sie und durchbrechen die Haut – es bleibt nur das Ausbluten und der unvermeidbare Tod, über den die so tragisch spielende Beatrice Dalle ebenso entsetzt ist. Diese verzehrende Liebe verzehrt den anderen und nach dem Abklingen der Wollust folgt das Erwachen. Nur wenn wir den anderen als Anderen berühren, gibt es körperliche Liebe, die „das Berühren des Offenen“ (Nancy) ist. Die Haut ist zur Welt hin gefaltet – in Trouble Every Day aber wird sie verletzt und die Welt entschwindet in Blut und Einsamkeit. 

Und weil wir schon so offensiv auf Jean-Luc Nancy rekurrieren: Mit ihrem Film-Poem L’Intrus (Der Feind in meinem Herzen) hat es Claire Denis gewagt, ein sehr persönliches Buch eben dieses großen Denkers zu verfilmen: Ausgehend von seiner Herztransplantation denkt der Philosoph über das Fremde und das Eigene nach, zieht Grenzen und überkreuzt sie wieder: Was ist der Körper und vor allem, was ist der eigene Körper? Darauf wurde der schwebend komponierte Film immer reduziert – ganz buchstäblich gelesen. Dabei lässt sich der Körper und das Denken von Nancy nicht ohne die Frage des Übergangs verstehen. Wie kann ein Körper einen anderen und sich selbst berühren? Wie können wir miteinander existieren, mit diesen Hüllen, die uns immer auch fremd bleiben: Es ist letztlich erstmal unser Körper, der sich vor allem dann, wenn er nicht reibungslos funktionieren will, als Körper zu erkennen gibt.

Überblendungen von Innen und Außen: L’Intrus, © Pyramide Distribution

In L’Intrus ist es das Herz, das seinen Dienst zu quittieren droht.  Der undurchsichtige Louis Trebor (Michel Subor) kommt über den Schwarzmarkt an ein Spenderherz. Das ist aber auch schon alles, was man von diesem Film mit Sicherheit sagen kann. Was wirklich passiert und wo sich Erinnerung und Fremdes vermischen, das bleibt oftmals in der Schwebe. Dafür ist der Film voller Bilder, in denen Verknüpfungen aus Körpern entstehen. Körper, das ist nicht nur Fleisch und Blut, das sind auch Gegenstände und Organe, Gesellschaftskörper und Gebäude.

Da liegt der Mann im Bett, sein Brustkorb wurde vor kurzen geöffnet, um sein Herz gegen ein gesundes Organ auszutauschen. Ein Kreuz auf seiner Brust markiert den Ort des Austausches, der immer auch in das Ökonomische reicht. Narbengewebe tritt aus dem Fleisch und vor dem Fenster sehen wir ein Kreuz auf einer Kirche, als hätte dessen Schatten seine Spuren auf dem Brustkorb hinterlassen: Da ist die Erlösung, die nicht am Kreuz, aber durch das Kreuz auch durch die Haut geschnitten hat. Dieses Kreuz sehen wir durch ein Fenster; ein Durchgang ist das, wie es so viele Durchgänge in diesem Film gibt: Übergänge, Grenzgänge, Kreuzgänge. Was also der eigene Körper ist und wie er sich zusammensetzt, ist immer ein Prozess, ein Dazwischen aus Gängen. Zumindest in der Welt von Claire Denis.

Fleisch: Cronenberg

Bei Cronenberg ist weniger Poesie im Spiel. Da springen die Bilder in das, was man allenthalben Body Horror nennt. Eine zugegebenermaßen griffige Formel, die oftmals mehr verdeckt, als sie erklärt und offenlegt. Denn oftmals bleibt es bei einer oberflächlichen Beschreibung des Ekels, diesem mächtigen Affekt, der zum Körper mit all seinen Ausscheidungen und klaffenden Öffnungen immer schon dazugehört. Es ist eben so: Der Körper wird nicht ekelig, er ist es immer schon: Schönheit und Ekel, Peinlichkeit und Anmut gehen ineinander über. In Zeiten von Instagram und den durch unzählige Filter gesäuberten Körper, drohen diese körperlichen Tatsachen in Vergessenheit zu geraten. Derart aseptisch war die Welt des Digitalen bei Cronenberg nie. Vielmehr dominieren die Verwandlungen, das Aufbrechen zu etwas anderem hin. Diese Verwicklungen sind es, die Cronenberg in vielen seiner Filme so hervorragend in Szene zu setzen weiß: Long live the new flesh, wie es im Meisterwerk Videodrome heißt. Ein neues Fleisch also.

Organisches Interface in Existenz, © Kinowelt

Womöglich erzählt dies kein Film besser als eXistenZ. Dieser handelt von einem Computerspiel, in das sich die Menschen mithilfe eines organischen Pods einloggen können. Dieses Gerät pulsiert wie eine Larve, ist einem Organ ähnlicher als einem einfachen Interface. Die Figuren verkoppeln sich mithilfe einer Art Nabelschnur, die in eine afterförmige Öffnung am Rücken eingeführt wird, die es schonmal anzulecken gilt, um den Kontakt zu säubern. Neues Fleisch meint auch neue erogene Zonen zwischen pragmatischer Alltäglichkeit und sexueller Möglichkeit. Nancy spielt da weniger eine Rolle. Wenn wir einen Denker zuordnen wollen, dann wäre es womöglich Gilles Deleuze, dieser Philosoph des Werdens, der den Menschen immer in einem Modus der ständigen Verwandlung sieht: Intensitäten erzeugen Organe des Begehrens, an die wir vorher noch gar nicht gedacht haben. Und das Werk von Deleuze ist voller Begehren.  

Doch ist da eben diese analytische Kühle, die dieses Interesse am Design des Körpers auszeichnet – die Wundästhetik bei Cronenberg ist immer auch eine kalte Utopie des Wandels, was seinen Filmen diese ungemütliche Atmosphäre gibt. Crash mag weniger explizit sein als beispielsweise Die Fliege oder Videodrome. Dennoch gibt es eine Szene in dem Film, die derart drastisch das Menschenbild offenlegt, mit dem sich Cronenberg durch seine Filme bewegt: Crash erzählt von einer Gruppe von Menschen, die bei Unfällen sexuell erregt werden. Knochenbrüche, Narben und entstellte Körper werden erotisiert und der Innenraum des Autos eine Möglichkeit, dem Tod nahezukommen.

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Dabei entwickelt sich ein quasi-religiöser Wahn, der in eine Selbstzerstörung mündet. James Spader spielt einen Regisseur, der nach einem Autounfall eben diese sexuelle Sucht entwickelt. Auf der Rückbank eines Autos penetriert er eine Frau in ihre klaffende Narbe im Oberschenkel. All das ist in einer fast wissenschaftlichen Art gefilmt. Da haben zwei Menschen Sex. Auf eine andere Art. Wie werden wir in Zukunft miteinander schlafen? Welches Begehren werden wir haben, wenn die Smartphones die Sicht auf die Welt strukturieren. Sexroboter gehören bereits zur Wirklichkeit.

Während andere Regisseure diese Unfallzombies zum Spektakel aufblasen würden, bleibt der Film auch ästhetisch seinem Thema treu und ist kühl-blitzend, wie das Chrom und Blech der Autos. Der Fokus liegt bei Cronenberg nicht auf dem Horror. Es ist der Körper in seiner Wandelbarkeit, der den Filmemacher interessiert. Die Haut bei Denis und die Wandelbarkeit des Fleisches bei Cronenberg. Beide werfen Blicke auf den Körper, mit denen wir umgehen müssen, die uns unangenehm und genau deshalb so wichtig sind.

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