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Christian Petzold – Gespenstergeschichten, neu entdeckt

Ein Beitrag von Falk Straub

Mit „Roter Himmel“ bringt Christian Petzold seinen zehnten Film in die Kinos – Zeit, sich dem Wahlberliner und seinen Figuren zu widmen, die, so nah man ihnen auch zu kommen scheint, seltsam unnahbar bleiben. Eine Annäherung.

Meinungen
Petzold
Transit / Undine / Phoenix

Über Christian Petzold zu schreiben, ohne persönlich zu werden, fällt mir schwer, haben mich die Filme des 1960 in Hilden geborenen Regisseurs und Drehbuchautors doch zeit meines Studentenlebens und meiner daran anschließenden Journalistenlaufbahn begleitet. Lange Zeit fiel mein Urteil über Petzolds Art, Filme zu machen, negativ aus. Wie der von Thomas Schubert in Roter Himmel brillant verkörperte, übellaunige Schriftsteller Leon, (in dem einem Interview zufolge wohl mehr des jungen Christian Petzold steckt, als diesem beim Drehbuchschreiben lieb sein mochte), machte auch ich alles madig. Filme der Berliner Schule, zu deren erster Generation neben Petzold auch dessen Kommilitonen Angela Schanelec und Thomas Arslan zählten, waren mir verpönt. Die Einstellungen in Petzolds Filmen waren mir zu statisch, die Bilder zu karg, die Dialoge zu künstlich, die Geschichten zu verkopft.

Über die Jahre hat sich mein Blick auf Petzolds Werk (und die Berliner Schule) gewandelt. Dinge, die mich kaltgelassen oder erzürnt haben, berühren mich inzwischen. Und Dinge, die ich nicht gesehen habe, noch nicht sehen konnte oder schlicht nicht sehen wollte, sind glasklar – oder scheinen es zumindest zu sein. Denn nach wie vor buchstabiert Petzold in seinen Filmen nicht alles aus, lässt Lücken und Leerstellen und dadurch Raum für Interpretation, die längst komplette Bücher füllt.

Enno Trebs und Matthias Brandt in Roter Himmel; © Piffl Medien

Was also noch schreiben über den selbsternannten Hitchcockianer, dessen dialogische Arbeitsweise ganz anders als die Alfred Hitchcocks ist? Was noch schreiben über diesen zigfach preisgekrönten Regisseurs, der im Februar 2023 bei der Berlinale bereits seinen zweiten Silbernen Bären erhielt? Was noch analysieren an den Filmen, über die sein von ihm geschätzter und ihn schätzender Kollege Dominik Graf als „eine neue ‚Neue Sachlichkeit‘ meets Phantomfilm“ spricht? (1)

Vielleicht muss mein Schreiben über Christian Petzold ein persönliches sein, so wie das erstmalige Sehen einiger seiner frühen Filme und das Wiedersehen bereits gesehener Filme als Vorbereitung auf diesen Text eine Art persönliche Begegnung war. Was folgt, sind erste, nur lose sortierte Eindrücke – auch auf die Gefahr hin, dass diese an anderer Stelle von anderen Interpret:innen bereits ganz ähnlich und treffender formuliert worden sind.

Frauen auf der Flucht

Das Erste, was mir beim Wiedersehen an Petzolds Filmen auffällt, ist die Perspektive. Fast alle sind durch die Augen von Frauen erzählt. Schon in Pilotinnen (1995), seinem Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), der nicht ins Kino kam, aber als Kleines Fernsehspiel über die TV-Schirme flimmerte, tauchen weitere Elemente auf, die Petzolds Kino bis heute prägen: Arbeit, finanzielle Abhängigkeit vs. finanzielle Freiheit, Fluchtbewegungen, Autos als erzählerischer Motor, Anleihen beim Kriminalfilm.

Jerichow; © Piffl Medien

Die von Eleonore Weisgerber gespielte Karin, eine Vertreterin für Kosmetikartikel, die ihrem tristen Arbeitsalltag entfliehen will und von einem Leben in Paris träumt, ist für ihren Job eigentlich schon zu alt (so wie Nina Hoss in Wolfsburg für ihre Rolle als Supermarktangestellte zu schön ist). Das Leben on the road, in ihrem Firmenwagen von Kunde zu Kunde und Absteige zu Absteige tuckernd, steckt ihr in den Knochen. (Wie das Leben und die Maloche allen Petzold-Figuren ins Gesicht geschrieben steht.) Wie die untergetauchte Familie in Petzolds erstem Kinofilm Die innere Sicherheit (2000), der eine neue Perspektive auf den Deutschen Herbst eröffnete, ohne das Wort RAF auszusprechen, wie Nina Hoss‘ Titelfigur in Yella (2007) oder das von Hoss, Hilmi Sözer und Benno Fürmann verkörperte, sich auf magische Weise anziehende und abstoßende Liebesdreieck in Jerichow (2008) steht auch Weisgerbers Figur Karin nie still. Und auch ihr Weg wird irgendwann kriminell. Im Gegensatz zu den anderen erwähnten Figuren ist ihrer Karin jedoch als einziger ein Happy End vergönnt.

Dieses pausenlose Unterwegssein, das bei Petzold nicht nur dazu dient, die Distanz zwischen zwei Orten zu überbrücken, sondern auch immer eine narrative Funktion erfüllt, brachte ihm den Vergleich mit Wim Wenders ein. „Aber Wenders erzählt immer männliche Geschichten“, hält Petzold dem in einem Interview entgegen. (2) Jeder Wenders-Film sei ein Männerfilm. Sein eigenes Mannsein habe Petzold hingegen gelangweilt, weshalb die Frauen in seinen Filmen mehr als bloße Projektionsflächen seien.

Paris, Texas von Wim Wender; © Wim Wenders Stiftung

Auch ich war von meinem eigenen Mannsein oder besser gesagt von dem, was die Gesellschaft darunter verstand (und zum Teil bis heute darunter versteht: stark, hart, gefühllos, einsam sein) gelangweilt bis irritiert. Wenders‘ Road Movies von Alice in den Städten (1974) über Im Lauf der Zeit (1976) bis zu Paris, Texas (1984), auf dessen problematische, von Nastassja Kinski gespielte Frauenfigur Petzold im oben erwähnten Interview eingeht, fand ich trotzdem besser als Petzolds Filme – allein schon deshalb, weil mich Robby Müllers betörende Bilder viel stärker in ihren Bann zogen, als dies die Bilder von Petzolds Stammkameramann Hans Fromm bis heute zu tun vermögen.

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Und doch haben (inzwischen) auch Fromms Bilder ihren Reiz; bin ich angetan, wenn Nina Hoss als Leyla in Petzolds ausgeklügeltem TV-Krimi Toter Mann (2001) auf einer idyllisch gelegenen Neckarbrücke in Stuttgart nicht nur André Hennicke, sondern auch mich anlächelt; kann ich die geheimnisvolle und stets unheilschwangere Schönheit der Ostsee in Jerichow, Roter Himmel und Barbara (2012) – neben Phoenix (2014) der einzige andere Abestecher Petzolds ins Historienfilmfach –, das Glitzern des Mittelmeers in der in unsere Gegenwart übertragenen Seghers-Verfilmung Transit (2018) und die traumgleichen Unterwasseraufnahmen im modernen Märchen Undine (2020) genießen.

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Arbeit und Autonomie

Das Zweite, was an Petzolds Filmen auffällt, ist die Darstellung der Arbeitswelt. Petzolds Publikum weiß nicht nur über die Berufe seiner Figuren Bescheid, sondern sieht diesen auch bei deren Ausübung zu. Ein simpler, aber seltener Umstand. Denn im Kino gilt Arbeit nicht gerade als sexy. Geht es nach Petzold, dann ist dieses Missverhältnis bereits in die Geburt des Mediums eingeschrieben: Arbeiter verlassen die Fabrik ist der erste Film, der je gedreht worden ist, und das Kino beginnt eben, wenn die Arbeiter die Fabrik verlassen haben. Am Abend, auf den Boulevards, auf den Ringstraßen. Im Kino gibt es die Bilder der Reproduktion, nicht der Produktion.“

Filmstill aus Harun Farockis Reflexion über Arbeiter verlassen die Fabrik; © Harun Frocki

Petzold holt diese Bilder der Produktion ins Kino zurück. Arbeit ist bei ihm nicht nur die „Verführungsarbeit“, die eine Leyla in Toter Mann oder eine Laura in Jerichow leisten, um ihre unlauteren Ziele zu erreichen; oder die kriminelle Arbeit des von Barbara Auer und Richy Müller gespielten RAF-Ehepaars in Die innere Sicherheit, um ihr Überleben zu sichern und ihr fehlgeleitetes Weltbild aufrechtzuerhalten. Es ist auch immer die ganz konkret ins Bild gerückte Lohnarbeit, die im Idealfall ein autonomes Leben ermöglicht, meist aber Klassenunterschiede, politische Strukturen und geistige Gegensätze aufzeigt: In Wolfsburg steht Nina Hoss‘ arme Supermarktangestellte Benno Fürmanns gutverdienendem Autoverkäufer gegenüber, in Barbara Hoss‘ in die Provinz strafversetzte Ärztin Ronald Zehrfelds sie bespitzelndem Arzt, und in Undine Paula Beers promovierte Historikerin Franz Rogowskis Industrietaucher, um nur drei Beispiele zu nennen.

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Gelernt hat Petzold, der vor seinem von 1988 bis 1994 absolvierten dffb-Studium Theaterwissenschaften und Germanistik an der Freien Universität Berlin studierte, diesen geschärften Blick auf die kapitalistischen Arbeitsverhältnisse vor allem von seinem Dozenten und Mentor Harun Farocki (1944–2014), der ihm nicht nur zu einem lebenslangen Freund, sondern auch zum dramaturgischen Berater seiner Filme wurde. „Das große Thema von Harun und mir ist ja die Arbeit“, erinnert sich Petzold an seinen zu früh verstorbenen Kollegen. „Ohne Arbeit haben wir keine Identität. Wenn uns die Arbeit genommen wird, sind wir nichts, dann werden wir Gespenster.“ So wie Benno Fürmanns Ex-Soldat in Jerichow, der auf Arbeitssuche leb- und lustlos auf einem Gurkenflieger landet und selbst als er wieder einen einträglichen Job hat, nie vollständig in die Welt der Lebenden zurückkehrt, stattdessen wie ein Geist aus der Dunkelheit auftaucht, um Nina Hoss‘ Laura hinüber auf seine Seite zu ziehen. Andere, wie Julia Hummers Nina und Sabine Timoteos Toni macht nicht die Arbeits-, sondern die Herkunftslosigkeit zu den titelgebenden Gespenster[n] (2005). Letztgenannte, weil sie ohne ersichtliche Vergangenheit einfach auftaucht und (ohne ersichtliche Zukunft) wieder aus dem Film verschwindet, Erstgenannte, weil sie um ihre Vergangenheit nicht weiß.

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Sprache, Schlaf und Träume

Last, but not least fällt an Petzolds Filmen auf, wie schwer sich seine Figuren trotz all der konkreten Rückkoppelung an unsere Realität greifen lassen. So authentisch deren Alltag auch geschildert sein mag, sie bleiben Gespenster, Phantome, Figuren, die nur in der filmischen Realität existieren. Nicht immer ist das so eindeutig wie in Undine, in der sich die von Paula Peer gespielte Titelfigur tatsächlich als ein Wassergeist entpuppt; wie in Yella, einer Tanz der toten Seelen (1962)-Variation, in der die Titelfigur stirbt und ihren Weg aus der kapitalistischen Vorhölle, die ihr so viel Freude bereitet, ins Reich der Toten erst noch finden muss; wie in dem gleich aus mehreren Vorlagen gemischten Amalgam Phoenix, in dem die Protagonistin aus der Hölle von Auschwitz als Untote zurück ins Leben kehrt. Immer aber beschleicht einen das Gefühl, dass etwas aus den Fugen geraten ist.

Mitunter liegt das an Fromms Bildern, die scheinbare Nebensächlichkeiten wie im Wind rauschende Blätter bewusst in Szene setzen, an Bettina Böhlers Montage, die in Petzolds Filmen stets leicht aus dem Takt zu geraten scheint und nicht zuletzt an Petzolds Sprache, die stets mehr poetisch denn realistisch ist und ihren Figuren häufig nicht ganz geheuer erscheint.

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Der von Enno Trebs gespielte Rettungsschwimmer Devid aus Roter Himmel erzählt nicht nur bessere Geschichten als der von Thomas Schubert gespielte Schriftsteller, er sagt auch Sätze wie „Die Junisonne hat’s in sich“, die nicht recht zu einem Rettungsschwimmer passen wollen. Und ein von Jasna Fritzi Bauer gespieltes Zimmermädchen in Wölfe, einem von drei Polizeiruf 110-Episoden, die Petzold mit Matthias Brandt und Barbara Auer realisierte, hat das aus der Zeit gefallene Adjektiv „ungehalten“ in ihrem Vokabular.

Diese kleinen sprachlichen Ungereimtheiten gehen mit sprachlichen Wiederholungen einher, die den Eindruck des Traumhaften verstärken. In fast allen Filmen Petzolds fallen bestimmte Sätze mehrmals und oft wortwörtlich; mal von ein und derselben Figur ausgesprochen, mal von einer anderen im direkten Gespräch aufgegriffen, mal unabhängig voneinander und dadurch völlig unrealistisch geäußert.

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Im Verbund mit den Drehorten, die an Gewässern, in Wäldern oder an Waldrändern liegen und wie die Städte bei Petzold oft menschenleer sind, durchzieht die Filme nicht nur etwas Gespenstisches und Märchenhaftes, sie erinnern auch immer an Träume. Dazu passt Petzolds Arbeitsprozess beim Recherchieren und Verfassen eines Drehbuchs, die er wie folgt beschreibt: „Ich schaue mir Sachen an, ich lese dazu viel. Dann schlafe ich und versuche, mich daran zu erinnern. Aus dem Schlaf heraus schreibe ich das Drehbuch. Wenn die Erinnerung an die Recherche eine traumhafte Recherche ist, dann wird es Kino, finde ich.

Schöner als er selbst kann man Christian Petzolds Werk nicht beschreiben: ein Kino aus dem Schlaf heraus, das das Wiedersehen lohnt.

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(1) Dominik Graf tut dies in seinem Grußwort zum von Ilka Brombach und Tina Kaiser herausgegebenen Sammelband „Über Christian Petzold“, Vorwerk 8, Berlin 2018.
(2) Alle Zitat stammen aus einem Interview, das Ilka Brombach mit Christian Petzold für den von ihr herausgebrachten Sammelband geführt hat. Siehe dazu: „Ein Raum, in dem wir heimisch sind“ in: „Über Christian Petzold“, Vorwerk 8, Berlin 2018, S. 19-60.

 

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