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À vôtre santé! – Wein & Film

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Im Wein liegt die Wahrheit – und zugleich steht er für Genuss. Diese Mischung aus möglicher Gefahr und großer Lust macht ihn zu einem zeitlos spannenden Sujet fürs Kino.

Meinungen
Weinprobe für Anfänger (l. & r.) / Der Wein und der Wind (Mi.)
Weinprobe für Anfänger (l. & r.) / Der Wein und der Wind (Mi.)

„Ich trinke nur Spitzenweine!“, sagt Jacques Dennemont (Bernard Campan), der Protagonist aus Ivan Calbéracs Tragikomödie Weinprobe für Anfänger (2022), zur Verteidigung zu seinem strengen Arzt Dr. Milmont (Olivier Claverie), als dieser ihn darauf hinweist, dass er wegen seines Herzproblems keinen Alkohol mehr trinken dürfe. Davon abgesehen vertritt der französische Weinhändler die durchaus anfechtbare Meinung: „Wein ist kein Alkohol!“

Das ist die Ausgangslage eines Films, der sowohl die schönen als auch die heiklen Seiten des Weinkonsums beleuchtet. Berauschet Euch, eines der Gedichte in Prosa von Charles Baudelaire, ist in Jacques‘ kleiner lokaler Weinhandlung ausgehängt:

Man muß immer trunken sein. Das ist alles: die einzige Lösung. Um nicht das furchtbare Joch der Zeit zu fühlen, das euere Schultern zerbricht und euch zur Erde beugt, müsset ihr euch berauschen, zügellos. / Doch womit? Mit Wein, mit Poesie oder mit Tugend, womit ihr wollt. Aber berauschet euch.

In jenem Laden erscheint eines Tages die seit vier Jahren geschiedene Hebamme Hortense Le Bris (Isabelle Carré), die Jacques zwar als „sehr katholisch“, aber auch als überaus anziehend empfindet. Sie sucht einen Wein für das wöchentliche Abendessen, das sie für Obdachlose gibt. Der Wein und die Konversation darüber (etwa über die Vorteile von Bio-Anbau) dienen hier als dramaturgisches Mittel, um ein gegensätzliches Figurenpaar in typischer RomCom-Manier zusammenzubringen – wobei das Setting auch darauf hindeutet, dass es sich bei Jacques und Hortense um Menschen mittleren Alters handelt, deren Bedürfnisse und Probleme sich klar von denen junger Verliebter unterscheiden.

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Was Hortense an Jacques so fasziniert, ist nicht zuletzt dessen spürbare Leidenschaft für den Wein. Mit besagter Gruppe von Obdachlosen nimmt sie an einer Führung teil, die Jacques auf dem Anwesen eines Winzers anbietet. Er präsentiert dort eine Weinpresse aus dem 18. Jahrhundert, erläutert die Weinherstellung und die Ursprünge des Weinbaus in Armenien.

 

Eine Choreografie des Kostens

Wie originell der Wein in Armenien kinematografisch erfasst werden kann, demonstrierte schon vor vielen Dekaden der von Regisseuren wie Michelangelo Antonioni, Jean-Luc Godard und Andrei Tarkowski zu Recht verehrte Filmemacher Sergei Paradschanow in seinem experimentell-poetischen Werk Die Farbe des Granatapfels (1969).

Doch auch Weinprobe für Anfänger setzt das Genuss- und Rauschmittel auf audiovisueller Ebene einfallsreich ein. So wird eine Weinprobe, die Jacques für Hortense sowie den aus steuerlichen Gründen widerwillig eingestellten Praktikanten Steve (Mounir Amamra) und den befreundeten Buchhändler Guillaume (Éric Viellard) veranstaltet, wie ein schwindelerregender Tanz in Szene gesetzt. Das Einschenken des Weins, das Anheben und Schwenken der Gläser, die olfaktorischen Eindrücke aller Beteiligten, das Schwenken des ersten Schlucks in den Mundhöhlen, die (bewusst nicht immer fachkundigen) Kommentare der Gruppe – all das wird wie die kunstvollen Abläufe einer Choreografie eingefangen.

„Weinprobe für Anfänger“ (c) Bertrand Vacarisas/Mandarin et Compagnie

 

Ein weiterer Film, in dem das Wein-Thema von zentraler Bedeutung ist, stammt von Cédric Klapisch: In Der Wein und der Wind (2017) erzählt der Franzose von den Geschwistern Jean (Pio Marmaï), Juliette (Ana Girardot) und Jérémie (François Civil), die zusammen auf einem Weingut in der Region Burgund aufgewachsen sind. Als der bereits verwitwete Vater im Sterben liegt, kommt es zum Wiedersehen des entfremdeten Trios. Die Figuren müssen nun entscheiden, wie sie mit ihrem Erbe umgehen wollen.

 

Freud und Leid in den Weinbergen

Von einer Familie, die vom Weinbau lebt, handelte schon die Primetime-Soap Falcon Crest (1981-1990) mit Oscar-Preisträgerin Jane Wyman (Schweigende Lippen) in der Hauptrolle einer herrschsüchtigen Weingutbesitzerin und weiterem Hollywood-Adel wie Mel Ferrer, Rod Taylor, Kim Novak, Lana Turner und Leslie Caron in Nebenparts. Doch während die Weinbaugebiete im fiktiven Tuscany Valley in der Serie lediglich als pittoreske Kulissen für dramatische Liebesabenteuer und Intrigen dienten, befasst sich Der Wein und der Wind wesentlich intensiver mit den Besonderheiten der Weinproduktion.

So wird erkennbar, dass die Herstellung von Wein ein ziemlich harter Vollzeitjob ist, der viel Wissen und Gespür erfordert. Der Verlauf eines Erntejahres wird in den Naturaufnahmen des Kameramanns Alexis Kavyrchine mit den passenden Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterfarben zum Ausdruck gebracht. Die Darstellung der Bewirtschaftung erreicht zuweilen eine fast dokumentarische Anmutung und wird stimmig mit den Konflikten von Jean, Juliette und Jérémie kombiniert. Das Trio ist wiederum bei allem trennenden Zwist durch die tiefe Verwurzelung in der Tradition des Weinbaus und durch eine gemeinsame, von früher Kindheit an erlernte Weinfachsprache unauflöslich miteinander verbunden.

„Der Wein und der Wind“ (c) Studiocanal

 

Der US-Indiefilm Bottle Shock (2008) von Randall Miller schildert nach einer wahren Begebenheit, wie das Vater-Sohn-Duo Jim (Bill Pullman) und Bo Barrett (Chris Pine) im kalifornischen Napa Valley Mitte der 1970er Jahre Wein anbaut. Deutlich erfolg- und einflussreicher war indes ein paar Jahre zuvor ein anderes Werk, das das Wein-Sujet ebenfalls im Bundesstaat Kalifornien verortet: Alexander Paynes Romanverfilmung Sideways (2004).

 

Zwei Betrunkene in Kalifornien

„I didn’t think anybody was going to care about a movie about two drunks in California“, gestand Hauptdarsteller Paul Giamatti in einem Interview. Der Film avancierte jedoch zum Arthouse-Hit. Im Mittelpunkt des Geschehens steht der geschiedene Lehrer und Weinliebhaber Miles (Giamatti), der sich seit Jahren als Schriftsteller versucht – sowie sein Kumpel Jack (Thomas Haden Church), dessen Schauspielkarriere eher suboptimal läuft.

Als die beiden sich auf eine Reise in die kalifornischen Weinanbaugebiete begeben, lernen sie zwei interessante Frauen, verkörpert von Virginia Madsen und Sandra Oh, kennen – und drohen noch tiefer in die Midlife-Crisis zu geraten. Ein kleines, melancholisches Meisterstück, in dem das Weinglas gewissermaßen zum Grundrequisit jeder einzelnen Kameraeinstellung gehört. Prost!

„Sideways“ (c) Twentieth Century Fox of Germany GmbH

 

Nicht minder tragikomisch-unterhaltsam ist die neueste Arbeit des südkoreanischen Autorenfilmers Hong Sang-soo, deren Schauplatz das mehrstöckige Haus der Innenarchitektin Ms. Kim (Lee Hye-young) ist. Während in Hong Sang-soos Werken sonst oft der Konsum von Bier dafür sorgt, dass die Gespräche zwischen den Figuren manchmal recht abrupt vom Belanglosen, Fröhlichen zum Ernsthaften, Bitteren (und wieder zurück) wechseln, ist es in Walk Up (2022) der Weingenuss.

Der Wein strukturiert hier die Dialoge. „Kein Wein mehr…“, heißt es an einer Stelle – weshalb die Konversation prompt unterbrochen werden muss, um neuen zu beschaffen. „Lasst uns anstoßen!“ oder „Lasst uns trinken!“ wird hastig ausgerufen, wenn die Stimmung zu düster zu werden droht. „Noch eine Flasche?“, lautet die Frage, um zu signalisieren, dass schwere Themen wie Angst oder Glaube noch nicht ausreichend beackert wurden. Und am Ende, nach vier geleerten Flaschen, bleibt die Erkenntnis: „Wir haben wirklich zu viel getrunken…“ Zur völligen emotionalen Eskalation, wie beispielsweise in Das Fest (1998) von Thomas Vinterberg oder The Party (2017) von Sally Potter, kommt es bei Hong Sang-soo hingegen nicht.

„Walk Up“ (c) FINECUT Co., Ltd

 

In einigen Filmen geht der Genuss von Wein oder die Beschäftigung damit mit charakterlichen Entwicklungen der Hauptfiguren einher. So etwa in Unter der Sonne der Toskana (2003) von Audrey Wells und Paris kann warten (2016) von Eleanor Coppola, beide mit Diane Lane im Zentrum. Ein gutes Jahr (2006) von Ridley Scott wirbt gar mit der Tagline „Everything matures… eventually“, die den Reifeprozess beim Wein und beim Menschen zusammenbringt.

 

Überfluss, Vergnügen, Schurkerei, Sucht- und Frustmittel

Der rote und weiße Rebensaft kann als Zeichen dekadenter Ausschweifung eingesetzt werden, wie in Caligula – Aufstieg und Fall eines Tyrannen (1979) von Tinto Brass, oder kann die (harmlosere) Amüsier- und Entspannungswilligkeit der Figuren unterstreichen, wie zum Beispiel in Woody Allens Vicky Cristina Barcelona (2008). Er kann sein Personal in einem sozialen Milieu verankern, wie dies in so unterschiedlichen Werken wie Der Diener (1963) von Joseph Losey, Lügen und Geheimnisse (1996) von Mike Leigh, Das Hausmädchen (2010) von Im Sang-soo oder The Kids Are All Right (2010) von Lisa Cholodenko gelingt.

„Lügen und Geheimnisse“ (c) Studiocanal

 

Ebenso kann er als klares Accessoire antagonistischer Figuren fungieren, um deren Snobismus zu bekräftigen, wie beim eiskalt-mörderischen New Yorker Investmentbanker Patrick Bateman (Christian Bale) in Mary Harrons Romanverfilmung American Psycho (2000) oder beim garstigen Restaurantkritiker Anton Ego in Brad Birds Ratatouille (2007). Er kann einen Gegenspieler allerdings auch überführen, wenn der distinguierte Held über mehr Weinkenntnis verfügt und daher eine Hinterlist durchschaut – wie in James Bond 007 – Liebesgrüße aus Moskau (1963) von Terence Young, in dem der zwielichtige Donald „Red“ Grant (Robert Shaw) den Fauxpas begeht, Rotwein zu Fisch zu trinken. Da weiß Bond (Sean Connery) natürlich sofort Bescheid!

Schließlich kann unkontrollierter Weinkonsum auch den fragilen Zustand einer Figur veranschaulichen, etwa in den Mystery-Krimis Girl on the Train (2016) von Tate Taylor oder The Woman in the Window (2021) von Joe Wright, deren klischeehafte Holzhammermethoden wiederum in der herrlichen Netflix-Miniserie The Woman in the House Across the Street From the Girl in the Window (2022) parodiert werden. Darin erträgt die vom Schicksal gebeutelte Anti-Heldin Anna (Kristen Bell) ihren suburbanen Alltag nur noch mit reichlich Wein in überdimensionierten Gläsern – und hat dadurch einen riesigen Berg an Korken in der Küche angesammelt. Such a shame…

„The Woman in the House Across the Street From the Girl in the Window“ (c) Netflix

 

Ob bei Liebespaaren oder Geschwistern in Frankreich, ob bei zwei „drunks in California“ oder einer illustren Runde in Südkorea, ob bei Feiernden, Fiesen oder Verzweifelten – der Wein scheint aus ihren Geschichten einfach nicht wegzudenken zu sein.

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