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Kolumnen

...und bitte!: Kino vs. Sommer 1:1

Ein Beitrag von Kirsten Kieninger

Es ist wieder so weit. Jedes Jahr um dieselbe Zeit: Die Sonne steht hoch am Himmel, die Filmfestivals des Sommers stehen vor der Tür! Und da haben wir sie schon: die Andeutung des Dilemmas, das alle professionellen und/ oder passionierten Filmfreunde kennen.

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James Tissot - "La partie carrée"
James Tissot - "La partie carrée"

„Die Tür“. Sie schließt das eine vom anderen aus. Draußen ist Sommer, drinnen ist Kino. Draußen ist es gleißend hell, drinnen bahnen sich durch das Dunkel des Saals die Filmbilder ihren Weg auf die Leinwand. Draußen brennt die Sonne vom Himmel, drinnen ergießt sich eiskalte Klimaanlagenluft von der Decke.

Diese diametral entgegengesetzte klimatische Ausrichtung der Lebensräume „Kinosaal“ und „Draußen-vor-der-Tür-ist-Sommer“ bedingt eine spezielle Berücksichtigung in der Filmkritiker-Routine. Zusätzlich zu Notizblock, Stift und (wer nicht ohne kann:) Taschenlämpchen gehören dann für ein Filmfestival unbedingt folgende — überlebenswichtige — Utensilien ins Handgepäck:

 

1. Schal, Halstuch

Wenn der eisige Luftschwall der Klimaanlage sich mal wieder direkt über dem eigenen Kinosessel, d.h. Kopf, ergießt, sorgen 90 Minuten ohne dieses Accessoire garantiert für drei Tage steifen Hals. Sehr ungünstig, denn ein solcher zwingt in der Folge zur Sitzplatzwahl in der Reihenmitte, welche doch ansonsten gerne zugunsten der bei umtriebigen Kritikern beliebten Randplätze vermieden wird.  Man möchte ja unbedingt in der Poleposition sein, um nach (oder schon während) dem Film aus dem Kino und in die nächste Vorstellung zu eilen. Gut zu beobachten übrigens während der zweiten Festivalhäfte: Wenn vermehrt Leute aus der Reihenmitte die Umsitzenden schon während des Abspanns (oder besser noch: Mitten im Film) zum Aufstehen nötigen, weil sie gen Ausgang streben, dann sind darunter mit hoher Wahrscheinlichkeit solche Kandidaten, die ohne Schal im Sessel saßen und jetzt auf ihren angestammten Außenplätzen die Blickachse nicht mehr Richtung Leinwand gedreht kriegen. Oder eben nur gedreht kriegen, wenn sie den ganzen, am steifen Hals festsitzenden Körper mitdrehen. Das sind dann die, die den Luxus eines Außenplatzes nicht nutzen, um die Beine in den Gang zu strecken, sondern sie vehement mit ihrer steifen Blickachse in Richtung Leinwandmitte ausrichten müssen, wovon sie auch das Knie des Nebensitzers nicht abhält. Also bitte: Schal nicht vergessen!

 

2. Sonnenbrille

Ganz wichtig! Denn der Schock ist gewaltig. Besonders morgens um 11 Uhr nach der ersten Pressevorführung. Aus dem Dunkel ans Licht. Aus dem gedämpften Kinosaal in den gleißenden Trubel der Straßen. Um nicht allzu verblitzt und verblinzelt herumzustolpern, empfiehlt es sich, die Brille schon beim Weg aus dem Kino griffbereit zu haben. Wenn es sich vor dem Kinoausgang mal wieder staut: das sind die Leute, die ihre Sonnenbrillen noch nicht zur Hand oder auf der Nase haben und jetzt vor dem gleißenden Licht zurückschrecken wie ein glitzernder Vampir.

Übrigens auch ein hilfreiches Utensil, wenn es einem mal wieder — bei einem ansonsten nicht weiter erwähnenswerten Film — zu den fetten Streichern des Soundtracks ein paar Tränen der Rührung aus den Augen geleiert hat, die so gar nicht zum Antlitz des professionellen Kritiker passen wollen. Sonnenbrille drauf, Gesicht gewahrt!

 

3. Socken

Ja, richtig gelesen: Socken! Besonders wenn man in Sandalen oder Flip-Flops unterwegs ist, gehören im Hochsommer Socken zum hochprofessionellen Überlebens-Kit des Kritikers! Muss man sich nicht dafür schämen, dass man sich die Füße wärmen will, im Kino, im Dunkeln. Und nur dort! Socken gehören dezent in der Tasche verstaut und erst dann unauffällig übergezogen, wenn das Saallicht schon gedimmt ist. So kann man warmen Fußes dem kühlendsten Gebläse standhalten. Aber nicht vergessen: Ausziehen, bevor das Saallicht wieder angeht. Auf jeden Fall, bevor man wieder ans Tageslicht kommt. Denn Socken in Sandalen im Licht der Sonne betrachtet…

Socken in Sandalen, damit sind wir mittendrin im Thema „Freud und Leid bei Filmfestivals im Sommer“. Eine Freude ist es beispielsweise, beim Filmfestival in München zwischen den Filmen die Füße in der Isar zu baden. Leidvoll dagegen die nicht seltene Erfahrung, dass der/die Sitznachbarin im Kino die Füße eher länger nicht gebadet hat, jetzt aber im Kinodunkel lüftet. Viele tun dies dezent unter den Sitz des Vordermanns gestreckt, manch einer (oftmals eine) ziehen die Füße auf die eigene Sitzkante hoch und machen es sich wie Pippi Langstrumpf gemütlich — nur eben ohne Strümpfe.

Ja, im Hochsommer geht es locker zu bei Filmfestivals. Auch die „Ich-muss-schnell-in-die-nächste-Vorstellung“ Moral ist deutlich legerer als im Winter, wenn einen z.B. bei der Berlinale der eisige Wind am Potsdamer Platz schnellstmöglich wieder ins kuschelige Kino treibt. Aber in München z.B…. Die Entscheidung: „Biergarten oder belgische Komödie?“ ist eine echte Gewissensfrage — und geht gerade in den sonnigen Nachmittagsstunden gerne 1:0 für Biergarten aus. Erschwerend kommt ja auch noch alle vier Jahre die Fußball WM dazu, die traditionell immer zeitgleich mit dem Filmfest München ausgetragen wird und deshalb zu spannenden Duellen wie „zweite Halbzeit oder Erstlingsfilm?“ herausfordert. Da sich Biergarten und Fußball dank Public Viewing perfekt verbinden lassen, müssen sich die Publikumsvorstellungen des Filmfests harter Konkurrenz stellen. Nur gut, dass die meisten Pressevorführungen morgens und mittags laufen, da kann der Fußballfreund im Kritiker die Arbeitsmoral noch nicht ins Abseits locken.

Open Air beim FFMUC2015; Copyright: Filmfest München
Open Air beim FFMUC2015; Copyright: Filmfest München

Die fast perfekte Lösung für ein Sommerfilmfestival hat übrigens das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen gefunden. Das liegt zwar nicht an der Isar, aber immerhin am Rhein. Idyllisch auf einer kleinen Halbinsel vis-a-vis von Mannheim gelegen, sind hier Draußen und Drinnen nicht streng getrennt. Keine dunklen Kino-Katakomben, sondern lichtdurchflutete Zelte. Man stelle sich eine Miniatur-Version des Oktoberfests für Filmfreunde vor: Es gibt Bier, es gibt Brezeln und es gibt bodenständige Komödien. (O.k., es gibt auch andere deutsche Filme und es gibt auch Wein und was Anständiges zu Essen — aber die Alliteration wollte bedient werden.) Die Filme werden in extra verdunkelten Zelten konsumiert. Was ganz gut funktioniert, wenn der Sommerwind nicht allzu stark an den schwarzen Stoffbahnen zuppelt. Oder der Sommerregen so laut auf die Plane prasselt, dass die Tonspur dagegen absäuft. Oder die schweren Schiffsmotoren der Tanker auf dem Rhein gerade mitten durch die stille Szene stampfen. Oder die Fußballfans im Zelt nebenan lauter Jubeln als der Filmsoundtrack spielt. Aber vielleicht macht genau das den Charme des Filmfestivals in Ludwigshafen aus, dass man alles gleichzeitig haben kann: Sommerbrise, Biergarten, Fußball und sogar noch Filme.

Ich für meinen Teil werde nach der ersten Halbzeit des 3-wöchigen Festival-Events am Rhein Schal, Sonnenbrille und Socken in die Koffer packen und in München acht Tage lang die Füße in der Isar baden. Will sagen: ernsthaft ins Kino gehen. Und vielleicht auch mal in den Biergarten …

Kirsten Kieninger ist Filmkritikerin und schämt sich nicht dafür, im Kinosommer immer ein paar Socken in der Tasche zu haben.

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