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Die lähmende Schuldfrage – Holocaust und Erinnerungspolitik in der BRD

Ein Beitrag von Beatrice Behn

Mit Leichtigkeit wird heutzutage von „der deutschen Filmgeschichte“ gesprochen und dabei negiert, dass Deutschland lange Zeit geteilt war. In unserer Jahresserie „Ost/West“ haben wir vor einiger Zeit nach Differenzen in der Filmgeschichte beider Staaten gesucht — auch im Hinblick auf die Darstellung des Holocausts. Teil zwei dreht sich um die BRD.

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Bild aus "Holocaust"
Bild aus "Holocaust"

Kein Thema prägt die deutschen Filmgeschichten beider Seiten so sehr wie ihre gemeinsame Vergangenheit. Das Nazi-Regime, der Zweite Weltkrieg und die dort begangenen Gräueltaten sind integraler Bestandteil der Selbstanschauung beider deutscher Staaten gewesen. Doch ein Thema sticht in deren filmischer Bearbeitung als großer neuralgischer Punkt hervor: der Holocaust. Sechs Millionen Juden wurden während des Zweiten Weltkrieges ermordet. Eine Zahl, die in ihrer Dimension bis heute dazu führt, dass diese Massenvernichtung als „unvorstellbar“ gilt und nur abstrakt vorstellbar ist. Außer natürlich man schafft Bilder und Geschichten für diese Abstraktion. Eine Aufgabe wie geschaffen für Film und Fernsehen. Wie die Medien beider Länder mit dieser Aufgabe umgingen, erkunden wir in einer zweiteiligen Reihe (Hier geht es zu Teil I).

 

Teil II: Die BRD — Es ist zu früh — jetzt ist’s zu spät

War in der DDR die Vokabel „Völkermord“ gang und gäbe, um den Holocaust zu beschreiben, so bedurfte es in der BRD erst die US-amerikanischen Serie Holocaust, um überhaupt ein Wort für das zu finden, was man entweder nicht aussprach oder weiterhin mit dem Nazi-Jargon „Endlösung“ benannte. Ganz ähnlich gelagert ist die filmische Erinnerungspolitik der BRD, die allerdings im Gegensatz zur DDR und deren Abschirmung auch von anderen Werken aus dem Westen beeinflusst wurde.

Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der BRD wird vor allem von der Frage der Schuld und Wiedergutmachung bestimmt, die die BRD leisten sollte. An wirklicher Aufarbeitung war man indes lange Zeit nicht interessiert. Auf politischer und juristischer Ebene wurde sie durch die Alliierten forciert und lief in zwei Wellen: Anfang der 1950er Jahre fand sie ihren Höhepunkt in den Nürnberger Prozessen, die allerdings riesige Blindstellen aufdeckten und den Wunsch förderten, nach ihrem Ende alles für beendet und erledigt zu erklären. Es gab eine Sehnsucht, der Realität zu entfliehen, und sie spiegelte sich auch im Kino wider, welches vor allem aus Heimatfilmen und älteren Werken – ja, auch aus der Nazi-Zeit – bestand, die nicht von den Alliierten verboten wurden. „Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder“ – ein Lied aus Der Kongress tanzt (1931) war das psychologische Programm. Kommt Kinder, nun ist’s vorbei, lasst uns vergessen!

Doch so einfach war das nicht mit dem Vergessen, dafür sorgten nicht nur Re-Education-Programme, sondern auch die Auseinandersetzungen mit dem Holocaust, die im Ausland stattfanden. Auch wenn die Bundesrepublik zu intervenieren versuchte, zeigte das Cannes Filmfestival 1956 die Uraufführung von Alain Resnais’ Auschwitz-Dokumentarfilm Nacht und Nebel.

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Trailer zu Nacht und Nebel

 

Auch im Inland kam das Thema wieder. 1958 mit den Auschwitz-Prozessen, deren Details zumindest bei einigen den Wunsch hegten, kritischer mit der Vergangenheit umzugehen. Doch dazu kam es nicht. Schon 1965 erklärte Kanzler Ludwig Erhard den Prozess für beendet und deklarierte das Ende der Nachkriegszeit. Die BRD war im Aufschwung, die guten Zeiten brachen an und gleichsam fühlte sie die Enge der neuen Zeiten. Im Osten der große sozialistisch-kommunistische Block, im Westen die Alliierten, zu denen man nun im demokratischen Sinne gehören wollte. Der neue Antikommunismus half auch als Entlastungsmechanismus, fühlten doch die meisten Westdeutschen, dass das Ulbricht-Regime im Osten schlimmer ist als das der Nazis von vor 20 Jahren.

„Zwanzig Jahre sind genug …“, deklarierte auch Willy Brandt 1965. Im gleichen Jahr wird das KZ Dachau nach massiven Drängen der Überlebenden eher widerwillig zur Gedenkstätte deklariert. Ansonsten schwieg man lieber und sah sich selbst als Opfer. In Sachen Gedenken und Erinnerungspolitik konzentrierte man sich in der BRD, auch in Film und Fernsehen, nicht auf den Holocaust, nicht auf die Toten, sondern nur auf das „eigene Opfer“. Das Gedächtnis, es wurde entsorgt.

So lässt sich auch in Sachen Film und Fernsehen eine langanhaltende Phase der Ausklammerung erkennen, die den Holocaust fast gänzlich umschifft und sich lieber auf das Eigene konzentriert. Schuld daran ist allerdings auch ein staatliches Diktum. Zwar gab es nicht wie in der DDR eine Zensur, doch die staatlichen Gremien und Genehmigungen, die ein Film einholen musste, sorgten dafür, dass die Vergangenheit lieber nicht angesprochen wurde. Und trotzdem fand eine Auseinandersetzung statt. Zumeist nur in kleinen Momenten und Allegorien, die schnell wieder untergingen. Taten sie es nicht, wie in Wolfgang Staudtes Schwarzer Kies (1961), gab es Probleme. In der Premierenfassung gibt es eine kurze Szene, in der ein Mann als „Judensau“ beschimpft wird. Als er sich abwendet und geht, zeigt die Kamera kurz eine tätowierte Nummer auf seinem Arm.

Der Moment führte zum Eklat auf beiden Seiten. Die Deutschen erinnerte es an den eigenen Charakter, noch 15 Jahre vorher war Antisemitismus gang und gäbe. Aber auch von jüdischer Seite wurde ob der Beleidigung protestiert, verstand man damals nicht, dass diese Szene nicht antisemitisch in sich selbst sein sollte, sondern den noch immer schwelenden Antisemitismus der Westdeutschen spiegelte. Staudtes Film wurde bereinigt, er kam ohne diese Szene in die Kinos. Staudte selbst galt da schon als Nestbeschmutzer, weil sein Film Kirmes (1960) ein Jahr zuvor buchstäblich die Schuldfrage und die Leichen der Deutschen ausgegraben hatte. Eine ähnliche, demonstrativ antisemitisch inszenierte Szene in Helmut Käutners Der Rest ist Schweigen (1959) wurde aber durchgewunken. Es wurde immer schwieriger, diese Themen überhaupt anzureißen, dabei wurden das jüdische Schicksal oder der Holocaust noch nicht einmal direkt angesprochen. Dennoch kamen sie in allegorisierter Form und vor allem in Kombination mit der Schuldfrage immer wieder vor.

Das psychologische Nadelöhr war die doppelte Betroffenheit der Deutschen. Der direkteste Film in Sachen Holocaust und Erinnerungspolitik ist Egon Monks Ein Tag (1965), ein Fernseh-Dokudrama, dass im Brecht’schen Stil einen Tag in einem fiktiven Konzentrationslager zeigt. Allerdings unterlässt der Film es, die Insassen und deren Arrestgründe zu definieren. Das jüdische Schicksal geht so im Schicksal der vielen Unbekannten auf.

Ein Tag - Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939
Bild aus Ein Tag — Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939; Copyright: NDR

 

Eine Annäherung versucht auch ein anderer Film: Arthur Maria Rabenalts Solang‘ es hübsche Mädchen gibt (1955) ist eigentlich ein Musikfilm, der am Ende mit einem wunderbaren Happy End für die Deutschen daherkommt. In einer Rückblende zeigt der Film die Nachkriegszeit der Familie Lerch, die ausgebombt wurde und in der Wohnung unter sich, die der jüdischen Familie Müller-Wiesenthal gehört, Unterkunft findet. Praktischerweise gehören die Lerchs zum im Film gern gesehenen Schlag der „guten Deutschen“, die den jüdischen Nachbarn zur Flucht in die USA verhalfen. Doch nun, wo sie nicht wissen, ob die Wiesenthals noch leben oder zurückkommen, stehen sie vor der Frage, ob sie die Wohnung verlieren. Und wie sich ernähren? Als Opfer des Krieges erlauben sie sich, die Möbel der Nachbarn zu veräußern, um die eigene Haut zu retten. Doch bald scheint es. als kämen die jüdischen Nachbarn wieder. Was tun, wenn man dann doch vom Elend der anderen profitiert hat? Was tun, wenn die Juden zurückkommen? Der Film findet darauf eine absurd glückliche Antwort. Aus Dankbarkeit schenken die Müller-Wiesenthals all ihr Hab und Gut den armen Deutschen.

Überhaupt wurde das Vehikel, die „guten Deutschen“ und Widerständler in den Mittelpunkt zu stellen, gern genutzt. Im Fernsehfilm Der Schlaf der Gerechten (1962) wird eine nicht-jüdische Metzgerin dazu verdonnert, den Juden Essensrationen zuzuteilen. Ihre ablehnende Meinung ihnen gegenüber ändert sich, als sie sie näher kennenlernt. Sie versucht zu helfen. Als sie von der Gestapo verhaftet wird, gesteht sie. Der Widerstand ist hier stets der der „kleinen Leute“. Sozialistisch-kommunistischer Widerstand wird im Westen bis weit in die 1970er Jahre ausgeblendet.

 

Neue Versuche im Neuen deutschen Film

In den 1960er Jahren kommt ein Umbruch. Die junge Generation der Söhne und Töchter wollen Antworten und suchen sie auch im Kino und Fernsehen. Doch dort findet sie vor allem Restriktionen und Ignoranz. Die Rebellion beginnt mit dem Entsagen an „Papas Kino“, mit den Fragen an die Eltern, was sie im Krieg gemacht haben. Das Oberhausener Manifest eröffnet neue Ideen für ein unabhängiges Kino, das sich auch mit der Frage der NS-Zeit und des Holocausts auseinandersetzen will. Die Filme werden offener, radikaler und doch wird der Holocaust weiterhin meist am Rande und immer noch als das Unzeigbare geführt. Alexander Kluges Abschied von Gestern (1966) sucht die Vergangenheit in der Gegenwart und erzählt von der Jüdin Anita, die durch die Deportation ihrer Großeltern, die sie als Kind erlebte, traumatisiert wurde. Sie kann sich nach dem Krieg deshalb nicht im Wirtschaftswunder-Deutschland eingliedern. Kluge sucht nach Bildern für die Doppelmoral, die dem Gedächtnis der Opfer keinen Raum geben. In Der junge Törless (1966) unternimmt er einen ähnlichen Versucht und erzählt von einem jüdischen Jungen, der im Internat misshandelt wird, während die deutschen Schüler schweigen. Doch auch im Neuen Deutschen Film bleibt der Fokus auf den Deutschen. Dies ändert sich erst schlagartig mit einer US-amerikanischen Serie: Holocaust.

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Trailer zu Der junge Törless

 

Es ist das Jahr 1979. Eben noch hat man Roots, eine Fernsehserie über den amerikanischen Sklavenhandel, zusammen im Fernsehen gesehen und sich bei Bonanza im Wilden Westen gewähnt, da kommt von den gleichen Machern und im gleichen trivialen Unterhaltungsstil eine Serie, die alles ändern soll. Schon Monate vor der Ausstrahlung gab es Auseinandersetzungen, ob man sie überhaupt kaufen und zeigen sollte, spielte sie doch im Zweiten Weltkrieg und nicht nur auf Seiten der Deutschen, sondern vor allem der jüdischen Familie Weiss, die exemplarisch alle wichtigen Stationen bis hin zu Vernichtung in der Gaskammer durchläuft. Da waren sie plötzlich, die Bilder, die stets umschifft wurden, die keiner zu zeigen wagte. Ganz plakativ und mit einer Dramaturgie, die auch Werbepausen mitten im Holocaust einrechnete, flimmerte zum ersten Mal die Judenvernichtung in all ihrer Massivität am Beispiel einer Familie in die deutschen Wohnzimmer. Und zwar ohne Happy End. Von der Großfamilie bleibt am Ende nur einer übrig, die anderen verrecken. Doch nicht nur das. Ihr Schicksal wird dem der Familie Dorf gegenübergestellt, die sich vor allem aus Opportunismus den Nazis anschließt und direkt beteiligt ist an der Ermordung der Weiss’ und vieler anderer.

Holocaust und vor allem das massive aufklärerischer Begleitprogramm wurde von 20 Millionen Deutschen gesehen. Das Medienereignis sorgte erstmalig für breiten Diskurs. Tausende Briefe und Anrufe erhielten die Rundfunkanstalten, obwohl sie den Fünfteiler nur auf den Dritten Programmen ausstrahlten. Schon lange hatte sich ein Durchbruch des Schweigens angebahnt, Holocaust war der Katalysator zum Dammbruch. Sogar politisch bewirkte die Serie eine Änderung. Nach der Ausstrahlung war die Mehrheit der West-Deutschen plötzlich gegen eine Verjährung von Mord und wünschte sich offen eine Wiederaufarbeitung und Bestrafung noch lebender Nazis. Der Prozess der 1960er und 1970er Jahre, der vor allem durch die neue Generation angetrieben wurde, kulminierte in den amerikanischen Bildern und änderte das Verständnis des Holocausts, der Schuld und doppelten Betroffenheit nachhaltig. Ein Prozess der Akzeptanz und Aufarbeitung begann sich zu etablieren, der in Film und Fernsehen vor allem erst einmal durch den Rückgriff auf Dokumentarfilm-Material begann, da man so der Authentizitäts- und Darstellbarkeitsdebatte entfliehen konnte.

Im fiktionalen Film löst sich ebenfalls ein Knoten. Das Thema Holocaust kommt mehr zum Einsatz, allerdings meistens peripher. Jüdische Schicksale werden endlich ausgelotet, doch oftmals mit Hilfe von Geschichten, die die Vernichtung nur streifen. Jerzy Hofmans Film Blutiger Schnee (1984) erzählt die Geschichte der jungen Jüdin Ruth, die mehrere Erschießungen und Abtransporte ins KZ überlebt und fliehen kann. Exemplarisch ist sie Zeugin der Vernichtung, ohne selbst vernichtet zu werden. Doch der Film erlaubt sich kein Happy End. Ruths Schicksal bleibt am Ende unaufgelöst. Produzent Artur Brauner, dessen eigene Erfahrungen hier mit in die Handlung eingeflossen sind, erlaubt dem Werk nicht, dass es zur Heilsbringung für das Publikum wird. Im Holocaust gibt es eben kein Happy End. Überhaupt muss Artur Brauner als einer der wenigen deutschen Akteure genannt werden, die das Thema weiter verfolgten. 21 seiner Produktionen weisen eine Auseinandersetzung mit der Shoah auf — bis heute kann das kein anderer Produzent in Deutschland von sich behaupten. Noch 1990, kurz nach der Wende, kommt seine Produktion Hitlerjunge Salomon (1990) ins Kino, die die ebenfalls wahre Geschichte eines jüdischen Jungen erzählt, der sich erfolgreich als Deutscher ausgeben kann und zum Hitlerjungen wird.

Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust mündet aber auch in den 1980er Jahre weiterhin in einer Auseinandersetzung mit der Schuld und der Idee des guten Deutschen und drängt somit den jüdischen Genozid wieder an den Rand der Erzählung. Herbert Achternbuschs Das letzte Loch (1981) ist ein interessantes Beispiel dafür. Sein Protagonist Nil verzweifelt an seinem Leben im „Mörderland“, als er, der Privatdetektiv, bei seinen Ermittlungen auf die Ermordung der europäischen Juden durch die Nazis stößt. Die direkte Konfrontation mit der Realität des Holocausts lässt ihn verzweifeln. Wie damit leben? Sein Arzt verschreibt ihm 30.000 Liter Schnaps: „Bei 2cl vergessen Sie einen Juden“, sagt er ihm. Doch Nil, als einer der ersten deutschen Filmfiguren, will nicht mehr vergessen.

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