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Christoph Schlingensief - Requiem auf den Blitzpuff-Meister

Ein Beitrag von Paul Poet

Entgrenzer. Durchlauferhitzer. Germanisches Regie-Genie. Hysterikalen-Erbauer. Daseinsverwirrer. Überreizer. Ein Punkrock-Gottschalk am laufenden Band der Welt-Provokationen. Heute wäre er 58 geworden. Vor acht Jahren ist er an sich selbst verbrannt. Ein Zögling weint. Oder so.

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Ausländer raus! Schlingensiefs Container - Bild
Ausländer raus! Schlingensiefs Container - Bild

Sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst. Ein wundereinziger Plakat-Sinnspruch. „Das deutsche Kettensägenmassaker“ (1990), sein früher Kino-Hit. Wiedervereinigung. Fremdenhass. Rechtsruck. Nationalistische Selbstbefleckung. SchwarzRotGold – eine konstante Groteske. Christoph Schlingensiefs Basis-Rezeptur, scheißegal ob Kino, Aktionismus, Theater oder große Oper, das war Real-Politik, Pulp, Querschläger-Pop, Alltag und Hochkultur durch einen selbst- wie fremdverstörenden Reißwolf zu jagen. Ein Schau-Chaos, einzig zusammen gehalten von seiner feixenden Zirkusdirektoren-Hand. Brennende Asylheime und Obdachlosenversteigerung mutierten zum atemlosen Kessel Buntes mitten in die eigene Volksfresse. Immer swingend, immer schwingend, immer lustig, mit dem Messer an der Kehle. Sieh nur hin, Teutone! Wollt ihr den totalen Mief? Hossa!

Ich war Splatter-Fan und Punk-Baby am hinteren Ende der Pubertät, als mich dieses Kettensägenmassaker im verblichenen Margaretner Movie-Kino überwältigte. Obwohl ich gar nicht einverstanden war. Viel zu zappelig. Inkonsequent. Verblödelt. Nervtötend. Zu wenig Genre. Zu wenig Messerstich ins Publikum. Doch die Rezeptur hatte mich angefixt. John Waters trifft Pasolini trifft Tagesschau. Die perverse Familie trifft Film als offenes sakrales System trifft den unernsten Ernst des Lebens. Leatherface ist Anchorman. Alle kotzen. Alle lachen. Bis die Sachen auseinander krachen. Christophs Super8-Rabauken-Stücke davor, Tunguska, Menu Total, Egomania, Mutters Maske, halfen bei der VHS-Nachsichtung wenig, an der Meinung was zu ändern. Da konnten Udo Kier, Tilda Swinton, Alfred Edel noch so oft durchs Bild hampeln. Jonny brennt! Jonny brennt! Ich hatte verdammt wenig Ahnung davon, dass ich eine Dekade später Seite an Seite mit Christoph auf einem Konzentrationslager-Imitat neben der Wiener Oper stehen würde. Als Mitgestalter. Als Familienmitglied. Als fast so was wie ein Freund. 

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Seinen kometenhaften Aufstieg als Theatermacher an der Volksbühne Berlin, beginnend 1993 mit 100 Jahre CDU – Spiel ohne Grenzen, seine drei blitzbrillanten Meisterfilme 100 Jahre Adolf Hitler (1989), Terror 2000 (1992) und United Trash (1996), besser und bösartiger wurde deutsches Kino selten bis nie, der Glotzenkult um seine TV-Schau Talk 2000: All das passierte in meiner Wahrnehmungs-Peripherie. Bis zur „Chance 2000“, als das Prinzip Schlingensief den eigenen Rahmen sprengte: Christoph trat in den echten Bundestagswahlkampf mit einer Partei der Verlierer und des Scheiterns als Chance ein. Obdachlose, Behinderte, Zirkustiere mimten ganz im Geiste von Buñuels Viridiana die Parlamentarier der Zukunft. Tötet Helmut Kohl! Tötet Europa! Promis spendeten. Der Boulevard rebellierte. Satire wurde Realität und umgekehrt. Und ich, ich war endlich in Flammen.

März 2002. Diagonale-Filmfestival Graz. Wenige Minuten vor der Premiere meines Kino-Debüts Ausländer raus! Schlingensiefs Container über Christophs mittlerweile berühmteste Aktion mit den Big-Brother-Abschiebe-Containern in Wien, deren Online- und Multimedia-Regisseur ich wurde. Er, das stets muntere, ansteckende Energiebündel, der unkaputtbare Aufrührer, stürzte mit aufgeplusterten Micky-Maus-Händen und hochrot geblähtem Kopf auf mich zu: Ich muss ins Krankenhaus! Du schaffst das schon! Toxischer Schock! Kurz darauf war er weg. Und erst spätnachts klingelte mich seine Stimme aus dem Schlaf, randvoll mit Cortison. Entschuldigte sich. Erklärte, mein Film wäre der „absolut beste Film über ihn“ und lud mich ein, einen weiteren Film über ihn zu drehen. Plötzlich hatte ich ihn vor mir, wie er übermütig das Hakenkreuz durch die knackvolle Kärntner Straße tanzte. Sein feixendes Grinsen, als mir ein erboster spanischer Tourist unter dem „Ausländer raus!“-Schild des Containers in die Fresse schlug und ich diesem sanft, mit Blut ums Maul zu erklären begann, dass die Aktion nicht der neue Faschismus wäre, sondern dessen Offenlegung. No me interesa.

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Über zwei Jahre begleitete ich ihn. „Ich, Schlinge“ sollte der neue Film heißen. Kein Aktionsfilm, sondern ein Portrait vom Künstler am Wendepunkt, mit Kopfsprung hinein vom angeblichen „Berufsprovokateur“ in die nasalen Weihen der größten Bühnen und Museen der Welt. Die Filmförderung ließ mich als „Nestbeschmutzer“ scheißen gehen. Der Erfolg meiner ersten Doku bei Festivals und im deutschen Kino wurde in Österreich nicht mal abgedruckt. 

Trotzdem begleitete ich Christoph, anfangs noch mit Kameramann, dann allein mit MiniDV: Pfahlsitzen bei der Biennale von Venedig. Sperrfeuer bei der Inszenierung von Elfriede Jelineks Bambiland am Burgtheater. Die Terrorsekten-Wanderung der Church of Fear durch‘s Rheinland. Nervenzusammenbruch am Schauspielhaus Zürich. Ich höre noch, wie Matthias Lilienthal mit Christoph in den Gardini lästert: Jetzt wirst du auch eine saturierte Sau, was? Ich spüre sein Handtuch auf meinen nackten Arsch klatschen, als er mir unter der Dusche am Campingwagenplatz von Venedig den Küchenschabenmann aus Men in Black vortanzte. 

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In Bayreuth war dann Schluss. Die Wagners geben meiner Doku Hausverbot. Das wenige Geld ist aus. Christoph inszeniert Parsifal. Und wird deutsches Weltkulturerbe. Staatspreis häuft sich in Folge auf Staatspreis. Opernbühne häuft sich auf Opernbühne. Ruhrpreis. Helmut-Käutner-Preis. Museum of Modern Art New York. Amazonas-Theater. Posthum der Goldene Löwe der Biennale. Posthum ein Bambi. Später wird Christoph behaupten, dort in Bayreuth hat sein Lungenkrebs begonnen. Ob es das war, sein seltenes Poser-Gerauche oder der Staub des Sony Centers, der ewigen Baustelle am Potsdamer Platz, die sich in so viele Berliner Lungen geätzt hatte, wir werden es nie erfahren. Es ist auch egal.

Der Anruf erwischte mich an einem stechend heißen August-Tag im FKK-Bad. Christoph war endlich tot. Ich wusste, dass er nur mehr an einer Maschine gehangen hatte. Wir hatten uns im Jahr davor bei Mea Culpa noch einmal kurz umarmt. Und wir wussten es. Kein letztes Aufbäumen. Maschine aus. Der ORF war am Apparat. Als letztes Requiem wollte man sich nun doch mal trauen, Ausländer raus!, den Giftschrank-Film, als Requiem auf den deutschen Staatskünstler auszustrahlen. Spätnachts und gut versteckt natürlich. Eine halbe Stunde später kommt die Absage des Senders, während ich noch immer traurig in die Sonne schaue. Bis heute sollte der Film dort unausgestrahlt bleiben. 

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Dafür leben wir in Europa, den USA, rundum den Erdball, heute diesen Rechtsruck real, den wir damals in den Aktionen noch karikierten. Ellenlang behaupten nun Menschen, die ihn damals angefeindet hatten, wie schade, unersetzbar, einzigartig Christoph war, wie sehr er die Welt von heute erlösen könnte. Aber leider. Chance aus. Diverse Kunstgruppen imitieren ihn, das Zentrum für politische Schönheit, die Burschenschaft Hysteria, Chto Delat, und machen sich gut im Feuilleton und auf Facebook. Es gibt Schlingensief-Straßen. Schlingensief-Schulen. Und der deutsche Staat ist stolz auf einen seiner kreativsten Söhne, während gleichzeitig die Unterstützung des Afrikadorfs, eine von Christophs letzten Aktionen, gestrichen wird.

Ich, ich kannte einen kleinen Apothekersohn aus Oberhausen, der immer im Mittelpunkt stehen musste und blendend anecken konnte. Immer wurde es laut. Immer machte es Spaß. Auch wenn‘s weh tat. Ab und zu träumte er ganz brav von Frau und Kind, von einem Leben, das er nicht bis in die letzte private Neige durchinszenierte. Und irgendwann verbrannte er an sich selbst. Und bleibt mit seinem hochkunstfertigen Blitzpuff-Gedöns doch der schönste Tor auf der Suche nach einem großdeutschen Glückstaler.

Christoph selbst sagt in der aktuellen Doku Chance 2000 – Abschied von Deutschland: „Ihr wart wunderbar. Ihr wart zwar nicht gut. Aber ihr wart wenigstens hier.“ 

Applaus! Bravo! Und jetzt: Polonaise …

 

FILMGALERIE 451 hat aktuell 5 weitere Titel einer opulenten Schlingensief-Gesamtedition veröffentlicht:

Chance 2000 (1998/2017)

Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir (2008)

Kunst und Gemüse (2004)

United Trash – Die Spalte (1995)

Egomania – Insel ohne Hoffnung (1986)

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