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Quo vadis, Genrefilm? – Ein Bericht vom HARD:LINE Festival in Regensburg

Ein Beitrag von Falk Straub

Genrefilmfans kommen in Deutschland immer häufiger auf ihre Kosten. Jede Woche startet ein neuer Streifen aus der Horror-, Science-Fiction-, Fantasy- oder Thrillersparte. Viele Multiplexe zeigen Sondervorführungen japanischer Animes, türkischer und russischer Blockbuster.

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Top Knot Detective
Bild aus "Top Knot Detective"

Und was es nicht in die Kinos schafft, ist meist auf DVD und Blur-ray, sei es von deutschen Anbietern oder als Import zu haben. Den Rest decken Filmreihen und Festivals ab, die auch manch bislang unentdeckte oder unzugängliche Perle im Programm haben. Dahinter stecken meist viel Mühe und kaum Ertrag. kino-zeit hat sich bei einem Vertreter aus der bayerischen Provinz einmal umgesehen und sich mit dem Macher unterhalten.

Wenn Florian Scheuerer vor das Publikum des Ostentor Kinos in Regensburg tritt, will er es nicht lange mit großen Reden aufhalten. Am liebsten sagte er gar nichts, ließe einfach die Filme für sich sprechen. Aus seinem Mund hört sich das aufrichtig an, nicht wie bloße Koketterie. Was er zu sagen hat, möchte dann aber keiner missen. Denn wenn Scheuerer erst einmal ins Reden kommt — ob vorne vor der großen Leinwand, ob dahinter im Austausch mit den Regisseuren, Schauspielern und Produzenten am Tresen der kleinen Kinokneipe oder direkt nebenan im Restaurant Chaplin -, dann gibt der Festivalleiter viel Erhellendes von sich. Seine Worte sind mit Bedacht gewählt, doch stets mit Nachdruck formuliert. Denn Scheuerer brennt für das Kino im Allgemeinen und den Genrefilm im Besonderen. Mit dem HARD:LINE Filmfestival will er über den Tellerrand hinausblicken, verkrustete Strukturen aufbrechen, neue Perspektiven aufzeigen und das Publikum damit vor allem nicht allein lassen.

Der 1980 unweit von Regensburg geborene Scheuerer ist der Kopf hinter all den helfenden Händen des Festivals, das exemplarisch für einen Großteil der deutschen (Genre-)Vertreter stehen könnte: mit einem Trägerverein von idealistischen Ehrenämtlern dank kommunaler Förderung und Sponsoren auf die Beine gestellt und stets mit der Ungewissheit behaftet, ob es im kommenden Jahr noch weitergeht. Für die Regensburger sieht es derzeit gut aus. Zwar sei die Veranstaltung auf die Kulturförderung der Stadt angewiesen, aber nicht komplett von ihr abhängig. Selbst wenn die Unterstützung ausbliebe, ließe sich das verlängerte Wochenende noch stemmen. Notfalls schrumpfe sich das HARD:LINE eben einfach wieder auf seine alte Größe zurück, meint der Macher.

Angefangen hat alles 2010 mit einer kleinen Reihe „diskutabler Filme mit hohem Gewaltgrad“, erinnert sich Scheuerer. Jeden letzten Samstag im Monat brachten der studierte Medien- und Kulturwissenschaftler, der nach der Uni für den Filmvertrieb MFA+ und für das Filmfest München arbeitete, und seine Mitstreiter einen Film in seiner angedachten Fassung auf die große Leinwand und suchten im Anschluss das Gespräch mit den Zuschauern. Gerade der Diskurs ist dem 36-Jährigen bis heute wichtig — eine Funktion, die das kommerzielle Kino derzeit nicht leisten kann oder will, was ein kurzer Blick in die Programme der Abspielstätten im Herbst 2017 bestätigt. Während die großen Multiplexe ihr Publikum mit einem Werk wie Darren Aronofskys mother! oftmals kopfschüttelnd bis verärgert zurück- und die Interpretation und Diskussion den Feuilletons überlassen, nehmen Filmfestivals ihre Zuschauer an die Hand, ordnen ein, klären auf und bieten einen geschützten Raum, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und bei den Filmschaffenden direkt nachzufragen.

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Trailer zu Death on Scenic Drive

 

Dazu hatten die Fans des abseitigen Kinos auch in diesem Jahr wieder ausreichend Gelegenheit. Unter den 15 gezeigten Streifen waren nicht nur acht Deutschland-, eine Europa- und eine Weltpremiere, es stellten sich auch vier Regisseure und Teile aus deren Crew den interessierten, kritischen, manchmal auch bloß amüsierten Fragen der Anwesenden. Der Kanadier Chad Archibald, der im Director’s Spotlight stand, war mit gleich drei Filmen und einer kleinen Entourage aus filmvernarrten Freunden vor Ort. Auch wenn The Drownsman (2014), Bite (2015) und The Heretics (2017), der das Festival eröffnete, mit ihren geringen Budgets und kurzen Drehzeiten eher Magerkost boten, war es doch spannend zu sehen, wie viel eine verschworene Gemeinschaft aus Enthusiasten aus beschränkten Mitteln herausholen kann. Die Waldhütte, in der in The Heretics das Böse tobt, bauten sie für gerade einmal 500 Dollar aus Mangel an Alternativen einfach selbst. Einer dieser Kanadier ist der mit Archibald befreundete Gabriel Carrer, dessen hyperstilisierte Fingerübung Death on Scenic Drive laut eigener Aussage in erster Linie dazu diente, seine Wut auf die Welt zu kanalisieren. Für Florian Scheuerer ist besonders diese kuratorische Aufgabe ausschlaggebend. Es geht ihm auch immer darum, Neuentdeckungen eine Plattform zu bieten, die auf dem Markt kaum eine, bis keine Chance haben.

Das meiste aus quasi nichts machte im diesjährigen Programm der Spanier Ángel González Martínez. Dessen Psychothriller Compulsion (2017), der viele Zuschauer ebenso an Alfred Hitchcock wie an koreanische oder französische Vorbilder erinnerte, überzeugt durch ein kluges Drehbuch und seine mitreißenden Schauspieler. Im anschließenden Gespräch machten der Regisseur und sein Produzent die Bedeutung einer umfangreichen und akribischen Vorproduktion deutlich, ohne die die knappe Drehzeit nicht einzuhalten gewesen wäre. Hier hörten die kanadischen Kollegen aufmerksam zu und hakten nach. Auch das ist typisch für das HARD:LINE und viele kleine Festivals: Hier kommen nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Filmemacher vor dem versammelten Publikum miteinander ins Gespräch.

Angesichts des Angebots an deutschen (Genre-)Filmfestivals bleiben Überschneidungen nicht aus. Night of the Virgin, zu dem mit dem Filmtitel bedruckte Kotztüten verteilt wurden, Hounds of Love, Raw und 68 Kill waren in diesem Jahr bereits beim Fantasy Filmfest zu sehen. Diese Dopplungen hängen nicht zuletzt mit dem Wachstum sowohl der Regensburger als auch der Konkurrenten zusammen. Drei Jahre nach dem Auftakt 2010 wurde aus der Reihe ein Wochenende, an dem im ersten Jahr fünf, im Folgejahr sieben Filme liefen. 2015 erhöhten die Macher schließlich auf elf, die in zwei Sälen, statt wie bislang in einem und an drei Tagen über die Leinwände flimmerten. Als das Festival zum dritten Mal in Folge ausverkauft war und erneut Zuschauer heimgeschickt werden mussten, wechselten Florian Scheuerer & Co. den Ort. Seit 2016 ist die Veranstaltung am östlichen Rand der Regensburger Altstadt zu finden und nicht mehr zu hundert Prozent ausgelastet.

Mit doppelt so vielen Sitzplätzen wie zuvor hätten sich in diesem Jahr 2500 Zuschauer von Donnerstag- bis Sonntagabend die 15 Filme und das Konzert der Gruppe Point Baker ansehen können. 1500 sind es letztlich geworden. Damit ist nicht nur ein neuer Zuschauerrekord aufgestellt, das HARD:LINE ist auch das Regensburger Festival mit dem höchsten Zuschauerschnitt. „Es ist auf jeden Fall noch Luft nach oben“, sagt Scheuerer. Bei den Aftershowpartys in der schummrigen Kinokneipe, die sich wie ein enger, gebogener Schlauch direkt hinter der Leinwand an den Saal schmiegt, sei aber bereits jetzt das Besucherlimit erreicht. Ein Wunschpublikum hat der 36-Jährige nicht. Durch die Zusammenarbeit mit der Stadt und durch Medienpartnerschaften erhofft er sich, neue Schichten anzusprechen und auch für diese den Genrefilm aus seiner Schmuddelecke holen zu können. Dabei ist er sich aber durchaus bewusst, dass er mit seiner Filmauswahl nie den Geschmack aller treffen wird. Und dennoch ist das Publikum in Regensburg bunt gemischt und deutlich vielfältiger als bei manch anderem Festival.

Einem weiteren Wachstum steht Florian Scheuerer positiv entgegen, allerdings auf der finanziellen, nicht der organisatorischen Seite. An Filmen sei das Wunschvolumen bereits erreicht. Mehr ist derzeit zeitlich einfach nicht drin. Schließlich betreibt keiner der Macher das HARD:LINE hauptberuflich. Scheuerer etwa wird in Kürze mit seinem Kollegen Josef Lommer die Regensburger Kinos im Andreasstadel übernehmen. Um möglichst zu jedem Film Gäste vor Ort zu haben, seien jedoch mehr Einnahmen nötig.

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Angesichts der Konkurrenz kein leichtes Unterfangen. Der deutschen Genrefestivallandschaft konstatiert Florian Scheuerer derzeit eine schwere Schieflage. Das Fantasy Filmfest, deren Macher Scheuerer kennt und schätzt und weniger als Konkurrenten, denn als Kollegen betrachtet, blockiere mit den White Nights, den Nights und ihrer eigentlichen Veranstaltung im Spätsommer nicht nur in sieben Städten einen Großteil des Jahres die Kinos. Durch die Terminverschiebung bis in den Herbst überschnitten sich dieses Jahr auch die Vorstellungen des HARD:LINE mit den letzten vier Tagen des Fantasy Filmfests im nur knapp 100 Kilometer entfernten Nürnberg. Sich gegenseitig das Publikum wegzunehmen, kann Scheuerers Meinung nach jedoch nicht das Ziel einer gesunden Festivallandschaft sein. Viele der in Nürnberg und den sechs anderen Städten gezeigten Filme erscheinen in Deutschland auf DVD, Blu-ray oder VoD, sind den Zuschauern also auch außerhalb eines Festivals zugänglich. Für Scheuerer und andere Macher kleinerer Veranstaltungen bedeutet das, die Lücke noch mehr als Chance zu begreifen und verstärkt auf die Suche nach Genreperlen zu gehen, die die großen Veranstalter und Verleiher übersehen. Das ist Florian Scheuerer und seiner Crew mit dem technisch ebenso versierten wie verspielten Thriller Happy Hunting, der brüllend komischen Mockumentary Top Knot Detective, der fantastischen, philippinischen Liebesgeschichte Saving Sally, die in Regensburg den Publikumspreis gewann, und dem beklemmenden, indischen Roadmovie Sexy Durga, das beim Internationalen Filmfestival in Rotterdam den Tiger Award gewann, auch in diesem Jahr gelungen. Das Publikum darf gespannt sein, was ihm der Festivalleiter 2018 präsentiert, wenn er mit dem Mikrofon in der Hand vor die Leinwand des Ostentor Kinos tritt.

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