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Corinna Harfouch - Die Spielwütige 

Ein Beitrag von Peter Gutting

Spielen ist ihr Leben: Wenn Corinna Harfouch eine Rolle annimmt, wirft sie sich mit ganzem Herzen in sie hinein. Nun spielt sie erstmals eine alte Oma. Aus Anlass des Filmstarts von „Was man von hier aus sehen kann“ werfen wir einen Gesamtblick auf ihre Arbeit.

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Filmstill zu Lara (2019) von Jan-Ole Gerster
Lara (2019) von Jan-Ole Gerster

Sie ist eine der großen Charakterdarstellerinnen im deutschen Film und Fernsehen. Corinna Harfouch hat Vera Brühne gespielt, aber auch Magda Goebbels. Mehr als 110 Rollen umfasst ihre Filmografie, und man begrüßt sie schon wie eine alte Bekannte, wenn sie irgendwo in einer Nebenrolle um die Ecke biegt. Trotzdem hat sie in rund 40 Jahren vor der Kamera ihr Geheimnis bewahrt. In eine Schublade stecken lässt sie sich nicht, denn sie sucht die Herausforderung, das Neue, das Verlassen der Komfortzone. Oft hat man sie als spröde beschrieben, als eigenwillig oder widerspenstig. Aber all das sind unzureichende Festlegungsversuche, denn hinter der Oberfläche eines Charakters lässt sie oft eine gegenteilige Seite durchschimmern, hinter dem Harten das Zarte, hinter dem Durchsetzungswillen das Verletzliche. Man wird sich ihr in einem Porträt nur annähern können, sie nicht vollständig ergründen. Und das ist gut so.

 

Die Schauspielerin (1988)

Aufschlussreich im Hinblick auf die weitere Karriere ist ihr erster großer Erfolg in dem DEFA-Film Die Schauspielerin von Siegfried Kühn. Gleich zu Beginn lässt sie ihre Wandlungsfähigkeit aufblitzen, allein in einer Garderobe am Theater, wo sie die Maria Stuart in Friedrich Schillers gleichnamigem Drama spielt. Vor dem Spiegel variiert sie den Satz: „Ich will in meinem Beisein nichts über die Schwäche des Geschlechtes hören.“ Mal intoniert sie ihn neutral, fast sachlich, dann herrisch und anschließend zart hingehaucht, flehend, den Tränen nahe. Der Satz gehört eigentlich Elisabeth, der Königin von England, ihrer großen Gegenspielerin in dem Stück. Ihre eigene, nicht gerade bescheidene Rolle hat die Figur von Corinna Harfouch mühelos drauf, aber sie will mehr. „Verdammt“, sagt sie, „ich hätte die Elisabeth spielen sollen.“ Der Film ist ein früher Beweis für ihre Vielseitigkeit. Beim Karlovy Vary Festival wurde sie 1988 dafür als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. 

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Und noch etwas weist zurück von der Rolle auf die Person: dass Spielen ihr Leben ist. Der Film erzählt das Schicksal der Schauspielerin Maria Rheine (Harfouch), die sich in den 1930er Jahren in einen jüdischen Kollegen verliebt. Das Paar wird getrennt, weil der Mann aus rassistischen Gründen seinen Job verliert und nur in einem rein jüdischen Theater in Berlin auftreten darf, während sie Karriere in München macht. Doch um der Liebe willen geht sie nach Berlin, wo sie versteckt, quasi im Untergrund leben muss. Das Theater fehlt ihr so sehr, dass sie sich unter höchster Lebensgefahr als Jüdin ausgibt, um wieder auf den Brettern zu stehen. Ohne die Kunst, die oft so viel mehr bietet als das reale Leben, kann sie nicht existieren.

Etwas Vergleichbares hat die 1954 im thüringischen Suhl geborene Lehrerstochter privat erlebt: den vorübergehenden Verzicht auf die Spielleidenschaft und dann das Comeback, weil sich anders kein erfülltes Leben denken lässt. Schon in der Schulzeit spielte Corinna Harfouch mit Leidenschaft am „Pioniertheater“. Aber der Schock kommt mit der ersten Bewerbung an der Schauspielschule – abgelehnt. Zu wenig „Feuer und Leidenschaft“ hält ihr das Aufnahmegremium vor. Sie lässt sich davon beeindrucken, lernt Krankenschwester und beginnt ein Studium der Textiltechnik. Aber das Feuer, das die Juroren übersehen haben, brennt immer heftiger. Sie versucht es noch einmal und wird an der renommierten Ernst-Busch-Schule genommen, wo sie 1981 den Abschluss macht.

 

Lara (2019)

Was passiert wäre, wenn sie ewig in einem Brotberuf versackt wäre, darüber kann man 31 Jahre später anhand ihrer Rolle als Lara im gleichnamigen Film von Jan-Ole Gerster spekulieren. Als junge Frau hat die überehrgeizige Lara auf eine Karriere als Konzertpianistin verzichtet, sie wurde Sachbearbeiterin im Rathaus. Damals brachte ein einziger Satz ihres Musikprofessors ihren Lebenstraum zum Einsturz. Gemeint war er als Provokation, um die talentierte Schülerin zu noch größeren Leistungen anzustacheln. Aufgenommen wurde er jedoch als vernichtende Kritik. Lara gab auf, mit verheerenden Folgen für sich selbst und andere. 

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Wir lernen sie als inzwischen Frühpensionierte in tiefer Depression kennen. Zu Beginn will sie aus dem Fenster springen, und im ganzen Film wird man das Bangen um sie nicht los, gerade weil sie sich in geradezu übermenschlicher Manier zusammenreißt. Schließlich ist heute nicht nur ihr 60. Geburtstag, sondern auch ein Konzert ihres Sohnes, bei dem er seine erste eigene Komposition der öffentlichen Kritik aussetzen wird. Viktor, gespielt von Tom Schilling, wurde von Lara als Stellvertreter missbraucht, um an ihrer Stelle den alten Traum doch noch Wirklichkeit werden zu lassen. Aber die Mutter hat dem Sohn auch die eigenen Selbstzweifel antrainiert, die Beziehung ist seit langem schwer gestört. Obwohl Corinna Harfouch Laras tiefe Verzweiflung fast ausschließlich in unbewegter Miene und nach innen gerichtetem Blick festbetoniert, lässt sie doch eine ganze Palette von Gefühlen durchscheinen. Wir spüren, wie sehr sie ihren Sohn liebt, wie sehr sie trauert über die tiefe Entfremdung, auch wenn sie in Worten und Taten das genaue Gegenteil durchexerziert: eine unfassbare Härte und Grausamkeit.

 

Das Mädchen mit den goldenen Händen (2021)

Als ebenso selbstbewusste wie unnahbare, aber auch an sich selber leidende Frau war sie 2021 gleich zweimal zu sehen. In der Tragikomödie Alles in bester Ordnung (2021) von Natja Brunckhorst spielt sie die Messie-Frau Marlen, die beruflich als Zahntechnikerin ihren Mann steht, sich privat aber in eine überladene, höhlenartige Wohnung zurückzieht und den Kontakt meidet. Erst als sie mit dem IT-Techniker Fynn klarkommen muss, einem Nachbarn, der die Wohnung über ihr durch einen Wasserschaden ruiniert, bekommt ihr Charakterpanzer löchrige Stellen. Ebenso einsam ist es um Harfouchs Gudrun in Das Mädchen mit den goldenen Händen (2021) von Katharina Marie Schubert bestellt. Mit sehenswerter Kontrollsucht spielt sie eine Frau aus Ostdeutschland, die noch in der DDR aufgewachsen ist und nun in einem Herrenhaus, das einmal ein Waisenheim war, ihren 60. Geburtstag feiert. Als die Feier ihren Lauf nimmt, platzt eine Bombe. 

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Gudrun muss erfahren, dass das ehemalige Heim, in dem sie selbst aufgewachsen ist, an einen Investor verkauft werden soll. Die resolute Frau geht auf die Barrikaden, verrennt sich aber in der fixen Idee, die Vergangenheit konservieren zu müssen. Im Film geht es viel um die Demütigungen, die „die Ossis“ beim Ausverkauf der DDR erleiden mussten. Die im Westen aufgewachsene Regisseurin Katharina Marie Schubert dürfte froh gewesen sein, die aus der DDR stammende Hauptdarstellerin an ihrer Seite zu haben. Vielleicht interpretiert Corinna Harfouch die Ostalgie deshalb so einfühlsam, weil sie den Kulturschock am eigenen Leibe erlebte, auch wenn sie selbst nach einer kurzen Krise in Gesamtdeutschland klarkam und ihre Karriere darin richtig Fahrt aufnahm. 

Dass Corinna Harfouch so oft Rollen angeboten werden, in denen ihre harte Schale gefragt ist, hat vielleicht etwas mit ihrem Äußeren zu tun. Da ist zum einen ihre Stimme, die leicht einen herrischen Ton annehmen kann. Da sind zum anderen die markante Nase und die hohen Wangenknochen, die ihrem Gesicht etwas Kantiges verleihen. Und da ist vor allem das spöttische Lächeln, das ihre Mundwinkel zuweilen umspielt. Es verleiht ihr eine Überlegenheit, die leicht in Arroganz umschlägt. Immer musste sie darum kämpfen, nicht auf diesen Typ „starke Frau mit Geheimnis“ festgelegt zu werden. Und war dabei erfolgreich. Sie hat einige Komödien gespielt. Sie durfte auch mal die Sanfte sein und dann wieder die Verspielte, die Lebenslustige, die Unbekümmerte und die Rebellin, die mit Verve auf den Putz haut.

 

Der Untergang (2004)

Viele ihrer Hauptrollen sind bleibende Erlebnisse, aber auch in Nebenrollen hinterlässt sie starke Eindrücke. Etwa in Der Untergang (2004) von Oliver Hirschbiegel. Der Ausschnitt, in dem sie ihren schlafenden Kindern Giftpillen in den Mund schiebt, hat es als Einzelszene auf Youtube geschafft. Kalt wie ein Eisblock vollbringt sie den Mord, geschäftsmäßig wie ein berufsmäßiger Henker, die Muttergefühle ganz nach innen gedrückt. Zwischendurch wendet sie den Blick zu ihrem Mann, Billigung erheischend und die Bestätigung, eine gute Nazi-Frau zu sein. Ihre Kinder sollen ebenso wenig dem Feind in die Hände fallen wie die Eltern, die bald darauf Suizid begehen. Ein Leben in einem anderen System als dem der Nazis hält sie für unwert. Im Interview erklärt die Schauspielerin, sie habe die Rolle unbedingt spielen wollen, weil sie untersuchen wollte, wie eine Ideologie oder ein Sektenglaube die natürlichen Mutterinstinkte außer Kraft setzen kann. Da ist sie wieder, die beständige Suche nach Herausforderung, ohne Rücksicht auf einen möglichen Imageschaden. 

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Sexy Sadie (1996)

Welche Filme würde Corinna Harfouch selbst auswählen, wenn sie auf ihre Karriere zurückblickt? Diese Frage wurde ihr 2014 beim Filmfestival Max-Ophüls-Preis gestellt, wo sie als Ehrengast eingeladen wurde und eine kleine Reihe mit sechs Filmen zusammenstellte. Darunter waren gleich drei Filme von Matthias Glasner: Eva Blond – Wie das Leben so spielt (2004), der Krimi This is Love (2009) und vor allem Sexy Sadie (1996), ihre erste Zusammenarbeit mit Glasner. Harfouch spielt eine Gefängnisärztin, die von einem ausbrechenden Serienmörder (Jürgen Vogel) als Geisel genommen wird, nach und nach aber Freude an einem Leben als Gangster-Braut gewinnt und zugleich noch einen ganz anderen Plan in petto hat. Sie spielt sozusagen mehrere Identitäten gleichzeitig – Ärztin, Gangster-Komplizin und Alter Ego ihrer verstorbenen Schwester Sadie. Dabei fallen die Persönlichkeitsanteile nicht in einer Art Schizophrenie auseinander, sondern fügen sich organisch zusammen.

Im Publikumsgespräch war sie damals voll des Lobes für Glasner, den sie für einen der klügsten Regisseure hält, die sie kennt. „Er inspiriert mich auf eine einzigartige Weise – und umgekehrt“. Dabei waren die Dreharbeiten zu dem Gangsterfilm alles andere als ein Spaziergang. Völlig ohne Budget wurde in zwölf Tagen gedreht, teilweise fast 24 Stunden am Stück, mit wenig Schlaf bis zur Erschöpfung. Doch Corinna Harfouch hat die Intensität dieser Arbeit genossen. 
Hier kommt eine Freude an der Kooperation zum Ausdruck, die sie auch in Interviews mehrfach geäußert hat. Nicht nur das Drehbuch und die Rolle sind entscheidend dafür, ob sie ein Angebot annimmt. Sondern vor allem, wer sonst an Bord ist, der Regisseur und die Mitspieler. Aus dem Munde von anderen würde es wie eine Sonntagsrede klingen, bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises zu sagen: „Ich glaube sehr an ein achtsames Miteinander, und ich glaube gar nicht an Konkurrenz“. Bei ihr jedoch spürt man einen tiefen Glauben an diese Worte, geboren aus vielfach gemachter Erfahrung. Das hängt mit ihrer Arbeit am Theater zusammen, wo sie seit langem ein begehrter Star ist. Und es schlägt sich überdeutlich in der Auswahl der Filme nieder, die sie für die Publikumsgespräche in Saarbrücken auswählte. Da waren keine Überflieger-Hits dabei, sondern kleine, heute längst vergessene Arbeiten.

 

Treffen in Travers (1988)

Treffen in Travers (1988) zum Beispiel ist eine Art Familientreffen, das ihr damaliger Ehemann und Schauspielkollege Michael Gwisdek drehte und die kleinen Kinder Johannes und Robert Gwisdek als Statisten mit ans Set nahm. Der Ehemann übernahm zugleich eine der drei Hauptrollen in einem kammerspielartigen Beziehungsdreieck um Liebe und Politik. Im historischen Gewand verhandelt das Drama Probleme der DDR-Gegenwart kurz vor deren Zusammenbruch. Es schildert die Erschöpfung des Revolutionärs Georg Forster, dessen politisches Engagement das Familienleben ruiniert. Ebenso reizvoll ist die Konstellation am Set von Gefährliche Freundin (1996), dem TV-Film von Hermine Huntgeburth. Hier trifft sie auf die gleichaltrige, von ihr hoch verehrte Katharina Thalbach, die bereits zu DDR-Zeiten zur Legende wurde, als Zögling von Bert Brechts Ehefrau Helene Weigel. Mit Thalbach in der Rolle der Schüchternen zieht Harfouch als lebenslustige Schönheit durch die Kneipen, um Männer aufzureißen, von denen dann einer morgens tot im Bett liegt — eine vergnügliche schwarze Komödie, die vor allem durch das brillante Zusammenspiel der beiden Hauptdarstellerinnen glänzt. 

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Was man von hier aus sehen kann (2022)

Ganz anders ihre Aufgabe in der märchenhaften, hübsch verspielten Komödie von Aron Lehmann. Hier spielt Corinna Harfouch die Nebenrolle einer gütigen Oma, die das Chaos, das sie mit einem unheilvollen Traum auslöst, immer auch wieder bändigt. Letztlich ist sie es, die ihre Familie und das ganze Dorf zusammenhält. Masken- und Kostümbildner schminken sie nicht nur auf das Alter einer 80-Jährigen. Sie verpassen ihr auch eine Haarverlängerung, um ihre Erscheinung „weicher“ zu machen, wie es im Presseheft heißt. Das ist es wieder, das Klischee, gegen das „La Harfouch“ wohl noch für den Rest ihres beruflichen Lebens ankämpfen muss.

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