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Darling der Woche

Aus Nahdistanzen: Eine persönliche Umkreisung von Isabelle Huppert

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Auf der Berlinale 2022 wurde sie mit dem Goldenen Ehrenbär geehrt, und noch im gleichen Jahr war sie in ganzen fünf Filmen zu sehen. Nun ist Isabelle Huppert 70 Jahre alt geworden. Wenn das mal keine Gründe sind, sich dem Schaffen der Schauspielerin in fünf persönlichen Umdrehungen zu nähern.

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Huppert

Die Unnahbare. Die Kühle. Die Intellektuelle. Das sind nur drei Charakterisierungen von Isabelle Huppert, über die man immer wieder stolpert. Gerade Schauspieler*innen passiert es häufig, dass sich ihre Rollen über die Wahrnehmung der realen Person legen. Huppert hat in so vielen Filmen mitgespielt, dass man sich Frage stellen muss, wie viele Personen diese Frau eigentlich in sich trägt. Die ambivalenten, düsteren Rollen überwiegen und ehrlich gesagt sind es auch diese Filme, die mir sofort einfallen, wenn ich an diese Schauspielerin denke. Isabelle Huppert ist so sehr mit meinem Blick auf das Kino verwachsen, weil sie wahrlich keine Risiken scheut und ich mich immer nach riskanten Filmen sehne. Aber was macht ihre Kunst aus? Wieso zählt diese Frau seit Jahrzehnten zu den gefragtesten Schauspielerinnen?

Louder than Bombs (2015)

Joachim Triers poetischer Film über Trauer, Erinnerung und die Abgründe des Erwachsenwerdens berührt mich jedes Mal, wenn ich ihn sehen. Darin spielt Isabelle Huppert eine Abwesende, die trotzdem die Atmosphäre des Films bestimmt. Sie mimt die Kriegsfotografin Isabelle Reed, deren Suizid ihre Familie auseinanderzureißen droht. Die französische Schauspielerin taucht nur als Erinnerung auf, in den Rückblenden wird sie zu einer Projektionsfläche für Geheimnisse, Verletzungen und der Weigerung die Wahrheit zu akzeptieren. Wobei es am Ende völlig egal ist, was wirklich passiert ist — etwas muss verarbeitet werden. Im Grunde ist Isabelle eine dieser typischen Huppert-Figuren: Dem Äußeren nach stabil und stark, genügen doch kleine Veränderungen im Gesicht, um tiefe Risse der Traurigkeit an die Oberfläche treten zu lassen.

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Die Entscheidung, Huppert zu besetzen, ist brillant. Das Besondere an dieser Rolle ist, dass die Französin, mehr als in anderen ihrer Filme, eine Leere umspielen muss. Von einer kohärenten Figurenpsychologie befreit, ist sie nicht mehr als ein Gespenst und gibt dieser geisterhaften Entzugsperson größtes Gewicht. Jede Geste ist die Spur eines Erinnerungsbildes einer anderen Figur und daher ist man gezwungen, das Minenspiel dieser subtilen Schauspielerin zu studieren. Und es gibt großartige Aufnahmen von ihrem Gesicht in diesem Film — ohnehin ist das Gesicht immer ein Film im Film. Dabei ist es erstaunlich, wie wenig Isabelle Huppert mit ihrem Gesicht eigentlich macht. Eine bemerkenswerte Dialektik scheint hier am Werk zu sein: Je kühler und distanzierter der Ausdruck ihres Gesichts, desto mehr legt sie einen Blick in das Innerste frei. Bei diesem Film ist das Innerste allerdings ein Splitterwerk, an dem wir uns die Finger schneiden. Wir sind auf uns selbst zurückgeworfen. Das ist schauspielerische Kraft.

Ma Mère (2004)

Eigentlich gilt ja Hanekes Die Klavierspielerin als die große pervers-ambivalente Rolle der Huppert. Das will ich auch gar nicht bestreiten. Ebensowenig möchte ich diesem Film seine verstörenden Qualitäten absprechen. Doch liegt die tragische Dimension der Jelinek-Adaption deutlich mehr an der Oberfläche als im wesentlich sperrigeren Ma Mère — Meine Mutter, der seine Abgründe unter einer kühlen Oberfläche abdichtet. Erzählt wird darin eine Mutter-Sohn-Beziehung, in der die Liebe bis in den Inzest hinein überschritten wird. Dabei handelt es sich um die Verfilmung einer Erzählung des französischen Schriftstellers und Philosophen George Bataille, die bereits 1949 einen Skandal ausgelöst hat. Doch soll es hier gar nicht um das Thema der Erotik gehen, die für Bataille immer erst als Tanz auf der Rasierklinge entsteht. Nur ist Isabelle Huppert in diesem Spiel mit dem absoluten Tabu derart furchtlos, dass man die Augen von diesem Film nicht abwenden will. Von einem Moment zum nächsten wandelt sich ihr sezierend analytischer Blick in eine verführerische Lust, die aber niemals den Kopf verliert: Isabelle spielt diese Mutter als eine Manipulatorin, die sich selbst manipuliert und wo sich die Frage stellt, ob sie diese letzte Grenze überhaupt kalkuliert hat. Kein gelungener Film, aber eine darstellerische Meisterleistung.

 

Alles was kommt (L’avenir, 2016)

Es gibt einiges an Alles was kommt von Mia Hansen-Løve, dem ich kritisch gegenüberstehe: Der Film ist für mich ein Beispiel eines gut abgehangenen Arthouse-Kinos, bei dem kein Risiko eingegangen wird. Die Geschichte einer Philosophie-Lehrerin, die nach der Trennung von ihrem Mann ein neues Leben wagen muss, ist sehr klassisch inszeniert. Erneut ist es Isabelle Huppert, die letztlich alle meine Kritik an diesem Film in Luft auflöst. Vor allem, weil sie hier eine nahbare Verletzlichkeit zeigt, sich mit einem ganz anderen Mienenspiel in eine Offenheit stellt, die den Film durchaus wieder besonders werden lässt. Das Erstaunen der Figur über die eigene Naivität („Ich dachte, du würdest mich ewig lieben.“), die platonische Beziehung der Lehrerin zu ihrem ehemaligen Schüler und die kleinen Wunder der Veränderungen macht Isabelle Huppert mit einer robusten Anwesenheit spürbar. Keine Spur der unterkühlten Maske oder der Technik des Entzugs: Diese Nathalie wird aus der Leere in ein Leben geworfen. Nach diesem Film habe ich verstanden, was Isabelle Huppert meint, wenn sie sagt, dass sie sich als eine Art Werkzeug in den Händen der Filmemacher*Innen versteht.

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Elle (2016)

Isabelle Huppert wird ja aufgrund ihrer intensiven Zusammenarbeit mit Claude Chabrol und Michael Haneke dem Geiste dieser beiden Filmemacher zugerechnet. Als Elle damals erschienen ist, habe ich mich sofort gefragt, warum das Duo Verhoeven/Huppert nicht schon viel früher zusammengearbeitet hat. Elle ist zweifellos eine garstige Provokation, ein Thriller, der zur Gesellschaftssatire wird, nur um im nächsten Moment das menschliche Drama des Begehrens offenzulegen und durcheinanderzubringen.
Huppert spielt darin die 50-jährige Michèle, die in ihrem Haus überfallen und vergewaltigt wird. Statt zur Polizei zu gehen, will sie den Täter selbst aufspüren und verfängt sich in einem Netz aus Begehren, Lust und Schuld.
In diesem Film, so ist es zumindest mein Eindruck, fragmentiert sich Huppert selbst, vervielfältigt sich und gibt der Rolle, die schnell zur bloßen Exploitation gibt, dadurch eine Auffächerung und eine Offenheit: Zwischen Verletzlichkeit, Stärke und Monstrosität spielen sich in diesem Film nur feine Nuancen ab, doch eben diese kleinen Brüche sind es, um die es geht; erst durch ihr Spiel erstarrt der Film nicht zur bloß provokanten Geste, sondern zu einer subversiven Abhandlung über Komplexität und widersprüchliches Begehren. 

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Die Zeit, die wir teilen (2022)

In Hupperts vorerst aktuellsten Auftritt liefert sich die Schauspielerin in einer Art französisch-deutschen Gipfeltreffen ein sehenswertes darstellerisches Duell mit Lars Eidinger. In Laurent Larrivières feinsinnigem Drama überbrückt ihr Spiel mühelos verschiedene Zeitebenen – mal kühl-taxierend, dann wieder voller nachdenklicher Momente. Mal sehen wir sie wie hinter einer Glaswand, dann wieder wendet sie sich direkt in die Kamera und damit an uns. Mit ungeheurer Präsenz überwindet sie spielerisch die vierte Wand. 
Obgleich vermutlich noch viele weitere Filme mit Huppert folgen werden (kaum eine französische Darstellerin ist derart produktiv wie sie), kann man in Die Zeit, die wir teilen eine große, die sehr wahrscheinlich größte (nicht nur) französische Filmschauspielerin der Gegenwart auf dem Höhepunkt ihres Schaffens beobachten: Der Film wirkt in der Tat wie eine Summe all ihrer unglaublichen Fähigkeiten und zeigt die sie in all ihrer unberechenbaren Vielseitigkeit. 

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Meinungen

Leonore Pastewka · 17.02.2022

Mein erster Film mit Isabelle Huppert war
" Die Spitzenklöpplerin" , leider mehr oder weniger vergessen. Sie hat mich damals ungeheuer fasziniert, wie sie ganz still und " normal" ein junges, unsicheres Mädchen gespielt hat. Keine Provokation, keine Härte wie in den späteren Rollen und gerade deshalb in der Verletzlichkeit tief berührend...Für mich ist diese ihre beste Rolle bis heute. Schade, dass dieser Film selten erwähnt wird...