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Diagonale 2017

Diagonale Tagebuch 2017: "Keine Angst!"

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Meinungen
Untitled

Dem Klischee nach neigt der Österreicher an sich (und insbesondere der Wiener) zu einer gewissen Schwermut und Morbidität. Und zumindest auf den ersten Blick kann man diesen Wesenszug – sofern es ihn überhaupt gibt – in den absichtlichen Querverbindungen eines gut kuratierten Festivals und den Zufälligkeiten der eigenen Programmauswahl wiederfinden. Wobei die Wahl des Eröffnungsfilmes sicherlich einen Akzent, eine Grundtonalität gesetzt hat, die nachwirkt: Mit Untitled, dem nicht nur unbetitelt, sondern auch unvollendet gebliebenen Werk des vor fast genau drei Jahre verstorbenen Michael Glawogger gedachte das Festival jenem Mann, der immer noch so schmerzlich fehlt. Seine verstreuten Reiseaufzeichnungen, sein Wagnis einer filmischen Reise um die Welt, wurden von seiner Mitstreiterin und Cutterin Monika Willi in eine Form gebracht und geben nun zumindest eine Ahnung davon, welches opus magnum Glawogger hier der Welt abtrotzen wollte. (Eine ausführliche Kritik zum Film befindet sich hier).

Doch Glawoggers Werk und Wesen ist wesentlich vielschichtiger und ambivalenter, als die Melancholie und der Wunsch nach dem eigenen Verschwinden, die ein immanenter Teil seiner filmischen Reisenotizen sind, es erahnen lassen. Und so gibt es noch einen zweiten filmischen Nachruf, der ganz anders geraten ist und der gerade deswegen mindestens genauso gut an ihn erinnert wie Untitled. Hotel Rock ‚n‘ Roll sollte eigentlich den Abschluss der Sex, Drugs & Rock ‚n‘ Roll-Trilogie bilden, die mit Nacktschnecken (2003) und Contact High (2009) begonnen wurde, doch der Tod Glawoggers, der gemeinsam mit Michael Ostrowski das Drehbuch zu allen drei Teilen geschrieben hatte, verhinderte zunächst die Fertigstellung. Wie Untitled drohte auch diesem Film das Schicksal, ein auf ewig unvollendeter zu sein. Doch – und auch hierin drückt sich viel aus über das Wesen Michael Glawoggers und seine Art und Weise, nicht nur Mitarbeiter, sondern Mitstreiter für eine gemeinsame Sache zu finden – fügte es sich, dass jemand anderes die Verantwortung übernahm und das Werk dann doch noch zu einem glücklichen und in diesem Falle eher quietschfidel-durchgeknallten Ende geführt hat.

Die Geschichte um eine Hotelerbin und ihre zwei Loser-Freunde, die in der steirischen Provinz ein Etablissement mit betreuten Rauschreisen, einem Liebeszimmer, freier Liebe und Live-Musik eröffnen wollen, dabei aber an Schulden, einem fiesen Investor und der eigenen musikalischen Unzulänglichkeit zu scheitern drohen, ist eine echte Wundertüte: Borderline-Humor auf dem schmalen Grat zwischen genial und platt, psychedelische Unterwasser-Geistererscheinungen, eine an 1970er-Trash gemahnende Titelsequenz und Figurenzeichnungen wie aus wüsten Schundromanen feiern den Spirit von Glamrock, Punk und Anarchie derart unberührt von jeglicher Sorge um Publikumskompatibilität, dass es eine helle Freude ist. So ungefähr stellt man es sich vor, wenn jemand testamentarisch verfügt, seine Freunde mögen doch bei seiner Beerdigung und beim folgenden Leichenschmaus eine verdammt gute Zeit haben.


(Trailer zu Hotel Rock ‚n‘ Roll)

Ebenfalls ein Requiem hat ein anderer Großer des österreichischen Films abgeliefert: Nikolaus Geyrhalters streng durchkomponierte Bildersinfonie Homo Sapiens ist beinahe eine Art bewegtes High-Concept-Buch zum Thema Abandoned Places geworden. In einer Reise rund um den Globus hat er von Menschen geschaffene Orte aufgesucht, die irgendwann einmal ver- und dem Verfall überlassen wurden. Aufgeteilt in von Schwarzblenden voneinander getrennten Kapiteln ohne Bezeichnung, aber stets mit einem deutlich erkennbaren Thema oder Motiv, erinnern sie an die Vergänglichkeit des Menschenwerks und letztendlich auch daran, dass die Natur es versteht, sich die Räume, die ihr einst abgerungen wurden, wieder zurückzuerobern. Dabei geht es freilich weniger um die konkreten Orte, die der Film auch im Abspann nicht genau benennt (teils auf ausdrücklichen Wunsch der Besitzer hin), sondern vielmehr um eine essayistische Annäherung an die Frage, was vom Leben, von der Kultur, von der Existenz hier auf dem Planeten einmal übrigbleiben wird. Ein Film, der zum Nachdenken einlädt und der fast schon wie eine zen-buddhistische Meditation anmutet, weil er allein auf die Kraft der Bilder und die Umgebungsgeräusche der Orte vertraut, ohne diese mit musikalische Soße aufzupeppen.


(Trailer zu Homo Sapiens)

Auf den ersten Blick wirkt dies in der Ballung wie schwere Kost (gut, von Hotel Rock ‚n‘ Roll vielleicht einmal abgesehen), doch noch überwiegt das Motto, das die beiden Festivalintendanten Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger bei ihrer abermals furiosen Eröffnungsrede mit auf den Weg gegeben haben – und vielleicht ist es nur zu passend, dass auch dies von einem bereits 2008 Verstorbenen stammt, dem Schriftsteller und Sänger Hansi Lang. Es lautet:

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(Hansi Lang — Keine Angst)

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