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Darling der Woche

Leben mit Serpil

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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Porträt von Serpil Turhan
Porträt von Serpil Turhan

„Braucht man ja gar nicht zu reden, eigentlich“, sagt sie in der kurzen Pause zwischen zwei dröhnenden Kakophonien einer nahen Bohrmaschine. „Wir gucken uns nur an,“ antwortet er lachend. Und da steckt eigentlich schon alles drin.

Der beschriebene Clip ist auf YouTube zu sehen; es ist ein roher, unbearbeiteter und ungeschnittener Kurzfilm des Regisseurs Rudolf Thome mit dem Titel Frühstück mit Serpil. Er stellt die Kamera auf einen Tresen, richtet sie auf den Küchentisch seiner Kreuzberger Wohnung aus und lässt einfach laufen, während er und seine Kollegin essen. Tassen stehen auf dem Tisch, dazu Brot, ein Glas Honig. Am Ende laufen die beiden aus dem Bild, weil es draußen ein Problem mit der Bohrmaschine gibt, da kann man die ganz und gar alltägliche Szenerie noch einmal gut auf sich wirken lassen.

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Eine Szene, wie sie problemlos auch in einem der Langfilme von Rudolf Thome enthalten sein könnte — oder in einem von Serpil Turhan. Die Filmemacherin, Jahrgang 1979, spielt ab den späten 1990er Jahren in einigen Filmen der Berlin-Trilogie von Thomas Arslan mit, lässt sich in Der schöne Tag durch die Stadt treiben als wäre sie direkt der Nouvelle Vague entstiegen. Vielleicht hat sich Thome da in sie verguckt, jedenfalls besetzt er sie 2003 erstmals in Rot und Blau an der Seite von Hannelore Elsner und schließlich für alle Teile seiner Zeitreisen-Trilogie.

Aber Serpil Turhan macht den nächsten Schritt: In den 2010er Jahren beginnt sie selbst Filme zu drehen und wollte man ihr Schaffen aus einer biografischen Perspektive einschätzen, könnte man sagen, in gewisser Weise eignet sie sich Thomes Stil an, entwickelt ihn weiter zu etwas Eigenem. Die simplen Erzählformen, die alltäglichen Momente, die sich häufig in ganz normalen Wohnungen abspielen, unaufdringliche Porträts starker Frauen. Nur sind es in Turhans Fall Dokumentarfilme, sehr persönlich, autobiografisch gefärbt.

Dilim Dönmüyor – Meine Zunge dreht sich nicht heißt ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm, mit dem sie 2013 ihr Studium bei Thomas Heise in Karlsruhe abschließt. Das Werk ist ein Porträt dreier Generationen ihrer Familie, für das sie in das kurdische Dorf ihrer Großeltern reist. Turhan beobachtet darin viel, hält sich zurück, lässt die Situationen sich entwickeln. Aber sie schaltet sich auch immer wieder ein, führt feinfühlige Gespräche mit ihrer Mutter und Großmutter, bei denen sich in einem vielschichtigen Kauderwelsch aus Kurdisch, Türkisch und Deutsch ganze Lebensgeschichten auffalten, Heimatgefühle, Verlusterfahrungen.

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Echos aus Dilim Dönmüyor klingen auch in Köy nach, Serpil Turhans aktuellem Film, der seit letzter Woche in den Kinos läuft. Darin gibt es ein Wiedersehen mit ihrer Mutter und Großmutter und dazu kommen Porträts weiterer Berlinerinnen mit kurdischen Wurzeln. Sie laufen durch die Stadt, führen Cafés, spielen Theater, beobachten mit Schrecken die Wahlen in der Türkei und manchmal weinen sie um ihre Heimat, die sie immer in sich tragen und die doch manchmal ebenso gut auf einem anderen Planeten liegen könnte. Und wieder filmt Turhan Blicke aus dem Fenster, im Wind wehende Gardinen. Draußen läuft die Welt ungerührt weiter, während drinnen die Leute versuchen aufrecht zu bleiben.

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Und dann gibt es da noch Rudolf Thome — Überall Blumen. 2014 bleibt der Geldhahn zu, die Degeto entscheidet sich dagegen Thomes neuen Film zu finanzieren, der Überall Blumen heißen soll. Also beschließt der Regisseur, der in den 1960er Jahren zur Münchner Gruppe gehörte und den die Cahiers du Cinéma einmal als „den wichtigsten unbekannten deutschen Filmemacher“ bezeichnete, in Rente zu gehen und sich auf seinen Hof im brandenburgischen Niendorf zurückzuziehen, wo auch seine gesammelten Filmrollen ein trauriges Dasein im Schuppen fristen (inzwischen lagert sein Vorlass dem Himmel sei Dank im Frankfurter Filmmuseum). Serpil Turhan begleitet ihn dabei — und obwohl ihr Film keine klassische Hommage ist, ist er doch ganz und gar von der Zuneigung der beiden füreinander durchdrungen. Thome ist Fiktion, Turhan nicht, aber letztlich sprechen die beiden doch die selbe Sprache. Und wenn es mal nichts zu sagen gibt, schaut man sich einfach an.

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