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Darling der Woche

Kurzfilmtage Winterthur: China im Fokus

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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"The Hedonists" von Jia Zhang-ke
"The Hedonists" von Jia Zhang-ke

In Sachen Nachrichtenlage war 2020 für China kein gutes Jahr. Genau genommen war 2020 für fast niemanden ein gutes Jahr, aber nachdem eine internationale Pandemie von Wuhan ausging und Populisten wie Donald Trump den „chinese virus“ in ihren Sprachgebrauch übernahmen, litt das internationale Ansehen der Nation beträchtlich. Einen Kontrapunkt zur negativen Berichterstattung setzen Anfang November die Kurzfilmtage Winterthur, die ihre Festivalsektion „Großer Fokus“ dem Kurzfilmschaffen aus Festlandchina, Hongkong und Taiwan widmen. Und noch besser: Wenn die Kurzfilmtage am 3. November 2020 beginnen, werden sämtlich Filme der Sektion auf der Website kostenlos bis zum 8. November 2020 zu sehen sein. 

Unterteilt ist das Programm des Großen Fokus in thematische Blöcke. Da geht es unter Anderem um die Migrationsbewegungen der Chinesen, um ihren Arbeitsalltag in einer Phase schwindelerregenden wirtschaftlichen Aufschwungs oder um unabhängig außerhalb der staatlichen Zensur produzierte Filme. Ein anderer Schwerpunkt widmet sich Animationsfilmen. Sorgfältig kuratiert birgen diese Programmschwerpunkte allerlei Perlen.

Der wahrscheinlich bekannteste Name im Line-up ist Jia Zhang-ke (Weichen des Lebens), der im Großen Fokus mit seinem 2016er Kurzfilm The Hedonists vertreten ist. Unverkennbar ein Film seines Regisseurs spielt The Hedonists einmal mehr in dessen Heimatstadt Fenyang und setzt sich mit den Auswirkungen des rasanten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels auseinander. Seine Protagonisten verlieren ihre Jobs in einer Kohlemine und fahren zu dritt auf einem Motorrad (ein Echo aus Zhang-kes früheren Filmen wie Platform) zu Bewerbungsgesprächen. Dabei landen sie etwa in einem Vergnügungspark, an dem sie verkleidet als Kaiser und Generäle der Ming-Dynastie an historischen Reenactments teilnehmen sollen. In eleganten Drohnenaufnahmen und mit ironiedurchtränktem Blick fängt Jia Zhang-ke diesen Clash von Kapitalismus und jahrtausendealter Kultur ein.

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Beeindruckend auch die so minimalistische wie pointierte Prämisse in Wei Hus La lampe au beurre de yak, der 2015 als Bester Live Action Kurzfilm für einen Oscar nominiert war. Starre Einstellungen zeigen darin tibetanische Nomadenfamilien, die für Familienporträts posieren. Gelegentlich lässt der Assistent neue Hintergründe herab, die den kompletten Bildkader ausfüllen: Die Verbotene Stadt in Peking und Hongkonger Straßenschluchten, aber auch Traumstrände mit Kokospalmen und Disneyland hat der Fotograf im Angebot. Zwischendurch kommt der Bürgermeister auf ein Schwätzchen vorbei. Die Jungen gingen alle zum arbeiten fort in die Stadt, klagt er, und dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel- und Dokumentarfilm vollends.

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Mit einer statischen Kamera arbeitet auch der Hongkonger Filmemacher Hing Weng Eric Tsang in The Umbrella. Ein regnerischer Abend im Oktober 2014, der hell erleuchtete Eingangsbereich eines Studentenwohnheims sticht aus der Dunkelheit hervor, darüber die Fenster zweier WG-Zimmer. Das ausgeklügelte Sounddesign sorgt für die nötige Orientierung wenn Studenten kommen und gehen, sich streiten, Elternbesuch empfangen. Der Blick in ihr intimstes Alltagsleben fällt in eins mit einem historischen Moment: Dem Höhepunkt des Umbrella Movements, als Hongkonger Studenten massenweise gegen vom Festland durchgesetzte Wahlreformen protestierten. Ohne Unterlass bewegen sie sich zwischen den Räumen und Etagen, zwischen drinnen und draußen und mit der Zeit drängt sich der Gedanke an ein Puppenhaus auf, ein System, in dem sie darum kämpfen selbstbestimmt ihren Platz zu finden.

Alle Informationen zum kompletten Programm des Großen Fokus sowie entsprechende Streaming-Links gibt es hier.

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