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Darling der Woche

Kassel leuchtet: Eine goldene Kinokarte gegen die Kinokrise

Ein Beitrag von Joachim Kurz

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Der Goldene Kinoausweis der Kasseler Arthouse-Kinos
Der Goldene Kinoausweis der Kasseler Arthouse-Kinos

Besondere Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Das gilt auch und erst recht für die Kinos, die sich auch nach dem offiziellen „Ende“ der Corona-Pandemie in einer tiefen Krise befinden. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Zum einen sitzt anscheinend das Misstrauen vieler Besucher*innen gegen den angeblichen Gefahrenort Kino immer noch tief. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit, denn Restaurants und andere Indoor-Veranstaltungen steuern stärker als Kulturorte wie das Kino oder auch Theater und Musikveranstaltungen auf Besucherzahlen zu, die sich dem vorpandemischen Niveau langsam annähern oder diese teilweise erreichen. Zum anderen scheint der Kulturort Kino durch die lange Abstinenz und den Siegeszug der Streamer zunehmend aus dem Fokus zu geraten — verstärkt durch den eh schon vorhandenen Trend zum Cocooning: Warum überhaupt noch aus dem Haus gehen, wenn doch über das TV-Gerät und diverse Konten bei verschiedenen Streamern die angebliche Vielfalt des Kinos bequem ins heimische Wohnzimmer flimmert?

Seit kurzem befindet sich eine weitere Sorge auf der eh nicht ganz kurzen Liste vieler Kinobetreiber*innen: die Energiekrise und die damit verbundenen enorm gestiegenen Kosten für Heizung, Strom und andere Neben- und Betriebskosten. Nachdem nun viele Corona-Hilfsmaßnahmen ausgelaufen sind und die angekündigten Energiehilfen noch nicht greifen, fragen sich nicht wenige von ihnen, wie in Zukunft und ganz konkret im noch jungen Jahr 2023 der Weiterbetrieb überhaupt noch gewährleistet werden kann. 

In Zeiten wie diesen braucht es findige Ideen und Unterstützung seitens des Publikums bzw. jenes Teils, für den ein Leben ohne Kino vielleicht möglich, aber nicht sehr erstrebenswert ist. Und so erfreuen sich — sicherlich etwas, das man von den Streaming-Diensten gelernt hat — Abomodelle und Flatrates derzeit großer Beliebtheit. Gerade für Deutschland angekündigt wurde etwa der Start des „Cineville“-Abos, das nach erfolgreicher Einführung in den Niederlanden und seit kurzem auch in Österreich (dort unter dem Namen „Nonstop — Dein Kino-Abo“) in diesem Jahr auch in Deutschland an den Start gehen soll. Ähnliches gibt es in München und Berlin bereits von der Yorck-Kinogruppe in Form des Angebotes „Yorck Unlimited“. Die Idee ist hier wie dort stets die gleiche: Für einen fixen monatlichen Obolus (bei „Yorck Unlimited“ sind es 19,90 Euro im Monat, für das „Cineville“-Abo werden vermutlich 22 Euro pro Monat aufgerufen) kann das geschätzte Publikum die ganze Zeit über so oft wie möglich ins Kino gehen. 

Einen anderen, unabhängigen und ganz eigenen Weg geht der Kasseler Kinobetreiber (Gloria, BALi, Filmladen) und Festivalmacher Gerhard Wissner Ventura, der nicht müde wird, auf die teilweise katastrophale Situation der Kinos aufmerksam zu machen. In den BALi-Kinos, wie Wissner auf seiner eigens eingerichteten Website rettedeinkinokassel.de schreibt, wurden im Verlauf des Jahres 2022 50 Prozent der Zuschauer*innen des Jahres 2019 gezählt, im wunderschönen Gloria-Kino waren es sogar nur 27 Prozent. Klar, dass solche Einbrüche auf Dauer die Existenz der Kinos gefährden.

Um dem drohenden Worst-Case-Szneario etwas entgegenzusetzen, hat Wissner nun für das BALi und das Gloria in Kassel die „Goldene Kinokarte“ ersonnen, die den Besucher*innen für einen Betrag von 500 Euro freien Zutritt zu allen Kinovorstellungen übers ganze Jahr garantieren — verbunden mit dem Gefühl, aktiv etwas für den Erhalt der Film- und Kinokultur in Kassel zu tun. Das klingt zwar im Vergleich zu anderen Abomodellen recht viel, doch andererseits sind es umgerechnet etwas mehr als 40 Euro pro Monat, und die Filme, die man dort in den Kinos sehen kann, sind brandaktuell und garantiert (noch) nicht auf den einschlägigen Plattformen zu finden, falls sie überhaupt jemals dort landen sollten.

Vielleicht sind dies ja erste Schritte hin zu einem Ideal eines Kinos der Zukunft. Dass man einen Ort findet, an dem man dem kuratorischen Geschick der Betreiber*innen blind vertraut und einfach viel häufiger ins Kino geht, ohne genau zu wissen, welcher Film einen dort erwartet. Dass man stets überrascht wird und manchmal auch verstört, vor allem aber immer inspiriert und angeregt, von dem Gesehenen ausgehend nachzudenken, Geschichten fortzuspinnen, Hintergründe und Zusammenhänge zu begreifen, neue Sichtweisen zu lernen und zu träumen. Und dass man über diese Filme dann mit anderen ins Gespräch kommt. Ein solcher Ort sollte jedenfalls einem/r schon einiges wert sein.


Wie es funktioniert und was man sonst noch tun kann (das gilt übrigens für so ziemlich alle engagierten Kinos), findet sich unter rettedeinkinokassel.de.

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