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Darling der Woche

"I have this obsession with re-editing": Justine Triet

Ein Beitrag von Bianka-Isabell Scharmann

Sehr gut ausgebildet, mehrfach auf Festivals nominiert: Justine Triet ist ein Talent des zeitgenössischen, französischen Films. Ihre Spezialität: schwierige Frauen.

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Bild zu Sibyl von Justine Triet
Sibyl von Justine Triet - Filmbild 1

Auf Twitter sah man in 2019 während der Berichterstattung über Cannes ihr Porträt immer wieder in derselben Konstellation: Neben dem von Jessica Hausner, Mati Diop und Céline Sciamma. Sie war eine der vier Frauen, die einen Film im Wettbewerb des Festivals zeigten. 

Sie ist bekannt für Filme über Frauen, Frauen, die am Rande des Nervenzusammenbruchs stehen. Filme, die weibliches Verlangen thematisieren und weibliche Identität. Mit Protagonistinnen, die man stereotyp wohl als ‚schwierig‘ beschreiben würde.

„I always want to tell a woman’s story in multiple ways. I want to show female characters with all their subtleties and differences, women who are troubled, and women who are in search of freedom.“

So formulierte die Regisseurin es selbst in einem Interview in 2019 gegenüber Women and Hollywood. Triet ist nicht daran interessiert, Klischees zu reproduzieren. Ihre Frauencharaktere sind gewollt eigenwillig, deren Widersprüche auch am Ende des Films oftmals nicht aufgelöst werden.

Gerade an der Figur der „schwierigen Frau“ hat man sich ja seit einiger Zeit satt gesehen. Triet schafft es aber, die Figur doch noch in interessante Richtungen auszubauen. Ihre Filme versagen absichtlich Binaritäten. Sibyl, die Protagonistin des gleichnamigen Filmes, ist weder eine gute Psychologin noch eine schlechte Schriftstellerin, die betrunkene ist weder besser noch schlechter als die trockene. Es sind verschiedene Seiten, die gezeigt werden, die Komplexität bleibt stehen und verschafft den Charakteren Tiefe und macht sie nahbar.

 

Zwischen Komödie und Drama

Fragt man sie nach Vorbildern oder nach Inspiration für ihre eigene Arbeit, dann fallen oftmals die Namen John Cassavetes und James L Brooks, dessen Film Zeit der Zärtlichkeit einer ihrer Favoriten ist. Was sie besonders am Film mag: nie am Anfang zu wissen, auch nach dem x-ten Mal schauen, ob es sich um eine Komödie oder um ein Drama handelt. 

Und diese Elemente kann man auch in Triets eigenen Produktionen finden: das Changieren zwischen Komödie und Drama, das Zusammenfinden von beiden Elementen in einem ihr ganz eigenen Mix. Ein wunderbares Beispiel ist da ihr Debütfilm Der Präsident und meine Kinder (La Bataille de Solférino) von 2013. 

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Dieser Film, entstanden an einem Tag (mit wenigen Ausnahmen) und während der Wahl des neuen französischen Präsidenten in 2012, folgt einem Tag im Leben der Protagonistin Laetitia (Laetitia Dosch). Eingekeilt zwischen Babysitter, möglicherweise gefährlichem Ex-Mann und schreienden Kindern, muss diese ihren Alltag organisieren. Als Reporterin ist es ihre Aufgabe, über die Wahl zu berichten. Wie Triet in einem Interview gegenüber Film Comment sagte, ist die Geschichte selbst sehr dramatisch. Der Dreh musste im Voraus überaus genau geplant werden, um die Stimmung während der Wahl konzentriert einfangen zu können. Doch das Drama sowie der dokumentarische Stil werden oftmals von den Nebendarsteller*innen unterlaufen, die eher aus dem komischen Fach kommen. „So there’s a mixture of tone“. Ein Mix, der ihr selbst sehr gefallen hat und zeitweise das von ihr geschriebene Script unterwandert. 

An diesem Film merkt man auch den Hintergrund Triets: denn ihre Karriere begann sie nicht im Spiel-, sondern im Dokumentarfilm. 

 

Triets Anfänge

Justine_Triet_2017.jpg
Justine Triet @Georges Biard (CC BY-SA 3.0)

Erste eigene Arbeiten entstanden schon während ihres Studiums an der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris, das sie mit 20 Jahren begann. Sie sammelte schon früh erste Erfahrungen als Drehbuchautorin in der Zusammenarbeit mit Thomas Levy-Lasne, die ihr sicherlich bei ihren späteren Spielfilmen geholfen haben. Es heißt, dass sie während ihrem Studium fast mehr Zeit im Fotostudio der Künstlerin Barbara Leisgen verbrachte als in der Universität – ob das stimmt, muss man sie wohl selbst fragen. Leisgen ist dafür bekannt, mit Licht zu arbeiten. Schaut man sich das Filmstill aus Sibyl an, bemerkt man unweigerlich die einzelnen wohlgesetzten Lichtpunkte. 

Nachdem Triet die Universität in 2003 verließ, konnte sie erste Erfolge mit ihren Dokumentarfilmen feiern. Kurz und politisch – das war Triets Arbeit zu dieser Zeit. Travers (2004), ein Kurzfilm über die Machenschaften von Politikern, wurde für Rencontres Internationales Paris/Berlin ausgewählt. Und ihr Kurzfilm L’amour est un chien de l’enfer (2004) wurde 2006 während der Biennale d’Art Contemporain in Lyon gezeigt. Eine Choreographie politischer Kampagnen, ein Film, der sich den manipulativen Seiten der Politik widmete. Solférino (2007) wird dann den Grundstein für ihr Langspielfilmdebüt legen. In 2010 begann sie schließlich, sich stärker dem Spielfilm zu widmen und so gewann sie mit Vilaine fille mauvais garçon (2012) den Großen Preis der Jury für den besten Kurzfilm des Filmfestivals von Angers. 

 

Mehr Frauen und ein Boot

Nicht nur ihre Kurzfilme, sondern auch ihre Spielfilme wurden von Festivaljurys gewürdigt. In 2014 erhielt sie eine César-Nominierung für Der Präsident und meine Kinder für das beste Erstlingswerk. Und in 2017 folgte dann die César-Nominierung für das beste Original-Drehbuch und für den besten Film für Victoria — Männer und andere Missgeschicke. Der Film eröffnete in 2016 die Semaine de la Critique in Cannes. 

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Der bereits angesprochene Film Sibyl — Therapie zwecklos (2019) ist Triets letzte Produktion. Spannend am Film ist besonders eine Sequenz: eine bekannte Trope, der Dreh eines Films im Film. Triet sprach über diese Szene ausführlich in einem Interview mit Film Comment während dem New York Film Festival in 2019. Sie hatten das Boot, auf dem die Regisseurin gespielt von der wunderbaren Sandra Hüller (Toni Erdmann) den Film dreht, nur für kurze Zeit und sie selbst hatte so eine Szene noch nie gedreht. Der reale Dreh sei dann auch um einiges interessanter gewesen als das, was Triet sich vorab ausgedacht hatte. Und sie sagte zu sich: „I have to add that tomorrow.“ 

Im gleichen Interview fragte man sie auch nach ihrer Haltung zum Schneiden. Wenn sie weiß, sie hat Zeit, dann wird sie einen Film wieder und wieder neu arrangieren. „I have this obsession with re-editing“, sagt sie. Zwei Wochen mehr und es ist ein anderer Film. Deadlines helfen ihr, ein Ende zu finden. Ob man ohne Filmfestivals wohl immer noch auf Triets Spielfilme warten müsste? 

In 2018 war Triet Teil einer Video-Reihe betitelt „French Manifesto“, in der französische Filmemacherinnen nach ihrer Arbeit, ihren Inspirationen gefragt und gebeten, ihre eigene Rolle in der Industrie zu reflektieren. Triet bezieht in diesem klar Stellung und spricht über ihre eigenen Erfahrungen. Frauen haben es einfach schwerer als Männer, Filme zu machen. An dieser Stelle auch noch mal der Hinweis auf die Kolumne von Julia Pühringer, in der sich die Autorin genau diesen Fragen widmete. Ob es bald einen neuen Film von Triet geben wird? Gut möglich. Wieder mit einer Frau in der Hauptrolle? Sehr wahrscheinlich. 

 

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Bis es soweit ist, kann man sich durch Triets Lieblingsfilme schauen. Das Filmportal LaCinetek kooperiert mit der Regisseurin, deren neue Kuratorin sie wird und stellt am 21. Februar die Wunschliste deren Wunschliste online. Neben einigen Klassikern und persönlichen Favoriten, sollen auch unbekanntere Filme auf der Liste zu finden sein. Ob wohl Cassavetes und L Brooks darunter sein werden? 

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