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Darling der Woche

Große Klappe, viel dahinter? Eine kleine Geschichte des Hai-Films

Ein Beitrag von Christian Neffe

Vor 45 Jahren lief Steven Spielbergs „Der Weiße Hai“ in den Kinos an. Für uns ein Grund, einmal auf die Geschichte des Hai-Film-Hypes zu blicken.

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Filmstill zu Der weiße Hai (1975)
Der weiße Hai (1975) von Steven Spielberg

45 Jahre — solange ist es nun her, dass Steven Spielberg in „Der Weiße Hai“, der am 20. Juni 1975 seine Premiere feierte, die mechanische Hai-Attrappe Bruce auf die Welt losließ. Und damit einerseits den Sommerblockbuster begründete - andererseits die Wahrnehmung von Haien nachhaltig veränderte. Leider nicht zum Besseren: Laut Oliver Crimmen, Kurator für Fischarten beim Natural History Museum in London, war „Jaws“ ein negativer Wendepunkt für das öffentliche Image von Haien.

I actually saw a big change happen in the public and scientific perception of sharks when Peter Benchley’s book Jaws was published and then subsequently made into a film. - Oliver Crimmen

Bruce war freilich nicht der erste Hai, der auf Zelluloid gebannt wurde. Doch bis zu Spielbergs Durchbruch spielten die Raubfische in der Regel nur kleine Rollen — wurden von Beginn an jedoch (entgegen aller Erkenntnisse) mit dem Stigma des gefräßigen Monstrums belegt. Bereits 1936 versuchte sich Regisseur Edwin G. Bowen an einem Film über Haie — oder vielmehr: über das Fischen nach selbigen. White Death lautete der klangvolle Titel des Films mit und über Zane Grey, der sich vor allem als Autor von Wildwestromanen verdingte und auch die ein oder andere Angelgeschichte zu Papier brachte. Hier verkörperte er sich selbst, begab sich auf die Suche nach einem legendären Weißen Hai vor der Küste Australiens und machte sich dabei genüsslich über Wildtierschützer lustig.

Echte Haie, kleiner Schrecken

Der erste „echte“ Hai-Film - in dem der Raubfisch also zum wahren Antagonisten erkoren wurde — war dann Jerry Hoppers Haie greifen an (1956) über die USS Indianapolis, die im Zweiten Weltkrieg sank und deren Crew daraufhin im Wasser trieb, wo sie von Haien angegriffen wurde. Bis zu 150 Soldaten sollen den Tieren damals zum Opfer gefallen sein. (2016 wurde die Geschichte unter dem Titel USS Indianapolis: Men of Courage mit Nicholas Cage neu aufgelegt). Hopper verwendete hier vor allem Dokumentaraufnahmen von echten Haien — und band dieses erstaunlich effektive Material organisch in seine eigenen Bilder ein.

Burt Reynolds stürzte sich schließlich 1969 in Samuel Fullers Outsider ins Rote Meer, um einen Schatz zu heben, und bekam dabei Gesellschaft in Form bissiger Raubfische. Die Kritik vernichtete den Film, dem Vernehmen soll er bloß ein Alibi gewesen sein, damit Fuller und Reynolds ein paar Monate Auszeit in Mexiko nehmen konnten. Tragische Anekdote: Ein Stuntman wurde bei den Dreharbeiten tatsächlich von einem Hai getötet.

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Und dann kam Steven Spielberg.

Der Hai-Hype

Über die Produktionsgeschichte von Der Weiße Hai wurde bereits alles gesagt und geschrieben. Zeitpläne wurden verschleppt, die Hai-Attrappe Bruce bereitete gewaltige technische Probleme, vor allem im Wasser, was jedoch in einer der größten Stärken des Film resultierte: Bruce bekam eine deutlich reduziertere Screentime, als ursprünglich geplant, und konnte dadurch umso effektivere Schauer über die Rücken der Zuschauer*innen jagen. Das gruseligste Monster ist schließlich noch immer jenes, das man nicht sieht. Was Bruce zudem von seiner bisherigen Film-Verwandtschaft unterschied, war seine schiere Größe: Wo zuvor Bilder von echten (und damit natürlich großen) Haien auftauchten, traute sich Spielberg an eine fiktionalisierte, überdimensionierte Bestie, welche zugleich aber auch nicht unrealistisch riesig wirkte (man denke etwa an Meg von 2018).

Der Erfolg kam überraschend. Box-Office-Rekorde wurden gesprengt, der Post-New-Hollywood-Sommerblockbuster war geboren. Leider markierte er aber auch den qualitativen Zenit des Hai-Films — allerdings nicht den quantitativen. Drei Sequels erschienen (1978, 83 und 87), von denen keines die Klasse des Originals erreichte, sowie unzählige mal mehr, mal weniger dreiste Kopien. Als da etwa Mako, die Bestie (1976) inklusive schamanischer Magie oder Shark Kill (1976), der die Handlung von Jaws im Wesentlichen eins zu eins nacherzählte.

Was diese und spätere Trittbrettfahrer falsch machten: Im Gegensatz zu Jaws lag der Fokus nicht bei den menschlichen Figuren, sondern bei den Haien und der vermeintlich schieren Monstrosität dieser Tiere, die im Wasser — im Gegensatz zum Mensch - völlig in ihrem Element sind und aus purer Lust nach Blut, Fleisch und Rache gieren. Menschliche Eigenschaften also, die auf ein Tier projiziert werden — schon in den Fabeln der Vormoderne war das ein gängiges Stilmittel. Doch der Hai ist eben noch immer Tier genug (und dabei nicht mal ein Säuger, sondern „nur“ ein primitiver Fisch), um sein Abschlachten innerhalb vermeintlich zu rechtfertigen.

Zwischen Kopie und Hommage

Der Hai-Hype schwappte auch über US-Grenzen hinaus, etwa nach Mexiko — Tintorera — Meeresungeheuer greifen an (1977, eine Mischung aus Softporno und Hai-Horror), Tornado (1978), Haie am Todesriff (1978) - und Italien — The Last Jaws — Der weiße Killer (1981, der sein Vorbild so dreist plagiierte, dass Universal ihn aus den US-Kinos klagte), Shark — Stunde der Entscheidung (1988), Shakka — Bestie der Tiefe (1990). Ein Blick auf die Poster dieser Filme spricht bereits Bände: Das Monster dürstete auch außerhalb Hollywoods nach Blut. Die Produktionsbudgets fielen dabei irgendwann derart niedrig aus, dass eigens gedrehtes Bildmaterial von (künstlichen) Haien bald schon wieder zum Teil oder gänzlich durch Dokumentaraufnahmen ersetzt wurde.

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Spätestens Ende der 80er war das Sub-Genre mitsamt seiner Formel „Menschen gehen ins Wasser/Haie greifen an/Menschen töten Haie“ auserzählt. Schließlich verfügen Haie nur über eine „Waffe“ und bieten sonst wenig, für cineastische Abwechslung begünstigen würde. Es mussten also frische Ansätze her. Sein Revival erlebte der Hai-Film erst in den späten 90ern durch Deep Blue Sea. Gentechnik war auf dem Vormarsch, wenige Jahre zuvor war ein Schaf geklont worden. Folglich war das Monster nun kein Naturprodukt mehr, stattdessen eine vom Menschen genetisch hochgezüchtete Killerbestie. Dazu ein neues Setting — eine Forschungsstation auf dem Meer statt eines weiteren Strandes — und fertig war ein weiterer Kassenschlager. Und tatsächlich sogar ein ganz guter Film. 

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Low-Budget-CGI vs. Survival-Horror

Damit war eine weitere Grenze durchbrochen. Zwei Marschrichtungen taten sich auf: Die erste in Richtung immer größerer Absurditäten, verstärkt durch (im doppelten Sinne) immer billigere, digitale Tricktechnik. In Sharkman — Schwimm um dein Leben (2005) wurden Menschen und Hai gekreuzt, in Shark Swarm — Angriff der Haie (2008) sorgen erst die giftigen Abfälle, die ein skrupelloser Unternehmer ins Meer kippt, dafür, dass die Tiere in einen Blutrausch verfallen. Und schließlich folgten forciert ironische Trash-Movies wie Mega Shark vs. Giant Octopus (2009), die Sharknado-Reihe (bisher sechs Filme seit 2013), 2-Headed Shark Attack (2012 — bis 2018 wurden es sechs Köpfe), Haie im Sumpf (Swamp Shark, 2011), Geister-Haie (Ghost Shark, 2013), Sharktopus vs. Whalewolf (2015), Ice Sharks, Sharkenstein, Planet of the Sharks (alle 2016) und sogar ein Film, der sich Sharkansas Women’s Prison Massacre (2015) nennt. Und ja, all diese (und noch mehr) Titel gibt es wirklich. 

Der zweite Pfad führte in eine eher geerdete Richtung, wurde aber auch deutlich seltener beschritten. In Filmen wie Open Water (2004), The Reef (2010), 47 Meters Down (2017) und seinem Nachfolger (2019) etablierte sich ein klares Muster: Eine kleinere Gruppe von Menschen muss in einem von Haien bevölkerten Gewässer ums Überleben fürchten. Survival-Horror statt Trash-Fest, Charakterzentrierung statt Freude an Billig-CGI. Nun ja, zumindest in Ansätzen …

Wenn die Geschichte des Hai-Films also eines zeigt, dann, dass nur sehr schwer vorhersehbar ist, wohin sich diese Filme noch entwickelt. Ein mutmaßlich tot gesagtes Sub-Genre kann — schon durch wenige frische Ansätze und Ideen — wieder zum Leben erweckt werden und einen neuerlichen H(ai)ype lostreten, der denn wieder durch eine Vielzahl von Billig-Produktionen erstickt wird. Unverändert wird jedoch die schaurige Faszination bleiben, die diese Tiere in uns wecken und die der Zoologe Edaward Wilson wie folgt zusammenfasst: 

We are not afraid of predators, we’re transfixed by them. [We are] prone to weave stories and fables and chatter endlessly about them, because fascination creates preparedness, and preparedness, survival — in a deeply tribal way, we love our monsters.

Die besten Killerfische werden jedoch weiterhin die zwei Bruces bleiben: Bruce aus Der Weiße Hai — und sein Namensvetter aus Findet Nemo.

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