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Darling der Woche

Der (Post-)Revolutionär des iranischen Kinos: Abbas Kiarostami

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Abbas Kiarostami. Dieser Name klingt auch sechs Jahre nach seinem Tod immer noch nach Aufbruch und Offenheit. Vor 10 Jahren ist sein poetischer Film „Like Someone in Love“ erschienen. Eine Erinnerung an eine große Stimme des Weltkinos.

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Abbas Kiarostami
Abbas Kiarostami

Für den Regiekollegen Jean-Luc Godard, der sonst bekanntlich mit Lob für andere Filmemacher eher geizt, war der Mann aus Teheran einer der ganz großen. Als JLG in den 1990er Jahren Kiarostamis Film Und das Leben geht weiter gesehen hatte, entfuhr ihm der Satz: „Das Kino fängt mit D.W. Griffith an und endet mit Abbas Kiarostami“ — und wenn sich einer mit dem Ende des Kinos auskennt, dann unzweifelhaft Godard — niemand beschwor das fin de cinéma so oft herauf wie er.

Wohl nicht nur, weil das Ende des Kinos sich nicht einstellte und Kiarostami ein Meisterwerk nach dem anderen folgen ließ, versuchte Godard in späteren Jahren, diesen Satz mehrmals abzuschwächen. Allein, es half nichts. Auch aus anderem berufenen Kollegenmunde gab es höchstes Lob für Kiarostamis Schaffen: Martin Scorsese beschrieb den Iraner etwa als Repräsentanten des höchsten künstlerischen Niveaus im Kino, und Michael Haneke zählte den Kollegen im Jahre 2006 zu den besten lebenden Regisseuren. 

Geboren am 22. April 1940 in Teheran als Sohn eines Freskenmalers folgte Abbas Kiarostami zuerst dem väterlichen Erbe und studierte Kunst, schlug sich anschließend als Verkehrspolizist, Illustrator und Werbefilmer durch und drehte dann kurze dokumentarische Skizzen aus dem Alltagsleben für das „Institut zur geistigen Förderung von Kindern und Jugendlichen“. Auch wenn sich seine Filme weiterentwickeln sollten, im Grunde blieben sie, wie Wolfgang Höbel in einem Nachruf auf den Filmemacher bei Spiegel Online anmerkte, „immer Lehrfilme“. Allerdings ohne die Betonung auf vermeintlich didaktisch Wertvolles, sondern vielmehr voller Ironie und „Freude am Unfug“.

Unter den insgesamt 48 Filmen, die Kiarostami hinterlassen hat, sind es vor allem drei Werke, die seinen Ruf begründen. Sie stammen allesamt aus den späten 1980er und den 1990er Jahren und bilden die sogenannte Koker-Trilogie — benannt nach einem Ort im Norden des Iran: Wo ist das Haus meines Freundes? (1988) erzählt von zwei Klassenkameraden in einer Schule auf dem Lande, von denen einem Sanktionen seitens des Lehrers drohen, weil er seine Hausaufgaben nie in das dafür vorgesehen Heft macht, sondern stets auf lose Zettel. Sollte das sich noch einmal wiederholen, droht dem Jungen ein Schulverweis. Als sein Freund nun nach der Schule entdeckt, dass er aus Versehen das Heft des Bedrohten eingesteckt hat, macht er sich auf die Suche nach dessen Haus, doch kann dieses nicht finden.

 

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Und das Leben geht weiter (1992) ist inspiriert von einer Reise Abbas Kiarostamis, der sich nach einem schweren Erdbeben im Norden des Irans auf die Suche nach seinen beiden kleinen Hauptdarstellern aus Wo ist das Haus meines Freundes? begab. Stellvertretend für seine eigene Suche schickt er in dem Film einen Vater und seinen Sohn auf die Suche nach den beiden Kinderdarstellern. Und in Quer durch den Olivenhain (1994) greift der Filmemacher eine immer wieder misslingende Szene aus den Dreharbeiten zu Und das Leben geht weiter heraus und verdeutlicht anhand dieser die zahlreichen Schichten und Schwierigkeiten des Filemmachens mit echten Menschen und realen Laiendarstellern — und dieses hohe Maß an Selbstreflexion über das eigenen Tun und die damit verknüpfte Verantwortung ist durchaus kennzeichnend für das gesamte Werk Kiarostamis, das sich als Meta-Kino immer wieder selbst überdenkt und hinterfragt. Ein Charakteristikum und Grundprinzip im Schaffen des Regisseurs, das sich bis in seinen letzten Arbeiten Die Liebesfälscher / Copie Conforme (2010) und 24 Frames (2016) fortsetzt. Zusammen mit den beiden folgenden Filmen aus der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts Der Geschmack der Kirsche / Ta’m-e gīlās (1997) und Der Wind wird uns tragen / Bād Mā Rā Chāhad Bord (1999) bilden diese Filme so etwas wie die Quintessenz von Kiarostamis Schaffen. 

 

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Trotz zahlreicher Auszeichnungen und Ehrungen (insgesamt sind es rund 70) — unter anderem mit der Goldenen Palme 1997 in Cannes für Der Geschmack der Kirsche — ist Abbas Kiarostami auch fünf Jahre nach seinem Tod einem breiten Arthouse-affinen Publikum immer noch merkwürdig unbekannt. Dabei ist der Kritiker- und Festivalliebling maßgeblich für den internationalen Aufschwung des postrevolutionären iranischen Kinos verantwortlich, das seitdem in schöner Regelmäßigkeit Ausnahmeregisseure wie Asghar Farhadi, Jafar Panahi, Mohsen Makhmalbaf oder Rafi Piits hervorbringt. Ohne Abbas Kiarostami, dessen Name oft in einem Atemzug mit Jacques Tati, Roberto Rossellini und Robert Bresson genannt wird, wäre das alles allerdings kaum vorstellbar.

Abbas Kairostami entzog sich dem Rummel der internationalen Cinephilie auf seine ganz eigene Weise durch heitere Selbststilisierung mit Sonnenbrille, dandyhaftem Duktus und philosophischen Geraune, das bis auf augenzwinkerndes name dropping (Nietzsche natürlich!) mehr Fragen aufwarf, als Antworten gab. 

Tragisch waren die Umstände seines Todes: Kiarostami erlag den Folgen ärztlicher Behandlungsfehler, die ganz und gar vermeidbar gewesen wären. Einige Monate zuvor hatte sich der Filmemacher nach Aussagen seiner Familie in Teheran einer kleinen und an sich recht harmlosen Operation unterzogen, in deren Verlauf ihm Darmpolypen entfernt worden waren. Allem Anaschein nach war aber bei dieser Operation etwas schiefgegangen, sodass weitere Eingriffe nötig wurden, um die verursachten Schäden zu beheben. Zudem wurden weder der Regisseur noch seine Familie über die unterlaufenen Fehler ausreichend informiert — und als das ganze Ausmaß des schiefgegangenen Eingriffs klar wurde, war es schon zu spät. Zwar veranlasste Kiarostamis Familie noch, den Patienten ausfliegen zu lassen, doch die französischen Ärzte in Paris konnten die Katastrophe nicht mehr aufhalten.

(c) Peripher FIlmverleih

Vor zehn Jahren ist mit Like Someone in Love ein Film erscheinen, der die ganze Kraft des Kino von Kiarostami noch einmal gebündelt hat. Ob es ebenso ein Meisterwerk geworden ist wie viele seiner anderen Werke? Das muss jeder selbst entscheiden. Dieses Jubiläum ist jedoch ein guter Anlass, um sich dem Werk dieses großen Filmemachers noch mal zu nähern.

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