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Darling der Woche

"Der Film war für mich von Anfang an ein politisches Medium" - Käthe Kratz

Ein Beitrag von Bianka-Isabell Scharmann

Meinungen
Eine Frau mit roten Haaren bemalt sich das Gesicht einseitig mit schwarzen Linien.
Still aus "Atemnot"

Sie war Vorkämpferin und Pionierin in vielerlei Hinsicht: als erste Regiestudentin machte sie in 1971 ihren Abschluss an der renommierten Hochschule für darstellende Kunst (Wien) in der Abteilung Film und Fernsehen — die sogenannte „Filmakademie“. Während dem Studium hatte sie schon als Cutterin gearbeitet und ging dann nach ihrem Abschluss zum ORF. Nach ersten kleinen Arbeiten im Dokumentarfilmbereich führte sie als erste Frau beim ORF Regie bei einem Spielfilm. Heute gilt sie als eine der wichtigsten und prägendsten Figuren des zeitgenössischen weiblichen Filmschaffens in Österreich. Und dennoch sind sie und ihre Arbeiten kaum über die Grenzen Österreichs bekannt.

Käthe Kratz hatte zwar kurz überlegt, im Bereich Theater zu arbeiten — aber der Sog des Bewegtbildes war doch um einiges stärker. Denn, wie sie selbst sagt, sie wollte nie wirklich etwas anderes werden, etwas anderes machen als Film. 

Sie beschäftigte sich mit Themen des second wave feminism, der in vollem Schwung war, während sie sich in Ausbildung befand und beim ORF arbeitete. Gleiches Recht auf Arbeit für Mann und Frau; die Rolle der Frau in der Geschichte, dafür ein historisches Bewusstsein zu schaffen — damit setzte sie sich in ihren frühen Spielfilmen auseinander. Am Rand der Gesellschaft lebende — wie in Atemnot (1984), in dem sie sich der Punk-Szene widmet — genauso wie die Themen Rassismus, Antisemitismus und Nationalsozialismus prägen ihr Schaffen über die Jahrzehnte hinweg. Atemnot war dann auch der erste Film, für den sie nicht das Drehbuch selbst geschrieben hatte. Es ging, weil sie sich dem Stoff nahe fühlte, sie konnte die Bilder vor sich sehen und empfand, dass sie der Vorlage gerecht werden könnte.

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Käthe Kratz @Kätze Kratz / CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Mit Vielleicht habe ich Glück gehabt entstand 2002 ihr bisher letzter Film: Die Dokumentation folgt sieben Menschen und ihrem Leben geprägt von Flucht, Kriegstraumata und dem Wunsch, in einem neuen Land anzukommen. 

 

Erste Erfolge beim ORF

Doch so flüssig wie ihr Werdegang klingt, war der Weg vom kleinen Dokumentarfilm zur Regie im Spielfilm nicht. Denn: „Anfang der siebziger Jahre überhaupt produzieren zu können, war schon quasi ein Privileg, da kaum öffentliche Förderungsmittel für andere Filmproduktionen vorhanden waren.“ (Interview mit Käthe Kratz, Frauen und Film und Video,1986). 

Besonders für eine Frau, wie sie im selben Interview betont. Jahrelang hatte sie finanziell zu kämpfen, nach jedem Projekt wusste sie nicht genau, wie es weitergehen soll. So blickte Kratz selbst auf ihre Anfangszeit beim ORF zurück:

„Die Hälfte der Zeit ist in meiner Erinnerung ein Kampf ums Überleben. Vieles, was heute zumindest als Ausnahme und in wohldosierten Einzelfällen akzeptiert wird, nämlich, daß (sic!) es möglich ist, daß (sic!) eine Frau einen Spielfilm dreht, das war damals im wahrsten Sinne des Wortes unerhört. Dementsprechend führte mich mein sehr ‚weiblicher‘ Werdegang zuerst zu Dokumentationen im Kino- und Jugendfernsehen, dann zum Schulfernsehen und dann – ja, dann ins Nichts (…). Ich mußte damals all meine Hartnäckigkeit aufbieten, um mich nicht zu begnügen oder zurückzuziehen.“ (Frauen und Film und Video, 1986).

Dies war vor allem dem Umstand geschuldet, dass sie, wie sie selbst sagte, „einer Phalanx der Verweigerung gegenüber“ stand. „Als junge, unerfahrene Frau mit hohen formalen Ansprüchen innerhalb des ORF zu arbeiten, war fürchterlich.“ (Frauen und Film und Video, 1986). 

Die geschilderte Hartnäckigkeit zahlte sich aus. Als sie begann, mit Dieter Berner, Peter Turrini (ihrem späteren Lebensgefährten) und Wilhelm Pevny zusammenzuarbeiten, ergaben sich Chancen. Wenig überraschend und trotzdem ärgerlich ist dann die Tatsache, dass ihr ihre erste Co-Autorschaft an einem Drehbuch, das sie zusammen mit Dieter Berner verfasste, nicht offiziell zuerkannt wurde. Die Nennung erfolgte dann erst mit dem zweiten gemeinsamen Projekt Glückliche Zeiten (1976). Dieser wurde dann auch zu ihrem ersten Spielfilm, bei dem sie Regie führte – wie sie sagt auch dank des Einsatzes von Berner und Turrini für sie gegenüber dem ORF. Aufgrund des Erfolges des Films fiel es ihr dann im Folgenden leichter, weitere Spielfilmprojekte zu bekommen. 

Das Arbeitsumfeld und die Schwierigkeiten, mit denen sie beim ORF konfrontiert war, prägten ihr Arbeiten nachhaltig: Teamwork ist ihr wichtig und daher arbeitete sie über Jahre hinweg mit mehr oder weniger den selben Personen zusammen — Fluktuationen sind ja unvermeidlich. Und die meisten waren Frauen. 

 

Hauptwerk: Lebenslinien

Nachhaltig geprägt wurde Kratz‘ Image als Filmemacherin dann von der großen TV-Saga Lebenslinien. Insgesamt gehören 5 Filme dazu, drei, die den ersten Zyklus definieren und zwei Filme den zweiten. Die Filme folgen insgesamt vier Frauen, vier Generationen: Großmutter, Mutter/Tochter, (Enkel)Tochter und schließlich die (Ur-Enkel)Tochter. Kratz bearbeitet anhand dieser vier Frauen verschiedene feministische Themen: das Recht von Frauen auf Arbeit; die Situation, die Stellung von Frauen in der Gesellschaft in historischer Perspektive; das Recht auf Selbstbestimmung. 

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Es sind vor allem die arbeitenden Frauen, die Kratz interessieren. Dafür hat sie auch umfangreiche archivarische Recherchen unternommen. Der erste Teil von Lebenslinien, Augustine – Das Herz in der Hand, erschien 1983 und spielt am Ende des 19. Jahrhunderts. Augustine ist ein Dienstmädchen. Das Herz steht symbolisch für das Schicksal einer oder aller Frauen, die dazu aufgerufen werden, dieses in eben die eigene Hand zu nehmen. Finanzielle Nöte, körperliche Ausbeutung und Vergewaltigung erlebt Augustine, die am Ende des Films aus einer ungewollten Schwangerschaft heraus ihre Tochter Marianne nach neun Monaten im Gefängnis zur Welt bringt.

Diesen Namen trägt dann auch der zweite Film im Titel: Marianne – Ein Recht für alle. Regie und Drehbuch ebenfalls wieder Käthe Kratz. Augustines Tochter ist mittlerweile 25 und arbeitet in einer Fabrik während des ersten Weltkriegs. Im Verlauf des Films kommen die Männer zurück von der Front. Nach und nach verdrängen sie die Frauen von ihren Arbeitsplätzen. Zurück an ihren ‚angestammten‘ Platz. Schon während dem Film lernt man Mariannes Tochter Lisi als Kleinkind kennen. Die dann in Elisabeth – Die Erde versinkt (1983) zur nächsten zentralen Figur wird. Es ist 1938, im Hintergrund sind Hakenkreuzfahnen zu sehen. Und Elisabeth versucht, ihr Glück zu machen. Doch auch sie scheitert, wie ihre Mutter und Großmutter, an der Gesellschaft; sie lässt sich auf den falschen Mann ein. Und auch Lisi wird nach einer Nacht — wie schon ihre Mutter und Großmutter — ungewollt und unverheiratet von einer Affäre mit einem Nazi schwanger. Damit beginnt das Leben von Marlene, der der nächste Zyklus von Lebenslinien gewidmet ist. 

Marlene - Der amerikanische Traum (1987) und Marlene - Wunden der Freiheit (1988) schließen das Hauptwerk Kratz‘ ab. Die Titelheldin liebt und lebt während der 68er Bewegung und wird in die Wirren eben dieser verwickelt. 

 

Preise

Es war dann auch das Politische ihrer Arbeiten, für das man sie auszeichnen und feiern würde. In 1984 erhielt sie den Erich-Neuberg-Preis für Lebenslinien. Der Preis für die beste Regieleistung beim ORF. Kratz war die dritte Frau, die diesen gewann, der 1980 geschaffen worden war. Als Teil der Initiative Verlorene Nachbarschaft gewann Kratz 1999 die Marietta und Friedrich Torberg-Medaille. Damit werden Persönlichkeiten oder Initiativen geehrt, die sich gegen Antisemitismus, Rassismus und Nationalsozialismus aussprechen. Außerdem ist sie eine der 3 Preisträgerinnen des Jahres 2017 des 2011 erstmalig verliehenen Frauenring-Preises, der besondere Leistungen ehrt, die feministischen Grundsätzen folgen.

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Still aus „Gekaufte Bräute“ 1991 @Eikon Film

Aktualität

Gegenüber Edith Worschitz in einem Interview für Ö1 in 1983 sagte Kratz, dass sie sich gegen das enge Prädikat „Frauenfragen“ wehrt. Denn es gebe nicht die Frauenfrage — und wenn es sie gebe, dann als Teil der Menschheitsfrage, nur eben von einem bestimmten Aspekt aus gesehen. Und genau dieser Aspekt ihrer Filme verleiht diesen eine besondere Aktualität. Es gibt eben nicht die Frauenfrage, die gelöst werden muss. 

Heute ist es zwar nicht mehr ‚unerhört‘, dass eine Frau Regie führt, aber – wie auch in Julia Pühringer’s Kolumne zu lesen war – wird es Personen, die nicht weiß, männlich sind, kurz privilegiert, immer noch schwerer gemacht. Bestes aktuelles Beispiel: die diesjährigen Oscar-Nominierungen. Alt, weiß, männlich. Dass es Greta Gerwig’s Little Women (2019) geschafft hat, die Nominierung in der Kategorie bester Film einzuheimsen, freut zwar sehr, lässt jedoch nicht darüber hinwegsehen, dass es viele andere eben auch verdient hätte, nominiert zu werden. 

 

Anmerkunge & Empfehlung: Das Film-Archiv Austria zeigt vom 20. Februar bis 4. März Filme von Käthe Kratz innerhalb einer Retrospektive. Am 20. Februar wird die Regisseurin selbst zu einem Gespräch zu Gast sein. 

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