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Darling der Woche

Carey Mulligan will Rache

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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Carey Mulligan in "Promising Young Woman"
Carey Mulligan in "Promising Young Woman"

In ihrem neuen Film trägt Carey Mulligan ein schwarzes Tube-Top, strassbesetzte Kreolen und einen hohen Pferdeschwanz. Oder in der Eingangssequenz: Ein typisches Business-Twinset mit Blazer und Bleistiftrock. Ein Sweatshirt mit einem Reh unter einem Regenbogen. Und — wahrscheinlich am eindrücklichsten — ein knappes Krankenschwesteroutfit komplett mit pastellig gesträhnter Perücke und dunkel umrandeten Augen.

Die meisten Schauspielerinnen würden uns in der Rolle der Cassie aus Promising Young Woman wohl im Gedächtnis bleiben: Als eine Frau, die in Clubs vorgibt sturzbetrunken zu sein, um sich dann stocknüchtern an den Männern zu rächen, die versuchen die Situation auszunutzen. Aber bei Carey Mulligan in der Hauptrolle in diesem zeitgeistig-schrillen Spin auf das Rape-and-Revenge-Genre bekommt das Erstaunen eine völlig neue Dimension.

Denn nicht nur haben wir Mulligan in der Vergangenheit selten in Krankenschwesterkostümchen gesehen. Sondern auch nicht in Business-Outfits oder irgendwelchen anderen modernen Looks. Es ist genau genommen zehn Jahre her, dass sie zuletzt in einer zeitgenössischen Rolle auf der großen Leinwand zu sehen war: In Shame von Steve McQueen als Schwester des sexsüchtigen Michael Fassbender. Seither hat Carey Mulligan Golden Girl Daisy Buchanan in Baz Luhrmans Der große Gatsby und die Bathsheba Everdene in der Thomas-Hardy-Verfilmung Am grünen Rand der Welt gespielt. Sie verkörperte eine Wäscherin, die sich in Suffragette - Taten statt Worte der Emanzipationsbewegung anschließt und in Paul Danos Regiedebüt Wildlife eine Ehefrau und Mutter im ländlichen Montana der 1960er Jahre, die sich auf eine Affäre einlässt. Oder zuletzt in Die Ausgrabung die englische Landbesitzerin Edith Pretty, die am Vorabend des Zweiten Weltkrieges den Fund des angelsächsischen Bootsgrabes Sutton Hoo initiierte.

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Promising Young Woman war für Mulligan also ein echter Bruch. Aber einer, der überzeugte: Auf glänzende Kritiken in Sundance 2020 folgten vier Golden-Globes-Nominierungen, dazu zwei Independent-Spirit-Awards und schließlich sogar ein Oscar für das Beste Originaldrehbuch. Aber es folgte auch eine Kritik eines der größten Branchenblätter in Hollywood. In seiner Besprechung für Variety schrieb Dennis Harvey: „Mulligan, eine gute Schauspielerin, ist eine seltsame Wahl für diese zugegeben vielschichtige femme fatale. Margot Robbie ist hier die Produzentin, und man kann sich (wahrscheinlich etwas zu leicht) vorstellen, dass die Rolle einst für sie vorgesehen war. Wohingegen Cassie mit diesem Star ihre Aufreißer-Outfits trägt wie schlechten Drag, selbst ihr langes blondes Haar wirkt aufgesetzt.“ Sonst ist die Rezension voll des Lobes, aber Carey Mulligan brachte es in einem Gespräch mit der New York Times später trotzdem auf den Punkt:

„Im Grunde sagt er, ich bin nicht heiß genug für diese Rolle.“

Nun ist Typecasting in Hollywood weder etwas Neues, noch etwas grundsätzlich zu Verurteilendes. Tatsächlich hatte Emerald Fennel sich ganz bewusst dafür entschieden Carey Mulligan in der Rolle der Cassie zu besetzen, eben weil sie den Stereotypen weiblicher Rachefeldzüge im Film nicht eins zu eins entspricht. „Diese Frauen, die in Zeitlupe eine Straße herunter marschieren, hinter sich ein brennendes Feuer.“ Genau an solchen Klischees arbeitet Promising Young Woman sich ab. An gesellschaftlichen, kulturell eingebrannten Erwartungen daran, wie Frauen in verschiedenen Situationen und Stadien ihres Lebens auszusehen haben. Es gibt sogar eine Szene, in der ein Typ Cassie belehrt, ohne das viele Make-up sei sie noch viel schöner. Möglicherweise fühlen wir uns dabei sogar selbst ertappt, eben weil wir Carey Mulligan vor allem ohne deutlich sichtbare Schminke kennen, in hochgeschlossenen Kleidern und von einer einzelnen Öllampe beschienen.

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Promising Young Woman ist ganz und gar ein Film des #MeToo-Zeitalters und als solcher führt er uns die Grenzen, die inhärenten Probleme des Typecastings vor Augen. Erst kürzlich, erzählt Mulligan der Times, sei es wieder passiert. Ein Manuskript habe sie erreicht, in dem die Frauenfigur, die sie spielen soll, eingeführt wird mit den Worten: „Schön, aber weiß es nicht.“ Was genau das über die Figur aussagen soll — who knows? Aber klar ist: Eine so vielschichtige, streitbare, komplizierte Hauptrolle wie die der Cassie ist für Schauspielerinnen Mitte Dreißig nach wie vor ein rares Gut.

Und so ließ sich Mulligan auch nicht davon abhalten, nach der unfeinen Kritik dennoch an einer Gesprächsrunde für Variety teilzunehmen, in der sie vor laufender Kamera zu Protokoll gab: „Wir fangen an die Art und Weise zu bearbeiten wie Frauen auf dem Bildschirm erscheinen. Wir wollen sie airbrushen, damit sie perfekt aussehen. Oder wir wollen die Art, wie sie arbeiten verändern, wie sie sich bewegen, wie sie denken und sich verhalten. Ich glaube, wir müssen echte Frauen auf der Leinwand in all ihrer Komplexität zeigen.“

Eine persönliche Konsequenz hat Carey Mulligan aus dieser Erkenntnis schon gezogen. An der Seite von Zoe Kazan werden wir sie im Herbst 2022 in She Said sehen. Die beiden verkörpern Megan Twohey und Jodi Kantor, die New-York-Times-Reporterinnen, die im Oktober 2017 ihre Recherchen zu den Missbrauchsvorwürfen gegen Harvey Weinstein publizierten und damit die #MeToo-Bewegung auslösten.

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