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Darling der Woche

A Guide to Demon Slayer

Ein Beitrag von Christian Neffe

Der Anime „Demon Slayer — The Movie“ läuft derzeit in zahlreichen deutschen Kinos. Ein kleiner Guide für alle, die wissen wollen, was es damit auf sich hat — und ob sich ein Kinobesuch lohnt.

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Filmstill zu Demon Slayer - Kimetsu no Yaiba - The Movie: Mugen Train (2020) von Haruo Sotozaki
Demon Slayer - Kimetsu no Yaiba - The Movie: Mugen Train (2020) von Haruo Sotozaki

Auf den Programmplänen vieler, vieler Kinos ist derzeit ein Filmtitel omnipräsent: Demon Slayer. Oder in vollständiger, viel zu langer Form: Demon Slayer — Kimetsu no Yaiba — The Movie: Mugen Train. Auf die Frage, was genau das eigentlich ist, gibt es zwei Antworten. Die kurze: der international zweiterfolgreichste Kinofilm des Jahres 2020. Für die ausführliche muss man etwas ausholen.

Demon Slayer ist in seinem Heimatland Japan ein wahres Phänomen. Das betrifft sowohl den Manga, der sich bis 2020 mehr als 60 Millionen mal verkaufte, als auch die höchst erfolgreiche Anime-Serie, die inzwischen weltweit vermarktet wird. Zwar bringt die japanische Kulturindustrie in regelmäßigen Abständen solche Phänomene hervor, Pokémon, Dragon Ball oder One Piece seien beispielhaft genannt. Dass der Demon-Slayer-Film aber ausgerechnet im Jahr der Pandemie zum erfolgreichsten Kinostart aller Zeiten in Japan avancierte und dabei selbst Chihiros Reise ins Zauberland überflügelte, ist dann doch außergewöhnlich. Zumal er sich ausschließlich an Kenner*innen der Serie richtet.

 

Worum geht es überhaupt?

Demon Slayer spielt im Japan der Taishō-Zeit Anfang des 20. Jahrhundert und peppt dieses Szenario mit einer gehörigen Portion Fantasy auf. Die Dämonen gehen um, ehemalige Menschen mit blutigen magischen Kräften und Hunger auf noch unverwandelte Menschen. Einer davon verwüstet das Haus der Familie des jugendlichen Tanjirō Kamado, während der im nahegelegenen Dorf Kohle verkauft. Tanjirō findet bei seiner Rückkehr nur noch die zerfetzten Leichen seiner Verwandten vor. Einzig seine Schwester Nezuko überlebt, weil sie in eine Dämonin verwandelt wurde. Anstatt ihren Bruder zu zerfleischen, behält sie jedoch ihren menschlichen Verstand. Ein mysteriöser Dämonenjäger, auf den die beiden stoßen, ist davon so beeindruckt, dass er Tanjirō zu einem Lehrmeister schickt, um ihn zum Dämonenjäger auszubilden.

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Was folgt, sind sich über zwei Jahre erstreckende Trainingsstunden, eine brandgefährliche Abschlussprüfung und mehrere Aufträge, die Tanjirō für die Dämonenjäger, eine Art Schattenorganisation mit starker Hierarchie und einer Vorliebe für magische Katanas, übernimmt und im Laufe dessen auf abenteuerlichste Gestalten und zwei treue Begleiter trifft. Über all dem steht sein Vorhaben, seine Schwester wieder zum Menschen zurückzuverwandeln, die er — da Dämonen kein Sonnenlicht vertragen — in einer Kiste mit sich herumträgt.

Das sind einfache Plot-Zutaten, die sich in so vielen japanischen Geschichten finden lassen und auch über diesen Kulturraum hinaus problemlos funktionieren: ein junger Mann, der einen Verlust erleidet, Rache nehmen will, ein hartes Training absolviert und auf seinem Abenteuer zahlreiche Gegner bezwingt. Bekannt aus diversen Samurai-Schinken und Martial-Arts-Filmen, auch der übernatürliche Kniff ist nicht neu und bedient sich freimütig an den japanischen Sagen über die Yokai-Dämonen.

 

Shōnen pur

Demon Slayer gehört zum sogenannte Shōnen-Genre, traditionell die stärkste Manga-Gattung in Japan, die auf ein jugendliches, männliches Zielpublikum ausgerichtet ist und in der Abenteuer, Action und Kämpfe im Mittelpunkt stehen. Klare Gut-Böse-Konstellationen, die Geschichte eines jungen, meist männlichen Protagonisten mit spiky hair, der immer stärker und dadurch zum Held wird, sowie eine ordentlichen Portion Übernatürlichkeit. Demon Slayer ist Shōnen pur, inklusive des Drangs zur Quantifizierung mit etlichen Rängen bei den Dämonen wie auch den Dämonenjägern, deren Kampffähigkeiten zudem in Stufen unterteilt sind und deren Namen von den Schwertträger*innen vor der Ausführung in Gänze aufgesagt werden. Überbordende Anime-Theatralik in höchster Konzentration.

Dabei sticht allem voran die visuelle Gestaltung hervor: Demon Slayer verwandelt sich in den Kämpfen in ein wahres Effektfeuerwerk, bei dem Zeichnungen mit digitalen Elementen vermischt werden; Spezialfähigkeiten sind fantasievoll visualisiert, Tanjirōs Techniken etwa werden mit wunderschönen Wasserdarstellungen umrahmt. Auch auf erzählerischer Ebene ist das Ganze ein freudvolles Spiel mit den Extremen. Das gilt einerseits für die Tonalität der Geschichte, die zwischen ruhigen, introspektiven Charaktermomente mit minutenlangen Monologen und Rückblenden und grotesk-albernen Comedy-Situationen schwankt, in denen geschrien und geslapstickt wird. Und andererseits für die Figuren, charakterlich wie äußerlich, vor allem die zentralen. Tanjirō selbst ist der bodenständige Ruhepol mit einem überragenden Geruchssinn, sein Begleiter jedoch sind völlig überzeichnet. Da ist der cholerische Inosuke, der eine Wildschweinmaske trägt, sich mit Freude in jeden Kampf stürzt und sich dabei auf seine Instinkte verlässt; und der weinerliche, feige und jede Frau anflirtende Blondschopf Zentisu mit einem starken Gehör, der erst in eine panikbedingte Trance fallen muss, um in den Kampfmodus zu wechseln. Vollkommen drüber — aber gerade deshalb so sympathisch und einprägsam.

Nicht zuletzt mitentscheidend für den Erfolg dürften auch das historische (wenn auch stark verfremdete) Setting und die große Portion Zen-Buddhismus sein, die sich im Fokus auf Meditation, die Beherrschung des Körpers und vor allem des Atems äußert. Ach ja, und natürlich auch die Gewalt: Demon Slayer ist zwar kein voyeuristisches Splatter-Fest, aber doch überaus blutig und explizit.

 

Film verlangt Vorwissen

Das ist gelegentlich zäh und immer wieder viel, viel zu „talkative“, geschwätzig, wenn in inneren Monologen Sachverhalte erörtert werden, die sich auch problemlos aus den Bildern oder dem Geschehen ableiten lassen würden. Über den Großteil seiner Laufzeit hinweg ist Demon Slayer aber packend, überraschend tiefsinnig, von interessanten Figuren durchsetzt und vor allem wahnsinnig unterhaltsam. Nur eines ist es nicht: subtil. (Aber welcher Shōnen-Anime ist das schon?) Dessen sollte man sich bei einem möglichen Kinobesuch bewusst sein. Ebenso wie der Tatsache, dass Demon Slayer — The Movie unmittelbar an Staffel eins der Serie anschließt und als Bindeglied zur kommenden zweiten fungiert. Ohne Vorwissen bleibt man geistig auf Bahnhof stehen, an dem der Film startet. Abhilfe schaffen zur Not Zusammenfassungsvideos auf YouTube.

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Der Film selbst bleibt der Ausrichtung der Serie treu: Über knapp zwei Stunden erzählt er von einer Konfrontation zwischen Tanjirō, Nazuko und deren Begleitern mit dem bislang mächtigsten Dämon, der ihnen untergekommen ist. Alles an Bord eines Zuges mit zu rettenden Zivilisten. Einem flott und packend erzähltem Anfang folgt ein (für Neueinsteiger*innen) träger Mittelteil, der sich größtenteils in den Gedankenwelten der Hauptfiguren abspielt, sie weiter ausformt und erklärt, bis es zum großen, actiongeladenen Finale kommt. Die zehnminütige Summary via YouTube hilft da zwar beim grundlegenden Verständnis, kann jedoch nicht die emotionale Bindung zu den Hauptfiguren ersetzen, die sich im Laufe der 26 Anime-Folgen bildet.

Es war deshalb ein durchaus wirtschaftlich riskantes Vorhaben, einen Film für eine solche spezifische Zielgruppe zu konzipieren und Uneingeweihte zu exkludieren. Der Erfolg des Films spricht jedoch für sich sowie für den Hype der Marke - und zeigt, dass Nische wenn, dann aber so richtig funktionieren kann. Wer vor dem Kinobesuch die Serie schauen möchtet (die deutsche Synchro ist hervorragend), findet sie auf Wakanim oder im Animax-Channel von Amazon Prime Video. Das sei an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen. Zumindest für alle mit Anime-Affinität.

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