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Darling der Woche

1001 Nacht trifft Goethes Faust: "Das indische Grabmal"

Ein Beitrag von Christian Neffe

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Conrad Veidt (r.) und Bernhard Goetzke in "Das indische Grabmal".
Conrad Veidt (r.) und Bernhard Goetzke in "Das indische Grabmal".

Ende Juli zog die Initiative „Filmerbe in Gefahr“ eine ernüchternde Bilanz: Aufgrund rechtlicher Bestimmungen seien große Teile des deutsches Filmerbes von einer Digitalisierung ausgeschlossen. „Dies zeigen auch die Förderentscheide des ersten Halbjahres mit Stand Mai 2019: Bisher wurden nach kuratorischem Interesse ausschließlich Filme gefördert, die nach 1949 entstanden“, hieß es. Wir freuen uns deshalb immer besonders, wenn alte Perlen der deutschen Filmkunst dann doch den Weg in die digitalen Archive finden und damit die Möglichkeit bekommen, ihren zweiten Frühling auf dem zeitgenössischen Heimkinomarkt erleben zu dürfen.

Kürzlich ist eine weitere Perle hinzugekommen. Dank der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und des Filmmuseums München steht nun — fast 98 Jahre nach seiner Uraufführung — der Monumentalstreifen Das indische Grabmal erstmals auf DVD und BluRay zur Verfügung. Ein Werk, dessen Ausmaße typisch für das frühe Kino der Weimarer Republik sind: Es sollte „der Welt größter Film“ werden, hieß es 1921 vollmundig. In Berlin wurden deshalb 18 gewaltige Kulissen von bis zu 40 Metern Höhe errichtet. Elefanten und Tiger wurden am Set dirigiert, rund 2000 Komparsen waren beteiligt. Geschätzte Kosten: 20 bis 24 Millionen Reichsmark.

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Wen diese Zahlen nicht beeindrucken, der wird womöglich bei den beteiligten Namen hellhörig. Das Drehbuch stammte von Thea von Harbou und ihrem Ehemann Fritz Lang. Letzterer wollte zunächst auch die Regie übernehmen, doch eine solche Großproduktion wurde ihm vonseiten des Studios noch nicht zugetraut (spätestens 1927 trat er mit Metropolis den Gegenbeweis an). Also sprang der Österreicher Joe May ein und drehte einen Zweiteiler, der in der nun komplettierten und digitalisierten Fassung eine Gesamtlänge von epochalen 242 Minuten erreicht. (Der Stoff wurde im Übrigen auch zwei Mal neu verfilmt: 1938 von Richard Eichberg und 1959 von Fritz Lang höchst persönlich — inhaltlich haben diese Fassungen aber nur wenig mit dem Original gemein.)

Vor allem aber der Name des Hauptdarstellers dürfte auf Interesse stoßen. Conrad Veidt übernahm in Das indische Grabmal die Rolle des Maharadschas von Eschnapur und führte damit das fort, wofür er 1920 in Das Cabinet des Dr. Caligari (als schlafwandelnder Mörder Cesare) bekannt wurde: exzentrische und schauderhafte Darstellungen sinisterer Charaktere. Sein Maharadscha ist eine von Neid, Paranoia und unerwiderter Liebe zerfressene Figur, dessen Geliebte (Erna Morena) eine Affäre mit einem britischen Offizier (Paul Richter) eingeht. Der Fürst will ihr deshalb ein monumentales Grabmal errichten lassen. Mit Hilfe des magischen Yoghi Ramigani (Bernhard Goetzke) beauftragt er den Architekten Herbert Rowland (Olaf Fönss) mit dieser Aufgabe. Dessen Verlobte (Mia May) folgt ihm jedoch nach Indien und löst damit eine Kette von Ereignissen aus, die tragisch enden.

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Visuell hat Das indische Grabmal — dank seiner gewaltigen Kulissen und detailverliebten Ausstattung — nichts von seiner Opulenz verloren. Inhaltlich bewegt es sich irgendwo zwischen 1001 Nacht, Goethes Faust und Kolonial-Erzählung. Und Conrad Veidts Schauspiel ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben: In Sekundenschnelle wechselt er vom rachsüchtigen Autokraten zum trauernden Witwer. Die kürzlich erschienene viragierte und komplettierte, digitale Fassung von Das indische Grabmal sorgt nun hoffentlich dafür, dass diese Rarität auch fast 100 Jahre nach seiner Premiere erneut ein großes Publikum findet.

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