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Cannes 2018

Cannes vs. Netflix - Eine Tragödie

Ein Beitrag von Beatrice Behn

Der Streit zwischen Netflix und dem Festival de Cannes spitzt sich weiter zu — nun hat der Streamingdienst endgültig eine Handvoll Filme von den Filmfestspielen zurückgezogen. Ein Konflikt unter dem Deckmantel der Liebe zum Film, bei dem alle nur verlieren können.

Meinungen
Auslöschung von Alex Garland
Auslöschung von Alex Garland

Voriges Jahr hatte Netflix mit The Meyerowitz Stories und Okja noch zwei Filme von Autorenfilmemachern in Cannes am Start. Dieses Jahr werden es gar keine sein. Wie schon angekündigt und auf Drängen der französischen Kinobetreiber auch vollzogen, hatte Cannes sich vor ein paar Tagen entschieden, alle Filme, die keinen Kinostart haben, nicht mehr in Betracht zu ziehen. Während die einen jubelten, gab es harsche Kritik von Netflix an dieser neuen Praxis. Und nun ist es soweit, wir haben eine mehr als unglückliche „Alien vs. Predator Situation“.

Es ist wirklich eine Krux: Zwei Giganten streiten sich unter dem Deckmantel der Liebe zum Film und das Ergebnis ist nichts weiter als ein industrieweiter Penisvergleich mit ein bisschen Generationenkonflikt als Garnitur. Man sollte darüber lachen, wäre es nicht zum Heulen, denn die Verlierer, quasi die Scheidungskinder, die hier zwischen den keifenden Eltern zermürbt werden, sind die Filme und vor allem die AutorenfilmemacherInnen selbst.  

  • The Meyerowitz Stories von Noah Baumbach
    The Meyerowitz Stories von Noah Baumbach

    The Meyerowitz Stories von Noah Baumbach lief 2017 in Cannes.

  • Filmbild Okja
    Okja

    Okja von Bong Joon-ho lief 2017 in Cannes.

  • Auslöschung von Alex Garland
    Auslöschung von Alex Garland

    Auslöschung von Alex Garland wurde im März ausschließlich auf Netflix gezeigt, weil Paramount kalte Füße bekam.

  • Bright von David Ayer
    Bright von David Ayer

    David Ayers Netflix-Produktion Bright wurde von der Kritik einstimmig geschlachtet.

  • Filmstill 2 zu Mute (2018) voN Duncan Jones
    Mute (2018) von Duncan Jones

    Sein Herzensprojekt Mute konnte Duncan Jones nur durch das Geld von Netflix finanzieren. Gut kam er leider trotzdem nicht weg.

Bei allem Respekt für die große Institution des Cannes-Filmfestivals: es ist erstens ein Film-Festival, kein Kino-Festival. Zweitens liegt uns natürlich die Institution Kino sehr am Herzen - wir heißen ja nicht umsonst Kino-Zeit — , aber es zeugt von Hybris und rückwärtsgewandten Denken, wenn man einfach weiterhin zu leugnen versucht, dass sich das Medium Film und auch seine Abspielmöglichkeiten in den vergangenen Jahren massiv geändert haben. Man mag von Netflix und Co. halten, was man will, aber zu ignorieren, dass es sie gibt und was sie inzwischen tun, ist absurd und gar gefährlich. Und wenn das große Filmfestival von Cannes sich jetzt als Hort der großen Filmkunst aufplustert, so möchte man doch noch einmal daran erinnern, dass man in den vergangenen Jahren dort auch Filme durchlitten hat, die ebenfalls wenig mit der Liebe zum Film zu tun hatten. So quälten wir uns durch The Last Face, weil Sean Penn ein Freund des Festivals ist, schliefen in Grace of Monaco als Eröffnungsfilm ein, weil man eben Glamour zur Eröffnung braucht, oder wunderten uns über Drachenzähmen leicht gemacht, der außer Konkurrenz lief. Also bitte nun nicht so tun, als wäre man der Hort der besten Filmkultur. Alles, auch Cannes, ist bestimmt von einer Industrie, von einem Markt. 

Drachenzähmen leicht gemacht
Drachenzähmen leicht gemacht

Und dieser Markt hat eben auch Netflix und Co. hervorgebracht. Die genau wie Cannes proklamieren, sie seien die großen Liebhaber des Filmes. 

„Bei uns geht es zu 100% um die Filmkunst.“ (Ted Sarandos, Netflix)

100% um die Filmkunst. Da kann man leider ebenfalls nur lachen. Denn wahrlich, das ist Quatsch. Die gesamte Geschäftsidee von Netflix basiert darauf, Kinos als Abspielorte zu unterlaufen und Filme in unendlichen Massen anzubieten. Ja, Netflix hat inzwischen einigen AutorenfilmemacherInnen Geld gegeben, damit sie ihre Projekte beenden oder überhaupt erst einmal starten können. Während die Filmindustrie fast alles für Superheldenfilme, Prequels, Sequels und anderen Kram ausgibt und dabei das anspruchsvollere Kino vor die Hunde gehen bzw. einfach ganz langsam verhungern lässt, hat Netflix sich um diese Projekte gekümmert.

Dank Netflix kann man Alex Garlands formidablen Auslöschung überhaupt sehen, nachdem Paramount ihn wegen angeblicher Hyperintellektualität aus dem Programm strich. Gleichsam geht Netflix mit seinem AutorInnen-Kino hochgradig stiefmütterlich um. Es gibt kaum Werbung, die Filme erhalten wenig bis keine Unterstützung, ein breites Publikum zu finden, und ja, sie verschwinden quasi hinter einer Pay-Wall: wer kein Abo hat, wird sie nicht sehen. Doch auch mit Abo ist Netflix eine Fallgrube für Filme, schon sein Prinzip basiert auf Masse. Jeder von uns, der Netflix (und auch Amazon Prime) schon einmal benutzt hat, kennt den Horror des unübersichtlichen Systems: Man möchte gerne etwas gucken, gibt aber nach einer Stunde entnervt auf. Wie soll man überhaupt diese wundervollen Filme finden, wenn sie von den Eigenproduktionen — die einzigen Filme und Serien, die wenigstens halbwegs promotet werden, — verdrängt werden und dann untergehen im Einerlei der Archivmasse, in der Auslöschung neben Schrott wie Bright oder den nächsten drei Adam-Sandler-Filmen steht?

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Wahrlich, die Unterschiede zwischen Cannes und Netflix und Co. sind gar nicht so groß. Letztendlich geht es in diesem Streit um Machtstrukturen und Positionierungen. Die VerliererInnen sind die Filme und die potentiellen ZuschauerInnen. Und das geht noch viel weiter. Was bisher keiner so recht bedenkt oder bespricht: die Regel, dass nur noch Filme mit Kinostart in Betracht gezogen werden, schließt auch eine große Zahl kleinerer Produktionen aus, die vielleicht nicht die monetäre Power haben, aber trotzdem hervorragende Filmkunst sind. Und genau diese Filme brauchen doch ein Cannes, damit sie eben nicht automatisch — aus Mangel an Alternativen — in einem Archiv von Netflix landen. 

„Wir wollen die Zukunft des Kinos sein. Cannes wählt indes, in der Geschichte des Kinos stecken zu bleiben“. (Ted Sarandos, Netflix)

Was sich hier mit Cannes vs. Netflix gerade abspielt, ist Zynismus auf höchster Stufe. Ein Kampf zweier Titanen, die sich nichts nehmen und die hier um alles kämpfen, aber nicht um das Kino, nicht um die Filmkunst. Und die vor allem gerade nichts tun, um sich wirklich mit dem Problemen und der Zukunft dieser Medien- und Kunstform auseinanderzusetzen.

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