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Bücher

Über Traumwelten und das amerikanische Kino – Neue Film-Bücher

Ein Beitrag von Sonja Hartl

David Lynch erzählt aus seinem Leben, ein deutschsprachiger Sammelband zum Queer Cinema ist erschienen und dazu noch zwei Empfehlungen für interessierte Cineasten. Sonja Hartl über die neue Filmbücher.

Meinungen
Traumwelten/Queer Cinema/The Real Eighties
Traumwelten/Queer Cinema/The Real Eighties

Traum und Wirklichkeit

Eine Erwartung sollte man an „Traumwelten“ von Kristine McKenna und David Lynch nicht haben: Dieses Buch erklärt keinen Lynch-Film. Vielmehr ist diese (Auto-)Biographie beredter Beweis, dass das Leben eines Künstlers nicht sein Werk deutet. Aber viel ist auf den rund 700 Seiten von „Traumwelten“ dennoch zu erfahren. In wechselnden Kapiteln erzählen Kristine McKenna und David Lynch das Leben des Regisseurs. Stets beginnt ein Abschnitt mit den Ausführungen von Kristine McKenna, die die Absicht haben „so dicht wie möglich an eine definitive Biografie heranzukommen; das bedeutet, dass alle Fakten, Personen und Daten korrekt wiedergeben werden mussten und es sich um zuverlässige Informanten handelte“. Hierführt hat sie über 100 Interviews geführt und von seinen vier (Ex-)Ehefrauen über Schulfreunde bis zu Mitarbeiten werden allerhand Gesprächspartner zitiert. Diese Passagen geben das Leben chronologisch wieder, sie sind ausführlich und detailreich. Aber bisweilen fehlt doch deutlich eine kritische Distanz zwischen all den Betonungen, wie freundlich David Lynch sei. Dadurch steckt hier mehr Lynch-Verehrung, als dieses Buch gebraucht hätte.

Traumwelten, Heyne 2018
Traumwelten, Heyne 2018

Auf die Passagen von McKenna folgen dann jeweils Lynchs eigene Erinnerungen zu den Ausführungen der Gesprächspartner. Es soll ein „Dialog zwischen einer Person und seiner eigenen Biografie“ werden, tatsächlich ergänzt und korrigiert Lynch so manches. Diese Struktur ist fraglos reizvoll: Zum einen spricht Lynch in der Regel weder über sein Werk noch über sein Leben – hier schreibt er zumindest breit über letzteres und das ist insbesondere in den Kapiteln zu seiner Kindheit hochspannend. Auch klingt in der deutschen Übersetzung immer wieder Lynchs Sprachduktus wunderbar wieder. Aber es kommt auch zu einigen Redundanzen und Brüchen in der Chronologie, die Verweise nötig machen, die mit einer stärkeren Stringenz zu vermeiden gewesen wären. 

Diese Ausführlichkeit sorgt auch dafür, dass man viel über die Produktionsbedingungen seiner Filme erfährt – die stets schwierige Finanzierung, die konkrete Arbeit in den einzelnen Produktionsstufen. Dadurch wird „Traumwelten“ zu einem wahren Fundus an Hintergrundwissen zu David Lynchs Filmen – und nicht nur das: zu seinen Ausstellungen, seinen Musikalben und seiner künstlerischen Arbeit insgesamt. 

David Lynch und Kristine McKenna: Traumwelten. Übersetzt von Robert Brack, Daniel Müller, Wulf Dorn und Stephan Glietsch. Heyne 2018. 

 

 

Queer Cinema

Im Jahr 1992 veröffentlichte die Filmkritikerin und -wissenschaftlerin Ruby Rich in der Village Voice den bahnbrechenden Artikel New Queer Cinema, mit dem sie den Blickwinkel auf queeres Filmschaffen veränderte: Ausgehend von vorwiegend amerikanischen Independentfilmen der 1990er Jahre beschreibt sie, dass es nun nicht mehr um den Gegenentwurf zu negativen Darstellungen von Lesben, Schwulen und Transpersonen ginge, dass die queeren Filmschaffenden nicht mehr auf Toleranz oder Akzeptanz abzielten, sondern den Blick verkomplizierten und erweitern. Sexualität und Geschlecht werden nun im Zusammenhang mit race und Klasse betrachtet, Figuren sind nicht mehr auf Identifikation ausgerichtet – und die Vorstellungen von Identitäten werden hinterfragt. Hinzu kommen formalen Innovationen – und alles fasst sie unter den Begriff New Queer Cinema.

Queer Cinema, Ventil Verlag 2018
Queer Cinema, Ventil Verlag 2018

In dem deutschsprachigen Sammelband Queer Cinema ist nun nicht nur der „Director’s Cut“ des Artikels ins Deutsche übersetzt, sondern der Sammelband von Dagmar Brunow und Simon Dickel folgt den Entwicklungslinien des queeren Kinos in den 26 Jahren, die seither vergangen sind. Dabei gelingt den HerausgeberInnen eine überzeugende Mischung aus grundlegenden Texten und Beiträgen von FilmemacherInnen. So führt beispielsweise der zweite Beitrag des Buchs, „Queer Cinema Studies: Ein Überblick“ von Skadi Loist, in die Themen und Forschungsansätze der Queer Cinema Studies ein, während sich die Beiträge von Jim Hubbard und Henriette Gunkel mit Fragen nach Zeitlichkeiten und dem Archiv beschäftigen. Daneben stehen Ausführungen von Filmemacherinnen wie Barbara Hammer und Cheryl Dunne, Interviews mit Monika Treut und Angelina Maccarone und Beiträge, die sich mit Repräsentationen und ästhetischen Strategien auseinandersetzen. Insgesamt liefert dieser Band damit einen hervorragenden Einstieg in das Themengebiet Queer Cinema. 

Dagmar Brunow, Simon Dickel (Hrsg.): Queer Cinema. Ventil Verlag 2018. 

 

 

The Real Eighties, FilmmuseumSynemaPublikationen 31
The Real Eighties, FilmmuseumSynemaPublikationen 31

Zum Abschluss noch zwei Empfehlungen für interessierte Cineasten. Obwohl im Untertitel von „The Real Eighties“ ein „Lexikon“ angeführt wird, sollte man von diesem Band des österreichischen Filmmuseums keine enzyklopädische Vollständigkeit erwarten. Vielmehr entpuppt er sich als eine spannende Sammlung von 47 Texten zu Filmen und Filmschaffenden des amerikanischen Kinos der 1980er Jahre. Thematisch, inhaltlich und stilistisch mal mehr, mal weniger nah am Mainstream findet man hier Auseinandersetzungen mit Teen Movies, der Produktionsfirma Cannon Films und Beiträge sowohl zu Tom Cruise als auch Jamaa Fanaka. Ein Buch zum Stöbern und Entdecken. 

Lukas Foerster, Nikolaus Perneczky (Hrsg.): The Real Eighties. Amerikanisches Kino der Achtzigerjahre: Ein Lexikon. FilmmuseumSynemaPublikationen 31. 

 

Radikale Erschütterungen, Bertz + Fischer 2018
Radikale Erschütterungen, Bertz + Fischer 2018

Mit Frauenfiguren im französischen Terrorfilm der vergangenen 15 Jahre beschäftigt sich Susanne Kappesser in ihrem Buch und analysiert den Körperhorror dieser Filme mittels neuerer Ansätze der Körper- und Gendertheorie. Dabei arbeitet sie heraus, dass die weiblichen Filmkörper „nicht nur gesellschaftlich relevante Körperkonzeptionen (präsentieren), sie stehen in einem transgressiv-performativen Austausch mit den zuschauenden Körperlichkeiten und agieren so letztlich als soziokulturelle Handlungen“. Die Ursache des Terrors, die Quelle des Horrors liegt demnach nicht in den Frauenkörpern, sondern in den gesellschaftlichen Strukturen, in denen sie agieren. Eine lohnenswerte Genrefilm-Analyse – und ein Beweis, wie fruchtbar theoretische Ansätze genutzt werden können. 

Susanne Kappesser: Radikale Erschütterungen. Körper- und Genderkonzepte im neuen Horrorfilm. Bertz + Fischer 2018.

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