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Bücher

Neue Filmbücher für die Sammlung

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Sonja Hartl empfiehlt die besten Neuerscheinungen unter den Filmbüchern — für Fans von Kinderfilmen über feministische Filmgeschichte bis hin zu Fritz Lang ist alles dabei.

33 beste Kinderfilme/Nur Einmal/Selbstbestimmt
33 beste Kinderfilme/Nur Einmal/Selbstbestimmt

Kathleen Collins hat als eine der ersten Schwarze US-Amerikanerinnen einen Langfilm gedreht, unabhängig produziert. Dennoch war sie lange Zeit in den USA nur Eingeweihten bekannt. Hierzulande beginnt ihre Rezeption gerade erst – dank eines Buchs.

 

Eine literarische Filmemacherin 

Über 20 Jahre lang steckten die Papiere von Kathleen Collins in einer Truhe. Nach ihrem Tod 1988 hatte ihre Tochter Nina sie zusammen gepackt und verstaut. Die Truhe hat mehrere Umzüge mitgemacht, doch geöffnet hat sie sie erst nach zwei Jahrzehnten. Ihre Mutter als Filmemacherin und Dramatikerin gearbeitet, also fand sie wie erwartet Fotos, Tagebücher, Notizen und Drehbücher. Doch in diesem Konvolut waren auch einige Prosatexte. Zu Lebzeiten hatte Kathleen Collins nur ein Buch veröffentlicht, ihre Geschichten wurden indes immer wieder abgelehnt – unter anderem von Alice Walker, der Autorin von Die Farbe Lila, die 1975 als Redakteurin bei Ms. Magazine Collins‘ Erzählungen prüfte. Im Jahr 2016 nun erschienen ihre Erzählungen in den USA – und wurden von der Presse sowie Schriftstellerinnen wie Miranda July, Leslie Jamison und Zadie Smith gefeiert, die „moved, agitated and inspired“ von dem Buch war.  

Unter dem Titel Nur einmal sind Collins‘ Storys in der deutschen Übersetzung von Brigitte Jakobeit und Volker Oldenburg nun beim Kampa Verlag erschienen. Sie sind zwischen 1970 und 1980 entstanden und liefern eindrucksvolle Einsichten in das Leben von Kathleen Collins als kreativer Schwarzer Frau in den USA – sie erzählen von Rassismus, Depressionen, gescheiterten Beziehungen und kreativen Widerständen. 

 

 

Das Politische im Privaten

Geboren 1942 war Kathleen Collins in den frühen 1960er Jahren Bürgerrechtsaktivistin in einer Zeit, die gleichermaßen von Hoffnung wie Enttäuschung gekennzeichnet war. In allen Geschichten sind die Erfahrungen präsent: In der deutschen Titelgeschichte „Nur einmal“ wird die Liebe eines Paares dadurch zerstört, dass „die goldene Haut“ des Mannes „schwarz wurde und bei anderen Verachtung hervorrief“. In der Geschichte, die der amerikanischen Ausgabe den Namen gab („Whatever happened zu interracial love“), erkennt eine junge Schwarze, dass sie nun jeden heiraten kann – sogar einen weißen Bürgerrechtsaktivisten. Aber sowohl seine als auch ihre Eltern sind gegen diese Verbindung. 

Kathleen Collins erzählt von einer Zeit, in der Eltern aus der „Schwarzen Bourgeoisie“ „erleben, wie ihre Kinder sich gegen das bürgerliche Streben nach Ent-Ghettoisierung auflehnen. Ihre Söhne werden für die Freiheit ins Gefängnis gehen (was in den Augen der Eltern nicht besser ist, als würden sie wegen bewaffneten Raubüberfalls, Drogenhandelns, Zuhälterei oder anderer ethnientypischer Straftaten hinter Gittern landen.)“. Sie zeigt immer wieder, wie das politische und gesellschaftliche Klima die Beziehungen und das Leben beeinflusst, ohne es explizit zum Thema zu machen. Das Politische ist vom Privaten nicht zu trennen. 

 

Schwarze Frauen 

Bestimmte Motive wiederholen sich: Rassistische Ausgrenzung und Vorurteile führen in Depressionen, zweimal finden sich fast wortwörtliche identische Reaktionen auf eine Frisurveränderung, die die Politisierung afroamerikanischer Haare sehr deutlich macht: Nachdem sich jeweils eine junge Frau entschieden hat, kurze Haare zu tragen, sind die Väter enttäuscht über diesen Haarschnitt: „Wie konntest Du nur eine Schwarze aus Dir machen, die aussieht wie alle Schwarzen?“. In „Rückzug“ beschreibt die Erzählerin ihre Beziehung zu einem Schwarzen Künstler, der vorher noch nie eine Schwarze Frau „ernsthaft als Geliebte“ in Betracht zog. Aber sie war die erste, die über das „Savoir-faire verfügte, das ihm so unermesslich wichtig war. Die erste mit Stil, Geschmack, Eleganz, Witz und einem Faible für Lyrik und Haute Cusine“. Deshalb testet er sie ständig, ob sie nur vorgibt, darüber zu verfügen.

Rassismus lässt sich von diesen Geschichten nicht lösen, dazu durchzieht sie eine tiefe Melancholie und das Gefühl der Entfremdung. Stilistisch verweisen sie zudem auf Collins‘ filmische Arbeit. Es gibt Rückblenden, Szenenwechsel, direkte Dialoge, die mit der Intonation in Klammern wiedergegeben werden. Die ersten beiden Geschichten „Außen“ und „Innen“ lassen sofort an einen Film denken – es sind Entwürfe, für etwas, das entstehen könnte. Sie erzählen von der schwierigen Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, der Mann hat eine Affäre, er ist egozentrisch und fordernd. Die Frau erkennt das – und hofft doch auf eine Wiederannäherung. Damit verweisen sie bereits auf Kathleen Collins‘ Film Losing Ground.

 

 

Filmpionierin

„Niemand wollte einer schwarzen Frau Geld für eine Film geben. Es war wohl die frustrierendste Zeit meines Lebens“, wird Kathleen Collins in dem Nachwort ihres Kurzgeschichtenband Nur einmal zitiert. Sie hat zu einer Zeit Filme gemacht, in der Schwarze Frauen ignoriert oder sogar daran gehindert wurden, Einfluss zu bekommen. Als dann ihr Film schließlich fertig war, sah sie sich Verleihern gegenüber, die der Meinung waren, das Publikum sei nicht interessiert an diesem Film – oder sie wussten nicht, welches Publikum sie ansprechen sollten.

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Wie in ihren Storys verweigert sich Kathleen Collins auch in Losing Ground gängigen Narrativen vieler afroamerikanischer Werke: Sie erzählt von einem Schwarzen Mittelklasse-Paar aus New York. Sara (Seret Scott) ist Akademikerin, ihr Ehemann Victor (Bill Gunn) abstrakter Maler. Nachdem Victor zum ersten Mal eines seiner Bilder verkaufen konnte, verbringt er den Sommer auf dem Land. Dort begegnet er der Puerto-Ricanerin Celia, die seine Muse wird. Sara hingegen pendelt zwischen Stadt und Sommerhaus hin und her, sie fühlt sich zunehmend vernachlässigt und ignoriert. Deshalb stimmt sie zu, in einem Studentenfilm mitzuspielen, der die Ballade von Frankie und Johnny nachstellt. Hier spielt sie Frankie, die ihren Mann tötet, nachdem sie entdeckt, dass er eine Affäre hat. 

 

Künstlerische Identität

Es ist die Kunst, die Sara die Freiheit und Leidenschaft bietet, die sie gesucht hat, die er zudem eine alternative Identität bietet. „In Collins’s vision, the life of a black person—in particular, of a black woman—is a perilous existential adventure.“ Für Collins‘ Geschichten wie für den Film gilt: „I am interested in ideas. I am interested in how human beings evolve—a consciousness which is true to who they are in the center of their being.“ Dabei lassen die ruhigen, sorgfältig angeordneten Bildkompositionen mit leuchtenden Farben und die Tableaus tiefe Einblicke in die Figuren zu. Es werden Fragen nach Kreativität und Identität verhandelt, Collins spürt den Folgen von Rassismus in den Charakteren nach, in ihrem Sein und ihren Arbeiten – insbesondere bei KünstlerInnen.

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Losing Ground steckt voller Metaphorik und Symbolik, die Handlung ist den Charakteren oft untergeordnet. Kathleen Collins beschrieb sich als „literary filmmaker“, die ihre eigene filmische Sprache finden wollte. Eric Rohmer sei die einzige Person, die sie jemals filmisch beeinflusst hat, „because of his respect für language“. 

Im Kino war der 1982 entstandene Losing Ground nicht zu sehen, er lief auf einigen Festivals. Erst 2015 erhielt er im Rahmen der Serie Tell It Like It is: Black Independents in New York, 1968 – 1986 des Lincoln Centers breite Aufmerksamkeit, wurde als „nearly lost masterwork“ gefeiert. Danach wurde der Film, der „the face and content of the black womanist film“ verändert, auf DVD veröffentlicht. Dank des zeitlichen Zusammenfalls von der Wiederentdeckung des Films und der Veröffentlichung der Kurzgeschichtensammlung in den USA wird die Filmemacherin, Lektorin, Dramatikerin und Schriftstellerin Kathleen Collins dort weiterhin entdeckt. Gerade erst ist ein weiteres Buch von ihr erschienen, Notes From a Black Woman’s Diary versammelt Drehbücher, Notizen und weitere Geschichten. Es bleibt zu hoffen, dass es erst ein Anfang ist. Weiterhin sind afroamerikanische Regisseurinnen eine Seltenheit um Kino – und Kathleen Collins ist hier eine der Pionierinnen. 

Losing Ground gilt heute als Vorläufer von Filmen wie Daughters of the Dust (1991), dem ersten Spielfilm einer Schwarzen Frau, der im Kino gezeigt wurde. Mit Nur einmal erfährt sie nun auch hierzulande erste Aufmerksamkeit. Und es ist zu wünschen, dass auf die Entdeckung der Autorin Kathleen Collins auch eine Entdeckung der Filmemacherin folgt.

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