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Karussellfahrten

Ein Beitrag von Sonja Hartl

„Ride the pink horse“ ist ein wenig beachteter Noir-Film – und hat mit Dorothy B. Hughes‘ „Der Tod tanzt auf den Straßen“ eine literarische Vorlage, die Beachtung verdient. Warum das so ist und was sich sonst noch zu lesen lohnt in diesem Herbst.

Meinungen
Drei Buchcover in rot, grau und rot/schwarz
"Der Tod tanzt auf den Straßen" / "Chantal Akermans Verschwinden" / "Der Fall des verschwundenen Lords"

Ein Mann kommt in eine Stadt, um einen weitaus mächtigeren Mann zu erpressen – das ist die Ausgangssituation von Dorothy B. Hughes‘ bitterbösem, fiesen Kriminalroman „Ride the pink horse“ (dt.: „Der Tod tanzt auf den Straßen“). Und genau das sieht man in der bemerkenswerten Einstiegssequenz von Robert Montgomerys gleichnamiger Verfilmung des Romans: Ein Mann (Robert Montgomery) steigt am Busbahnhof einer kleinen Stadt aus und geht zu dem Bahnhofsgebäude. Er ist sorgsam darauf bedacht, dass ihm niemand Beachtung schenkt, setzt sich auf eine Bank, nimmt eine Pistole aus seinem Koffer und steckt sie unter sein Jackett in den Hosenbund. Dann geht er zu den Schließfächern, deponiert einen Zettel und versteckt den Schlüssel mit Kaugummi an einem Bilderrahmen. Ohne ein gesprochenes Wort ist damit klar, dass dieser Mann etwas vorhat, sich aber keinesfalls sicher fühlt – und dieser Zettel so wertvoll ist, dass er ihn nicht bei sich tragen will. Es gibt keinen Schnitt in dieser Sequenz, sofort musste ich an Orson Welles‘ Im Zeichen des Bösen denken und tatsächlich: Kameramann von Ride the pink horse ist ebenfalls Russell Metty.

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Weniger Politik

Die Stadt, in der der Mann angekommen ist, ist im Buch Santa Fe – im Film heißt sie San Pablo, soll aber Santa Fe sein. Es findet dort eine Fiesta statt, deshalb ist viel los. Der Neuankömmling wird kein Hotelzimmer finden, sich mit dem Karussellbesitzer Pancho und dem Mädchen Pila anfreunden. In diesen grundlegenden Handlungszügen bleibt Montgomery bei Hughes, jedoch gibt es klare Unterschiede: Im Roman hat der Mann, der Sailor heißt, als Privatsekretär des ehemaligen Senators Douglass dafür gesorgt, dass dieser krumme Geschäfte mit anderen Verbrechen machen kann, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Dadurch weiß Sailor etwas über die Ermordung der Ehefrau des Senators, für dieses Schweigen will er Geld erpressen. Beobachtet wird er zudem von dem Polizisten McIntyre, der herausfinden will, was Sailor hat, um den Senator zu erpressen.

Im Film nun ist aus Sailor Lucky Gagin (Robert Montgomery) geworden, ein ehemaliger Soldat, der den Gangster Frank Hugo (Fred Clark) erpressen will. Er weiß, dass Hugo seinen Kriegskumpel Shorty ermordet hat und kann es mithilfe eines Schecks beweisen. Vor Ort ist auch der FBI-Agent Bill Retz (Art Smith), der Gagin dazu bringen will, ihm die Beweise auszuhändigen. Wie im Roman belauern drei Männer einander, jedoch ist der politische Kontext deutlich abgeschwächt: Hugo ein reicher Gangster und kein ehemaliger Politiker. Das wäre 1947 in Hollywood nicht möglich gewesen – und schon gar nicht in einem Film von dem konservativen Robert Montgomery. Vielmehr bleibt der Film hier bei einem gängigen Noir-Muster: Gagin ist ein Kriegsveteran, der nach seiner Rückkehr nicht mehr zurück in die Gesellschaft findet und deshalb einen Gangster erpresst. Der verführerischen Femme fatale widersteht er ebenso wie der Gier nach mehr Geld.

 

Fiesta in New Mexico

Bemerkenswert ist indes das Setting: Ride the pink horse spielt nicht in einer Großstadt, sondern einer eher ruralen Umgebung in New Mexico. In Hughes‘ Roman wird die rassistische Hierarchie in dieser Stadt sehr deutlich: Die Fiesta wird zwar anlässlich der Rückeroberung von Santa Fe durch die Spanier 1692 gefeiert, tatsächlich aber haben längst die Weißen das Sagen in diesem Bundesstaat. Sailor reagiert mit fast aggressiver Abwehr auf die allgegenwärtigen Pueblo und Mexikaner, er fühlt sich regelrecht von ihren Blicken verfolgt.

© Goldmann

Im Film nun ist zu sehen, dass die Weißen feiern, sie sind Touristen, sie die Eindringlinge in dieser Stadt. Gagin verhält sich ihnen gegenüber arrogant und herablassend, aber wie im Buch sind der mexikanische Karussellbesitzer, den er immer nur Pancho nennt, und das Pueblo-Mädchen Pila seine einzigen Verbündeten. Pancho wird gespielt von Thomas Gomez – und für diese Rolle wurde er als erster hispanischer Schauspieler für den Oscar nominiert. Pila indes wird gespielt von Wanda Hendrix – eine weiße Schauspielerin, deren Haut dunkler geschminkt wurde. Im Roman wird Sailor von seinem Umfeld mehrfach unterstellt, er wolle Sex mit der 14-Jährigen haben; im Film nun schwärmt Pila für Gagin. Außerdem hat sie seinen Tod vorhergesehen und will ihm daher helfen. Schon allein aufgrund der Größenunterschiede von Hendrix und Montgomery wird klar, wie unangemessen eine tatsächliche sexuelle Beziehung wäre und glücklicherweise geht der Film auch nicht diesen Weg. Stattdessen wird Pilas Rolle im Film ausgeweitet, sie wird im letzten Drittel des Films zur Protagonistin, die den zunehmend orientierungslosen Gagin mehrfach rettet. Auch bekommt sie ein gutes Ende: Sie wird von den anderen Kindern und Teenagern umringt und beginnt die Geschichte zu erzählen, wie sie den weißen US-Amerikaner gerettet hat. Damit wird zumindest angedeutet, dass dies nicht nur die Geschichte von Gagin ist. Die erste Version des Drehbuchs hat die Produzentin des Films, Joan Harrison, selbst geschrieben, bevor sie es dann Ben Hecht und Charles Lederer gab.

Ride the pink horse ist im Vergleich zu dem Roman weitaus weniger bösartig, bitter und hinterhältig. Die Charaktere sind klar in Gut und Böse einzuteilen, auch ist die Atmosphäre im Roman noch hitziger, noch enger, noch klaustrophobischer. Jedoch gibt es eine Reihe guter Adaptionsideen in diesem Film. Als letztes Beispiel: das pinke Pferd im Titel. Im Roman ist es das Symbol der Wünsche, die Sailor als Kind hatte, die sich aber nie erfüllt haben. In dem Schwarz-Weiß-Film ist dieser Armutsdiskurs deutlich kürzer und Gagin versteckt sich einmal in einem Pferdewagen auf dem Karussell. Doch das Karussell wird als Bildgestaltungsmittel genutzt: Als Pancho von Hugos Schergen verprügelt wird, ist die Kamera auf dem Karussell, das sich dreht. In diesem Rhythmus ist dann im Hintergrund zu sehen, wie Pancho geschlagen wird, während die Kinder auf dem Karussell ängstlich und verstört sind. Es ist ein grausamer Einbruch der Gewalt in eine harmlose Karussellfahrt.

Dorothy B. Hughes: Der Tod tanzt auf den Straßen. Übersetzt von Friedrich A. Hofschuster. Goldmann 1981. Die amerikanische Originalausgabe „Ride the Pink Horse“ ist von 1946.

 

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