Schwestern

Im Bienenland

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Der Anfang von Schwestern: Ein Super8-Lehrfilm über Bienen; wie in einer Wabe eine der Larven überfüttert wird, damit sie sich zur Königin entwickelt. Ein schöner Einstieg in den Film über eine Familie, in der die Gemeinschaft flöten gegangen ist und die sich versammelt, um Abschied zu nehmen: Weil Kati, die jüngste Tochter, beschlossen hat, das Ordensgewand überzuziehen. Sich dazu drei Wochen in einem Schweigegelübde verpuppen muss, um schließlich in neuem Gewand ein neues Leben zu beginnen, in den Waben hinter Klostermauern.
Jetzt ist das mit Metaphern so eine Sache: Man darf es halt nicht überstrapazieren. Anne Wild, Drehbuchautorin und Regisseurin, belässt es nicht bei dem anfänglichen Bild des geselligen Miteinanders im Bienenstock – ein süßes Kind, Katis Nichte, hat noch dazu eine Bienenobsession, rennt im Bienenkostüm herum und sucht das Bienenland. Und wir haben eines der Symptome des deutschen Filmes, den aufgesetzten Symbolfetischismus, in Reinform vor uns: Denn so sehr das Bienensinnbild den Film durchzieht, so wenig hat es mit der Geschichte zu tun; und das, obwohl der Opa, so wird erzählt, Imker ist und man damit durchaus einen Anknüpfungspunkt an die Handlung hätte.

Nun ist der Mensch glücklicherweise so beschaffen, dass er einen eingebauten Schneidetisch im Hirn hat, den er nur anwerfen muss, um die Szenen des Zuviel, vielleicht noch während der Filmbetrachtung, einfach rauszumontieren. Und dann kann man sich freuen: Denn Wild hat ein sehr treffendes, sehr dynamisches Familienporträt skizziert, eine Art Kammerspiel auf der Sommerwiese.

Der Abschied von der Schwester, ihr Eintritt ins Kloster als Novizin, wird in einer prachtvollen Kirche gefeiert – doch es gibt eine Verzögerung. Das nervt erstmal – ein Ritual, dem eh keiner entgegenfiebert, nimmt kein Ende. Zugleich nährt es Hoffnung: Vielleicht hat Kati es sich anders überlegt? Denn was sagt es denn über die Familie aus, wenn eine Tochter die Flucht ins Kloster antritt! Oder liegt es an ihr, war sie nicht schon immer etwas seltsam? Weiß sie, was sie will, und folgt ihrem Weg, oder flieht sie einfach vor den Problemen der Welt ins einfache Klosterleben? Ins Kloster gehen ist so einfach, die Freiheit des echten Lebens ist viel schwieriger!

Der zynische Onkel – als dänischer Import: Jesper Christensen –, die gestresste Mutter der künftigen Gottesbraut (Ursula Werner), vor allem die Lieblingsschwester Saskia (Maria Schrader), die orientierungslos durch ihr Leben torkelt, sind tief gekränkt über den Schritt von Kati. Dazu kommt noch ihr Exfreund (Thomas Fränzel mit bizarrer Frisur: lange Haare und haushohe Stirn), der seinen Liebeskummer im Durchgeknalltsein betäubt. Der Bruder (Felix Knopp) lässt die Schwester liberal ihren Weg gehen – und steckt doch tief in der finanziellen Scheiße. Die Bürden, die jeder mit sich schleppt, werden allzu gern auf die Schwester übertragen, die so zum willkommenen Sündenbock wird.

Dabei will man eigentlich vor allem ein schönes Picknick machen, bis die Zeremonie weitergeht, ein bisschen Wein, ein bisschen Kuchen. Der freilich ist versalzen, eine Kuhherde trampelt über die Picknickdecken, schließlich verschwindet Marie, das Bienenkind… Und Anne Wild findet wunderbare, überreale Bilder. Schwarzweiße Nonnen, die schwarzweißen Kühen hinterherjagen. Der Onkel, das Alphatier, Auge in Auge mit einem Stier. Menschliche Bienenfamilien, als sich Maries Fantasie erfüllt. Ein singendes Babyphon, einsam auf gewitternasser Wiese.

Und in diesen Momenten finden die Figuren, findet auch der Film zu sich. Die Anspannung beruhigt sich, Abschied und Aufbruch schreiten voran, das Aufgewühlte wird zu einem wirklichen, bedächtigen Abschied von Kati. Denn Marie im schwarzgelben Kostüm hat es entdeckt: Auch ausgeschwärmte Bienen, die ihren Stock verlassen haben, geben Honig.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/schwestern