Eltern

Familie und andere Katastrophen

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Sie ist Ärztin, Stress in der Klinik, eventuell steht bald die Beförderung zur Oberärztin an. Er ist Theaterregisseur und mit den beiden Töchtern beschäftigt. Sie verdient das Geld; er ist vor allem Vater.
Eine Konstellation, wie sie mir persönlich nicht unbekannt ist. Familie, kreativer Beruf und Geldverdienen lassen sich nicht in Einklang bringen. Was eine Umkehrung des traditionellen Rollenverständnisses zur Folge hat. Eltern ist der Film dazu. Dass er viel mehr ist als ein Familienporträt mit umgedrehten Elternrollen, das liegt an der einfühlsamen, genauen Regie von Robert Thalheim, der bisher in jedem seiner Filme Großes geschaffen hat.

Charly Hübner und Christiane Paul spielen das titelgebende Paar, Paraschiva Dragus und Emilia Pieske ihre zehn und ca. fünfjährigen Töchter: Erstaunlich lebensecht stellen sie die Familie in anderen Umständen dar, sehr authentisch, ohne in wohlfeilen Naturalismus zu verfallen - es gibt im Film sensible Abstufungen des sogenannten Realismus; hier ist der richtige Grad punktgenau getroffen. Die Dynamik ist perfekt eingefangen, das Zusammengehören, das nicht immer das Verstehen bedeutet, der Stress, die manchmal die Geduld besiegt. "Du verhälst dich wie eine frustrierte Hausfrau aus den Fünfzigern", wirft die Frau dem Mann einmal vor; "Dann bist du der entsprechende Ehemann, der Angst vor den Kindern hat!"

Vater Konrad hat ein neues Theaterprojekt, Friedrich Hebbels Nibelungenstück. Doch es sind Herbstferien, Mutter Christine ist eingespannt in der Klinik. Und das Au-Pair-Mädchen aus Argentinien, das sie organisiert haben, entpuppt sich als Klotz am Bein: Sie ist schwanger, von zuhause weggelaufen ins deutsche Gastheim, ist selbst noch ein Kind, das Spaß haben möchte und nicht sehr viel von Verantwortung weiß. Schwindelanfälle und Übelkeit bedingen, dass jemand nicht nur auf die Kinder, auch auf den Babysitter aufpassen muss... Konrad verdient weniger, an ihm bleibt es hängen, er kann sich nicht aufs Berufliche konzentrieren, Christine hat nicht die Kraft für Verständnis - es kommt zum radikalen Schnitt: Für die Zeit vor der Premiere zieht Papa Konrad auf die Probebühne; Mutter Christine muss die ungewohnte Alltagsarbeit mit den Kindern zustande bringen. Funktionieren kann diese Lösung auch nicht.

Diese Ferien sind eine Katastrophe. Die Kinder reden nicht mehr mit den Eltern, die Töchter können mit der Mama nichts anfangen - et vice versa, für den Regisseur ist auch die Freiheit von der Familie nicht konzentrationsfördernd, und bis Freitag muss sich das Au-Pair-Mädchen entscheiden: Abtreibung ja oder nein? Eine Woche, in der sich die Konflikte steigern, in der die Filmdramaturgie immer dichter wird, ohne aufdringlich in die gewohnten, erwarteten Wege zu führen. Außereheliche "Love-Interests" werden ganz behutsam so angegangen, dass sie nicht ins Klischee des Ehebruch-Ausbruchs zu führen; und die Konflikte sind ohnehin stets von einer grundlegenden Liebe in dieser Familie zueinander getragen.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es ist auf jeden Fall nicht das schlechteste Leben, als bester Vater des Jahrhunderts zu gelten.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/eltern