Im August in Osage County

Einzelkämpfer auf dem Schlachtfeld Familie

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Um zu den Westons zu gelangen, folgt man einer schnurgeraden Straße durch das menschenleere flache Land und zweigt dann irgendwann ab, noch tiefer hinein ins Gras. Die Great Plains, klagt die heimkehrende Tochter Barbara (Julia Roberts), für dieses Nichts haben wir die Indianer plattgemacht! Hier wohnte das alte Ehepaar Beverly (Sam Shepard) und Violet (Meryl Streep), aber nun hat es der Schriftsteller und Trinker nicht mehr ausgehalten und ist verschwunden. Um der tablettenabhängigen Violet, die Mundhöhlenkrebs hat, Trost zu spenden, haben sich im Haus bereits die in der Nähe wohnende Tochter Ivy (Julianne Nicholson) und Tante Mattie Fae (Margo Martindale) mit Ehemann Charles (Chris Cooper) eingefunden. Kurz nachdem Barbara mit ihrem Mann Bill (Ewan McGregor) und der jugendlichen Tochter Jean (Abigail Breslin) eintrifft, wird Beverlys Leichnam aus einem Gewässer in der Nähe gezogen: Der geübte Angler hat vermutlich Selbstmord begangen.
Zur Beerdigung erscheinen auch die dritte Tochter Karen (Juliette Lewis) mit ihrer neuen Flamme Steve (Dermot Mulroney), sowie, mit einer peinlichen Verspätung, Mattie Faes Sohn Little Charles (Benedict Cumberbatch). Beim Leichenschmaus im Wohnzimmer eskalieren die latenten Konflikte zu einer furiosen Generalabrechnung unter der Regie der verbitterten Violet. Barbara hält tapfer dagegen, entreißt der Mutter kurzerhand das Zepter und entsorgt den Inhalt ihrer zahllosen Tablettenröhrchen. Aber auch sie kann nicht verhindern, dass bald schockierende Geheimnisse ans Licht kommen, die den mühsam hochgehaltenen Familiengedanken gründlich ausradieren.

Das schwarzhumorige Drama Im August in Osage County, das Regisseur John Wells nach dem gleichnamigen, von seinem Autor Tracy Letts selbst adaptierten Bühnenstück inszenierte, rüttelt gewaltig am amerikanischen Mythos der Familie als Keimzelle einer intakten Gesellschaft, wie er bis zu den Tagen der Siedlertrecks zurückreicht. Die integerste Person im Haus der Westons ist nicht von ungefähr die neue, indianische Haushälterin Johnna (Misty Upham), die Violets verächtliche Kommentare mit stoischer Ruhe erträgt. Die Westons scheinen nicht für das Leben in der Prärie geschaffen: Der hart erarbeitete Aufstieg Violets und Beverlys aus armen Verhältnissen, den die Mutter ihren Töchtern vorhält, um deren vergleichsweise mediokre Leistung zu kritisieren, ist mit emotionalen Problemen teuer bezahlt. Von Violets trauriger Kindheit bis zu den Beziehungskonflikten ihrer Töchter zieht sich ein roter Faden seelischer Einsamkeit, fehlenden Einfühlungsvermögens. Anstatt sich also beim Leichenschmaus gegenseitig zu stützen, offenbaren die Versammelten ihre Hilflosigkeit und ihre gegenseitige Enttäuschung. Violet genießt als trauernde Witwe in dieser Runde eine Narrenfreiheit, die sie intensiv ausnutzt.

Es ist herrlich, Meryl Streep in der Rolle dieser böswilligen und dennoch menschlich so verständlichen Person zuzusehen. Wie eine Richterin thront sie rauchend am Ende der Tafel und wartet nur auf die gar nicht seltenen Steilvorlagen für ihre ätzend treffsicheren Kommentare. Mal mit, mal ohne ihre Chemotherapie-Perücke, ist Violet die verwundet taumelnde Rachegöttin, der nicht das kleinste, sorgsam gehütete Geheimnis im Kreis ihrer Angehörigen verborgen bleibt. Alle drei Töchter müssen am Ende feststellen, dass ihre eigenen Partnerschaften auf tönernen Füßen standen.

Julia Roberts liefert als kämpferische Tochter eine beeindruckende Vorstellung. Barbara wirkt mit ihrem entlang des Scheitels unglamourös ergrauenden Haar bodenständig, stark, aber auch bereits vom Leben angefasst. So zwiespältig ist auch ihre Funktion in der Familie: Sie will integrieren und emotional verstehen, wird aber oft von Empörung, Ungeduld und Abscheu fortgerissen. Um dieses Mutter-Tochter-Gespann fügen sich die anderen Charaktere zu einem vergnüglich dysfunktionalen Ensemble. Darin spiegelt sich ungeachtet der übertriebenen Anhäufung schwerer Entgleisungen immer wieder dieses generelle familiäre Problem einer Nähe, die verletzbar macht. Wirklich in die Tiefe gehen die Konflikte allerdings nicht, die Charaktere stecken fest, wie zur Abschreckung: So weit kann es kommen auf dem flachen Land, das weit und breit keine Zuflucht vor der eigenen Familie bietet.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/im-august-in-osage-county