Philomena

Ein heißer Anwärter bei den Oscars

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Es heißt, die besten Geschichten schreibe das Leben. Aber selbst solche Geschichten können in den Händen unfähiger Filmemacher zur kitschigen Melange verkommen. Erfreulicherweise ist Stephen Frears ein Mann, der mit Talent gesegnet ist, und ein Drehbuch vorliegen hatte, das eine menschliche Geschichte erzählt, ohne schwülstig zu geraten.
Die 1950er Jahre in Irland: Philomena (Sophie Kennedy Clark) wird schwanger und deswegen von ihrer Familie verstoßen. Man nötigt sie, in ein Kloster zu gehen und das Kind zur Adoption freizugeben. Insgeheim hofft Philomena, dass sich niemand ihres Kindes annehmen und sie es zurückbekommen wird, doch im Alter von drei Jahren wird Anthony (Harrison D’Ampney) von einer amerikanischen Familie adoptiert. 50 Jahre später erzählt die ältere Philomena (Judi Dench) ihrer Tochter von ihrem ersten Kind. Die Tochter ermutigt sie, sich auf die Suche nach ihrem verlorenen Sohn zu machen. Mit Hilfe eines Journalisten kommt Philomena ihrem Sohn und einem unfassbaren Skandal näher.

Die menschelnden Geschichten, die sind des Reporters Martin Sixsmiths Sache wirklich nicht. Das hat er in seinem Sachbuch deutlich gemacht, und es überträgt sich auch auf diesen angenehm zurückhaltenden Film, der eine wunderschön emotionale Geschichte erzählt, ohne aber die Notwendigkeit zu verspüren, mit Übertreibung zu punkten. Das gilt für die Geschichte und den Film, mehr jedoch noch für Judi Dench, die hier einmal mehr eine grandiose Performance abliefert. Es wäre ein Leichtes gewesen, sich mit der Rolle der Philomena in den Vordergrund zu spielen, aber Dench verschwindet ganz und gar hinter ihrer Figur. Man sieht nicht länger die große Mimin, sondern die große Frau, die die ruhige Philomena Lee tatsächlich ist. Ein Mensch, dem immenses Unrecht widerfahren ist, dem Verbitterung und Hass aber fremd sind. Jemand, der zu vergeben imstande ist, selbst wenn das Gegenüber diese Vergebung gar nicht verdient.

Philomena ist ein großes Drama, ohne jemals in die kitschigen Niederungen des Melodrams abzufallen. Zugleich weist er jedoch auch stillen, herrlichen Humor auf. Er ist perfekt ausbalanciert, ein warmherziger, schöner, clever geschriebener, zu Herzen gehender und unvergesslicher Film.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/philomena