Story of My Death

Steile Treppe der Poesie

Eine Filmkritik von Wolfgang Nierlin

Exposition: Ein Nachtmahl im Freien bei Kerzenschein, frugalen Genüssen, Wein und flüsternder Unterhaltung. Die Gruppe der Anwesenden ist ganz bei sich, als wäre sie unbeobachtet. Die flüchtigen Reden haben kein Ziel, der Geist folgt träge der sinnenfrohen Müdigkeit des Körpers. Dann erhebt sich aus dem allgemeinen Murmeln die Stimme eines jungen Dichters, der über seine Arbeit spricht: In den zurückliegenden Jahren seines Schreibens habe er praktisch noch nichts geschaffen. Es sei schwer, auf den "steilen Treppen der Poesie" voranzukommen. (Redet hier der Autor des Films über die Uneinholbarkeit der Kunst?) Später in der Nacht, tändelnd mit einer jungen Frau, während luftig-leichte Gitarrenmusik einsetzt, bleibt sein Begehren unerwidert, als handele es sich um jene unmögliche poetische Suche.
Nach der Einblendung des Titels beginnt Albert Serras Film Història de la meva mort (Story of my death) im ersten Teil mit einem Blick in den Spiegel: Ein wohlhabender, leicht ungepflegter, aber sehr stilbewusster Lebemann in historischem Kostüm prüft sein Äußeres. Es handelt sich dabei um niemand Geringeren als den freigeistigen Schriftsteller Giacomo Casanova (Vincenç Altaió), der sich in abgenutzten Räumen von dezenter Farbigkeit, spärlicher Möblierung und standesgemäßem Geschmack bewegt. Lustvolles Essen und gleichzeitig permanentes Reden sind zunächst die Hauptbeschäftigungen des Schriftstellers und Frauenhelden. Dem Dichter aus der Einleitung erklärt er, dass das Schreiben nie in einem drin sei, sondern vor einem liege. Er selbst hege eine große Faszination für Wörter und plane seine Memoiren zu schreiben. Daneben spricht er über Frauen und Liebesdinge. Einmal taucht der Kopf des Libertins unter dem Rock einer Frau auf; ein andermal verrichtet er in einer Mischung aus schmerzverzerrtem Gesicht und glücklicher Erleichterung seine Notdurft. Casanovas Markenzeichen ist ein sardonisches Lachen, mit dem er an anderer Stelle auch den Geschlechtsverkehr begleitet, bevor sein Kopf eine Scheibe durchstößt.

"Ich suche eine dünne Linie zwischen dem Sublimen und dem Grotesken" hat der Katalane Albert Serra in einem Interview mit der Zeitschrift Cargo über seinen "Film über das 18. Jahrhundert" gesagt, der 2013 beim Festival von Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde. Darin geht es vor allem um Licht und Dunkelheit, sinnliche Erkenntnis, zielloses, von einer möglichen Handlung abgelöstes Sprechen, die Weigerung, einen dramatischen Plot zu etablieren und die Absage an eine kohärente Erzählung. "Kino besteht aus Bildern" und "Inhalt ist zufällig", erklärt Serra sein "wildes Arbeiten", in dem er naturalistische und künstliche Elemente mischt, um mittels "Verstörung" "Ambiguität" zu erzeugen. Dabei betont sein Umgang mit Zeit, Bewegung und Filmmaterial den physischen Aspekt des Kinos. So sind beispielsweise die grobkörnigen, atmenden Bilder dem Umstand zu verdanken, dass Serra die digitalen Aufnahmen auf 35-mm-Filmmaterial transferiert hat. Dazu kommt noch seine Arbeit mit Direktton und nichtprofessionellen, aber umso eindrucksvolleren Schauspielern, deren Dialoge und Texte erst in der Postproduktion in eine Reihenfolge gebracht werden.

Mit einem abrupten Schnitt verlegt Serra im zweiten Teil des Films den Schauplatz in die südlichen Karpaten, wo Casanovas aufgeklärter Geist von den Wirkungen geheimnisvoller, dunkler Gegenkräfte allmählich zersetzt wird. Es dauert relativ lange, bis die finstere, fast dämonische Gestalt des Grafen Dracula (Eliseu Huertas) als Gegenspieler des Weitgereisten in Erscheinung tritt. Während sich die beiden, ihren jeweiligen Obsessionen folgend, an den drei schönen Töchtern eines schweigsamen Bauern delektieren beziehungsweise um deren Seelen ringen, verdichten sich die Zeichen des Todes: Eine Fähre bringt die Fremden aus dem Westen an den Ort ihres Verderbens, heftiger Wind stürmt durch die schwarzen Nächte, ein Stier wird geschlachtet, Raben lassen sich auf dessen Aas nieder, Wölfe machen sich über den Leichnam von Casanovas Diener Pompeu (Lluís Serrat) her. Tatsächlich sind sich die beiden Kontrahenten in ihrer Gier nach Blut und sexuellem Verlangen nicht unähnlich. Doch die vielleicht hellere, schöngeistige Lust muss untergehen, um sich in eine mysteriöse, irrationale Kraft zu verwandeln. Albert Serras düsterer Abgesang auf eine Epoche mit seiner offenen, mäandernden Struktur und seiner zunehmend schauerlichen Atmosphäre bildet gewissermaßen die Negativfolie respektive den Schlussakkord zu Casanovas Geschichte meines Lebens und lässt zugleich Raum für Vorstöße ins (auch poetologische) Ungewisse sowie interpretatorisch Offene.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/story-of-my-death