Bethlehem (2013)

Weder Freund noch Feind

Eine Filmkritik von Stephan Langer

Seitdem es die hegemonialen Weltmachtansprüche des Kalten Krieges – USA im Westen und UdSSR im Osten – nicht mehr gibt, ist im Genre des Spionagefilms das den Film überschattende Motiv der globalen Machtphantasie (als Bedrohung oder Ziel) etwas in den Hintergrund getreten. Statt dessen rückten immer mehr (zumindest geographisch) kleiner angelegte Konflikte in den Fokus der DrehbuchschreiberInnen, so wie auch in Bethlehem, dem Regiedebüt des Israelis Yuval Adler. Angesiedelt im Geheimdienstmilieu des stetig vor sich hin brodelnden Pulverfasses des Westjordanlandes, erzählt der Film die Geschichte der fragilen Freundschaft zwischen dem israelischen Geheimdienstoffizier Razi (Tsahi Halevy) und und seinem langjährigen, 17 Jahre alten palästinensischen Informanten Sanfur (Shadi Mar´i). Natürlich vermischen sich im Laufe des Geschehens die berufliche und die private Ebene zusehends, auf beiden Seiten entstehen Loyalitäts- und Gewissenskonflikte – ein Umstand, der sich auch im etwas reißerischen Filmuntertitel "Wenn der Feind Dein bester Freund ist" bereits vor Filmsichtung andeutet.

Sanfur ist der jüngere Bruder des gesuchten palästinensischen Untergrundkämpfers Ibrahim (Hisham Suliman), der in deren Familie ein unerreichbarer Held und für Sanfur ein angehimmeltes Vorbild ist. Um Ibrahim aufzuspüren und zu töten, hat der israelische Geheimdienstoffizier Razi den Jungen rekrutiert, als dieser erst 15 war und mit der Zeit eine fast väterliche Zuneigung zu ihm entwickelt. Sanfur wiederum, der zeitlebens im Schatten der Taten seines großen Bruders stand, genießt Razis ungeteilte Aufmerksamkeit und tut sein Bestes, die Forderungen des Agenten zu erfüllen und gleichzeitig seinem Bruder gegenüber loyal zu bleiben. Er führt ein Doppelleben und belügt letztendlich beide. Bethlehem zeigt das Chaos, dem alle Menschen in dieser Region ausgeliefert sind, und das ist ein Chaos auf mehreren Ebenen: immer wieder finden verzweifelte Anschläge mitten auf der Straße statt, die nicht nur einen sicheren und geregelten Alltag in Stücke reißen. Zusätzlich befindet sich das scheinbar nicht mehr zu entwirrende Chaos in Form eines fragwürdigen Gemisches aus Religion, Militär, Familientradition, Ideologie und Verblendung in den Köpfen vieler Menschen dort. In Bethlehem schwelt die komplexe Situation stets im Hintergrund.

Erwähnenswert ist, dass Regisseur Adler zusammen mit seinem palästinensischen Co-Autor Ali Waked den Konflikt in seinem Spionagethriller auf die erwähnte Freundschaft zwischen Razi und Sanfur herunterbricht. Dies gelingt zunächst auf erstaunliche Weise, weil sich bei diesem Film mehrere Debüts häufen: Gleichzeitig ist es nicht nur der erste Langfilm von Adler, sondern auch der der beiden Hauptdarsteller. Tsahi Halevy (Razi) ist eigentlich Musiker und Tänzer – er war 2012 einer der drei Finalisten der israelischen Reality-Show The Voice und hat daraufhin sein Debütalbum veröffentlicht. Shadi Mar´i (Sanfur) ist bei einer Laientheatergruppe aktiv, die Hisham Suliman leitet, der im Film seinen Bruder Ibrahim mimt.

Der Film feierte bis heute zahlreiche Festivalerfolge, darunter unter anderem acht Auszeichnungen beim israelischen Filmpreis beim Festival in Haifa, Screenings in Toronto und eine Einreichung zum Oscar (die es nicht bis zur Nominierung als bester ausländischer Film schaffte). Bethlehem hat zweifelsohne Einiges zu bieten, die Geschichte ist stellenweise rasant inszeniert, hält den Zuschauer bei der Stange mit ihrem langgezogenen Spannungsbogen und ihren vielen, präzise geschnittenen Verfolgungssequenzen. Bei all dieser kompakten Schnelligkeit gerät die moralische Komplexität des Stoffs sowie eine subtile Charakterentwicklung leider ein wenig aus dem Blick: Frauen sind als Charaktere eher nebenbei abgehandelt, die Nebenfiguren (u.a. Ibrahim, Sanfurs Familie, Razis Frau) sind etwas eindimensional geraten. Immer wieder nehmen die Filmbilder Bezug auf die biblische Landschaft rund um die Stadt Bethlehem, mit all ihren steinigen Wüsten und ausgedörrten Tälern. In den Straßen- und Actionsequenzen suggerieren sie stellenweise einen Realismus, der sich mit den fiktionalen Elementen des Films in eine Spannung tritt. Nun sollte allerdings ein im Film (oder sonst einer Kunstform) angewandter Realismus bitte nicht mit herrschender Realität verwechselt werden: Adler behauptet in Interviews, er wollte einen menschlichen, d.h. widersprüchlichen, keinen politischen und auf gar keinen Fall einen didaktischen Film machen.

Ist das allerdings in solch einem Kontext überhaupt möglich? Selbst wenn alle Figuren im Film nur für sich stehen, wird der Film dann insgesamt nicht automatisch zur Parabel? Als Regisseur habe er versucht, so Adler, die unterschiedlichen Perspektiven in einem Ganzen zusammenzuführen. Trotzdem: Bethlehem sympathisiert (entgegen Adlers Absicht) inmitten der von ihm angezettelten Gemengelage klar mit der israelischen Position. Dies ist auch nicht weiter schlimm, kann sich doch jeder RegisseurIn frei für einen eigenen Standpunkt entscheiden. Trotzdem fällt die Dissonanz zwischen einem intendierten, behaupteten unparteiischen Standpunkt und dem tatsächlichen des Films auf: Jeder einzelne palästinensische Charakter ist entweder ein rachsüchtiger Killer oder ein hinterhältiger Terrorist. Im Gegensatz dazu sind die israelischen Agenten rücksichtslose Pragmatiker mit (wenn auch verbitterten) Prinzipien. Der Film ist stringent aus der israelischen Perspektive erzählt, die Palästinenser erscheinen den Zuschauenden immer in der Rolle der Angreifenden und Eindringlinge, niemals umgekehrt als die Leidenden unter der israelischen Besatzung und deren Militär.

Wie oben angedeutet spiegeln Filmbilder keine Realität, sondern allemal einen Realismus. Trotzdem kommt man in einem Film, vor allem, wenn er sich die jahrzehntelang verflochtene Thematik von Bethlehem vornimmt, nicht um eine Politisierung herum. Filme zum Themenkomplex Palästina/Israel müssen nicht erst politisiert werden, sie sind es von Anfang an. Das heißt im Umkehrschluss auch, dass es in dieser Sparte keine apolitischen oder entpolitisierte Filme gibt. Plot und psychologische Profile des Drehbuchs sind dann sicherlich politisch lesbar. Yuval Adler hat also einen Film gemacht, wohlgemerkt sein Debüt, das man ohne Zweifel genießen kann ob seiner streckenweise sehr ansehnlichen und wirklich gelungenen Montage. Nur den Kopf sollte man beim Schauen nicht zu sehr anschalten. Das kann man dann ja vielleicht beim nächsten Film Adlers nachholen. Als Regisseur leistet er durchaus etwas. Nur leider in diesem Fall nicht das, was er wollte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/bethlehem-2013