Dallas Buyers Club

Der Kampf ums Überleben

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Über 15 Jahre hat es gedauert, bis Drehbuchautor Craig Borton seine Geschichte über den AIDS-Aktivisten Ron Woodroof auf der Leinwand sehen konnte. Bereits 1992 hat er erstmals mit Woodroof gesprochen, dann entstand ein Drehbuch, es wurde überarbeitet, doch verwiesen Produktionsfirmen beständig darauf, dass das Thema AIDS nicht mehr aktuell genug sei. Vielleicht war ein an AIDS Erkrankter homophober Rodeo-Reiter auch nicht unbedingt die Hauptfigur, die sich Studiobosse in einem AIDS-Drama vorstellten. Aber nun hat es diese faszinierende Geschichte doch unter dem Titel Dallas Buyers Club in die Kinos geschafft.
Am Anfang von Dallas Buyers Club ist ein Schnauben zu hören, dass von dem im Bild gezeigten Bullen stammen könnte. Es kommt jedoch von Ron Woodroof (Matthew McConaughey), der während eines Rodeos in einer Box einen Quickie mit zwei Frauen hat. Damit ist sein Leben im Dallas des Jahres 1985 bereits umrissen: Es besteht aus Rodeos, Frauen und Koks. Außerdem verdingt er sich als Elektriker – und ist wie fast alle seine Freunde homophob. Als er infolge eines Arbeitsunfalls ins Krankenhaus kommt und erfährt, dass er HIV-positiv ist, glaubt er dem Arzt nicht. HIV und AIDS sind "Schwulenseuchen", deshalb könne er sich damit nicht angesteckt haben. Wütend verlässt er das Krankenhaus, feiert trotzig weiter. Jedoch ist ein Zögern zu bemerken, er verzichtet auf den Sex mit den Frauen und kehrt schließlich ins Krankenhaus zurück. Dort verlangt er von seiner Ärztin Dr. Eve Saks (Jennifer Garner) das einzige legale Medikament AZT (Aziothymidin). Es ist ein Derivat aus der Krebsforschung, das nun von der FDA (Food and Drug Administration) zur Behandlung von HIV zugelassen wurde. Rons Überlebensaussichten sind jedoch zu gering, so dass ihm eine Behandlung verweigert wird. Also besorgt er sich das Medikament illegal und lernt auf schmerzhaftem Weg, dass AZT ihm mehr schadet als nützt.

Allmählich erkennt Ron, dass ihm niemand wirklich helfen kann – außer er selbst. Von einem Arzt in Mexiko, der in den USA aufgrund unkonventioneller Methoden seine Zulassung verloren hat, erfährt er von alternativen Behandlungen und Mitteln. Exzessiv informiert er sich über seine Erkrankung, entwickelt eigene Theorien und erkennt schließlich die positive Wirkung von Vitamin- und Proteinpräparaten. Außerdem wittert er das finanzielle Potential alternativer Behandlungsmethoden und gründet schließlich mit dem homosexuellen Rayon (Jared Leto) den Dallas Buyers Club, durch dessen kostenpflichtige Mitgliedschaft man unbegrenzten Zugang zu den Mitteln bekommt. Es ist ein gutes Geschäft, bei dem Ron und Rayon nicht nur Geld machen, sondern auch anderen Erkrankten helfen. Jedoch sieht die FDA diesen Handel nicht gerne und legt Ron allerhand Steine in den Weg. Deshalb beschließt er, gegen das System vorzugehen. Und so wird aus dem homophoben Rodeo-Reiter ein Aktivist, der an der Seite schwul-lesbischer Verbände die Rechte von Patienten einklagt.

Klug verbindet Regisseur Jean-Marc Vallée (C.R.A.Z.Y., The Young Victoria) Ron Woodroofs Kampf für mehr Selbstbestimmung der Patienten mit dem Zeitgeist der 1980er Jahre. Hierbei setzt er nicht nur auf passende Kleidung, Frisuren und Ausstattung, sondern auch auf das Vorwissen des Zuschauers: Wenn die Ärzte Ron anfangs mit Atemmasken und Handschuhen begegnen, verweisen diese Szenen darauf, dass die Ansteckungswege von HIV anfangs nicht bekannt waren. Auch die Reaktion von Rons alten Freunden, die sich nahezu vollständig von ihm abwenden, bringt die Verbindung von HIV mit Homosexualität, die Unaufgeklärtheit der Menschen und die homophobe Stimmung insbesondere in Texas zum Ausdruck. Dabei sorgt die ausschließliche Verwendung von natürlichem Licht und die digitale Handkamera dafür, dass die raue und harte Welt Ron Woodroofs umso authentischer wird. In einigen Bildern fühlt man sich fast an die Dokumentation How to Survive a Plague erinnert, die von dem Kampf homosexueller Verbände in New York und der langwierigen Suche nach einer Behandlungsmethode erzählt – und die die Schauspieler zur Vorbereitung ihrer Rollen sehen sollten.

Indem Jean-Marc Vallée gar nicht erst versucht, Sympathie für seine Hauptfigur zu wecken, umschifft er zudem jegliche melodramatischen Klippen. Ron hat Ecken und Kanten, er ist grob und ungeschliffen. Sein Zorn angesichts der Diagnose und seine zwischenzeitliche Verlorenheit wird durch das wütende Zusammensuchen seiner Sachen, durch Anspucken und Ausrasten gezeigt. Dadurch wird sehr eindringlich deutlich, wie Ron die Entscheidung trifft, für sein Überleben zu kämpfen – und erkennt, dass seine Verbündeten ausgerechnet diejenigen sind, die er am meisten verabscheut.

Hauptdarsteller Matthew McConaughey passt perfekt in diese Rolle. Er stammt aus Texas, hat den nötigen Akzent und die Macho-Lässigkeit, außerdem hat er über 20 Kilogramm abgenommen. Der Gewichtsverlust wird durch die Kleidung noch optisch unterstützt, vor allem aber baut McConaughey seine Rolle des düsteren, leicht schmierigen Anti-Heldens weiter aus, die er zuletzt unter anderem in Killer Joe und The Paperboy gezeigt hat. Deshalb ist bei seiner Leistung auch mehr als der reine Gewichtsverlust zu betonen: McConaughey zeigt hier eine bestechende Mischung aus Abneigung, Mitgefühl und Angstlosigkeit. Das emotionale Zentrum des Films ist indes der von Jared Leto gespielte Rayon. Auch Leto hat für die Rolle sehr viel abgenommen, so dass seine Figur anfangs feminin, später schmerzlich abgemagert wirkt. Durch seine Gestik und Mimik sowie seine Sprechweise verschwindet er völlig in der Figur des transsexuellen Rayon, der die Anfeindungen der Umgebung und seiner Familie erträgt. Jedoch ist er empfindsamer als Ron, so dass seine Verzweiflung im Verlauf des Films offener zutage tritt.

Durch den Kampf gegen die Behandlungsmethoden von HIV- und AIDS-Patienten verweist der Film zugleich auf die Machenschaften der FDA. Sie ist eine staatliche Agentur, die durch oftmals jahrelange Tests entscheidet, welche Medikamente in den USA zugelassen werden. Damit bestimmt sie auch über die Milliardengeschäfte der Pharmaunternehmen, und die Grenzen zwischen den Interessen der Patienten und der Konzerne sind nicht immer klar zu erkennen. Mit der Vermutung, dass die Pharmaindustrie wirtschaftliche Interessen über die Gesundheit stellt und von bestochenen Ärzten, Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten unterstützt wird, steht dieser Film nicht alleine da. Erst im letzten Jahr hat Dr. Ben Goldacre ein umstrittenes und vieldiskutiertes Buch vorgelegt, auch die Buko-Pharma-Kampagne aus Bielefeld beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit den Aktivitäten der deutschen Pharmaindustrie in der Dritten Welt. Ihre Ergebnisse haben unter anderem das Buch Der ewige Gärtner von John Le Carré inspiriert.

Fest steht, dass bei der Behandlung von HIV und AIDS anfangs viel zu hohe Dosen von AZT verabreicht wurden, während alternative Behandlungsmethoden wie beispielsweise die Vitaminpräparate, die Woodroof in Mexiko fand, von der FDA nicht zugelassen wurden. Durch bürokratische Hindernisse, das Zögern von Politikern und Vorurteile dauerte es Jahrzehnte, bis eine Medikamentenkombination entwickelt wurde, die den Verlauf der Krankheit aufhalten konnte. Und noch heute bleiben Hinweise von Forschern, dass Vitamine und Mikronährstoffe eine wirksame Alternative zu den Mitteln der Pharmaindustrie sind, weitgehend ungehört.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/dallas-buyers-club