Enemy (2013)

Ich bin du und du bist ich

Eine Filmkritik von Janosch Leuffen

Denis Villeneuve legte mit Prisoners den vielleicht packendsten Thriller des letzten Jahres hin. Die Zusammenarbeit mit Jake Gyllenhaal fruchtete dabei. Vielleicht auch deshalb, weil der kanadische Regisseur den Schauspieler für seine Verfilmung des Romans Der Doppelgänger zuvor bereits in gleich zwei Rollen besetzte. Die Kollaboration der beiden hat sich gelohnt, wenngleich Enemy aufgrund seiner philosophischen und künstlerischen Ansätze Schwierigkeiten beim breiten Publikum bekommen dürfte.

Adam (Gyllenhaal) ist Geschichtsdozent und alleinstehend. Mit seinem Leben kommt er zwar zurecht, wirkt aber stets müde und unausgeglichen. Körperliche Befriedigung holt er sich bei seiner Affäre Mary (Mélanie Laurent). Sein Dasein ist der pure Durchschnitt und erlebt weder Höhen noch Tiefen. Nach einem holprigen Gespräch mit einem Kollegen leiht sich Adam auf dessen Anraten hin einen Film aus – und entdeckt sich selbst darin als Statisten. Gepackt von der Frage, wer der Mann ist, der ihm bis aufs Haar gleicht, macht sich Adam auf die Suche nach ihm und findet sich bald in einem nicht enden wollenden Abwärtsstrudel wieder.

Ein Schlüssel öffnet die Tür zu einem mysteriösen Raum. Drinnen stehen Männer, nackte Frauen bringen Tabletts mit Cloches hinein. Dazu ertönen dumpfe Klänge. Eine Servierhaube wird hochgehoben und eine große Spinne krabbelt vom Tisch. Adam vergräbt sein Gesicht in seinen Händen. Gleich der Einstieg vermittelt einen merkwürdig schaurigen Eindruck, der sich durch den kompletten Film zieht. Was Villeneuve diesmal präsentiert, hat es in sich und wird viele Zuschauer ratlos, aber nicht gedankenlos zurücklassen.

Der auffällige, braunstichige Farbton, der sich wie ein vergilbter Schleier auf das Szenario legt, entspricht unserem Protagonisten in jeder Hinsicht. Er spiegelt das fade, matte und antriebslose Leben Adams wider. Gepaart mit dem wenig fröhlichen Score schafft Villeneuve eine trostlose Atmosphäre. Die Trübseligkeit hinterlässt einen schalen Eindruck und bis zur Begegnung mit Adams zweitem Ich eine seltsame Ungewissheit. Was genau möchte uns der Regisseur mitteilen? Welche Ziele setzt sich der Film überhaupt?

Die Geschichte über die zwei optisch kongruenten, aber in ihrem Verhalten völlig unterschiedlichen Männer entwickelt sich zu einem betörenden, zunehmend fragwürdigen Drama über zwei geschundene Seelen. Absichten auf eine bestimmte Aussage lassen sich nur erahnen. Villeneuve wandelt vielmehr auf den Spuren eines David Lynchs, sogar kafkaeske Einschübe lassen sich ausmachen. Stets ruhig inszeniert gibt das Geschehen immer größere Rätsel auf. Vom Mainstream jedenfalls bewegt sich Enemy weit entfernt und fällt eher in die Kategorie philosophisches Kunstkino.

Wie das gedeutet werden soll, muss jeder für sich selbst herausfinden. Dass eine solche Herangehensweise nicht bei jedem auf Zustimmung und Freude stößt, ließ sich während der Vorführung bei den Fantasy Filmfest Nights feststellen. Etwa nach der Hälfte des Films verließen die ersten Besucher entgeistert den Saal und verpassten so unter anderem einen heftigen Autounfall und den verwirrenden, abrupten Schlusspunkt.

Leichte Kost ist Enemy wahrlich nicht und wer sich im Kino einfach unterhalten lassen möchte, ist hier falsch aufgehoben. Das Werk erfordert Geduld, belohnt dafür aber mit einem tollen, doppelten Jake Gyllenhaal, der die beiden verschiedenen Typen glaubwürdig verkörpert. Zudem überzeugt die Inszenierung auf der audiovisuellen Seite. Lediglich die Handlung erweist sich als gewöhnungsbedürftig, schafft damit aber genau das, was viele andere vermissen lassen: Sie regt zum Denken an und bleibt auch Tage nach dem Kinobesuch im Kopf haften.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/enemy-2013