Naked Opera

Leidenschaftliche Selbstinszenierung

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Marc Rollinger geht in den Opernhäusern der Welt - im Wiener Opernhaus, im Fenice in Venedig oder in der Deutschen Oper Berlin - ebenso selbstverständlich ein und aus wie in den teuersten und schönsten Grand Hotels. Die Welt des Luxus, der teuren Edelunterkünfte und der exquisiten Flaschen Champagner ist seine Welt, und diese stellt er in Naked Opera vor. Er mixt sie mit der Oper im Allgemeinen und Mozarts "Don Giovanni" im Besonderen und würzt sie mit ansehnlichen Escort-Boys. Fertig ist der Rollinger-Cocktail, den er präsentieren will und der dann doch nachdenklich stimmt - steht er doch irgendwie im Kontrast zu der unheilbaren Auto-Immunkrankheit, mit der Rollinger von Beginn seines Lebens an umgehen muss. Oder ist er nur Konsequenz eines Schicksals, dem ein frühzeitiges Ende prophezeit ist?
Der Film begleitet seine Hauptfigur durch ihren vermeintlichen Alltag, - und der Begriff 'Figur' meint hier wahrlich die fiktive Form der Gestalt einer Geschichte, denn Naked Opera ist nichts als pure Selbst-Inszenierung der dokumentierten Person Marc Rollinger: Wir reisen mit ihm nach Wien, nach Venedig, nach Berlin, immer auf der Suche nach der perfekten "Don Giovanni"-Vorstellung - weil Rollinger viel mit der Geschichte von Don Giovanni und dessen Bedienstetem Leporello verbindet: Er reist selbst quasi durch die Welt oder zumindest durch die europäischen Opernhaus-Städte und verbringt die Nächte in den Armen immer unterschiedlicher - allerdings männlicher - Liebhaber. Wir sind eingeladen in seine Luxemburger Wohnung, die Rollinger allerdings eigens für den Film eingerichtet hat. Und wir sind dabei, wenn er sich mit anderen Menschen unterhält und seine Weltsicht preisgibt.

Marc Rollinger ist ein Mensch, der viel nachdenkt, aber auch - so scheint es - viel Zeit zum Nachdenken hat. Wenn er über 'die Gesellschaft von heute' spricht, dann sind da kluge Dinge dabei, und wenn er Zitate anderer Denker - Schriftsteller, Philosophen, Ausschnitte aus dem Kanon der westlichen Kultur - rezitiert, dann sind diese sorgfältig ausgewählt. Dazu muss man viel gelesen, sich viel damit beschäftigt haben, die eigene Weltsicht sorgsam wie ein Puzzlespiel zusammenzusetzen. Dennoch: Es bleibt der Eindruck der Inszenierung, eines erzwungenen "Ich will euch zeigen, wie ich bin - und ich bin besonders" - und dies auf immer eloquente, aber häufig auch recht arrogante Art und Weise. Das stört an vielen Stellen, weil es aufgesetzt wirkt, nicht authentisch - und doch ist vielleicht gerade das, dieser unbedingte Wille zur Inszenierung, das Authentischste an Marc Rollinger.

Am spannendsten sind die Szenen, in denen das Filmteam von Rollinger mit einbezogen wird: Wenn er keine Lust mehr hat zu drehen, sich anders positionieren soll und dies kommentiert, wenn er einen Brief schreibt und nicht weiter weiß - und dann auch die Kamera stoppen will. Hier wird die Grenze zwischen gefilmter und filmender Realität deutlich und eben auch überschritten. Diese Szenen unterscheiden Naked Opera vom gewöhnlichen Dokumentarfilm, weil hier nicht nur - in fingierter Weise - beobachtet wird, sondern weil die Inszenierung der Inszenierung eine Rolle spielt und von der Hauptfigur immer wieder ins Zentrum des Geschehens gerückt wird.

Der Film hat große visuelle Kraft. Das mag zum einen natürlich auch an der Inszenierungsleidenschaft von Rollinger liegen; zum anderen aber schafft es Filmemacherin Angela Christlieb, an jedem Drehort, in jeder Situation die schönsten und zugleich passenden Bildausschnitte auszuwählen. Venedig, gefilmt durch die Brücken hindurch oder auch vom Ufer - gerade dann, als eines der riesigen Kreuzfahrtschiffe durch den Kanal gezogen werden und die Stadt zu invadieren scheinen. Das sind keine neuen oder originellen Bilder, man hat sie alle schon einmal irgendwo gesehen. Und doch passen sie in den gewählten Film-Momenten unvergleichlich gut.

Die Frage ist: Warum einen Film anschauen über einen Mann wie Marc Rollinger, der sich, so scheint es, sein ganzes Leben lang mit sich selbst beschäftigt? Seine Krankheit, die bestimmt mit treibende Kraft bei seinen Projekten ist, mag ein Grund sein, sein exzessiver Lebenswandel ein anderer. Das ist vielleicht auch das Verdienst des Films: Dass man einen Einblick in die Welt eines Lebemenschen bekommt. Die Parallelisierung von Rollinger und den Figuren aus "Don Giovanni" ist nett und bestimmt auch geeignet, um Opern- und "Don Giovanni"-Liebhaber in den Film zu locken (der Film zeigt immer auch wieder Ausschnitte aus der gleichnamigen von 1979), enttäuscht aber eher, als dass sie erhellt. Insgesamt bleibt man als Zuschauer etwas ratlos zurück.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/naked-opera