Labor Day (2013)

Der Duft des Pfirsichkuchens

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Geduldig fährt die Kamera über eine Landschaft im Süden der USA, die in warme, wohlige Farben des Sommers getaucht ist. Sie führt uns in ein Haus am Ende einer Straße, die Jahreszahl 1987 wird eingeblendet und es folgt die Großaufnahme eines bereits schon damals altmodischen Plattenspielers, der Tanzmusik abspielt. Ein Junge bringt seiner Mutter Kaffee ans Bett, füttert seinen Hamster und stellt schließlich fest, dass seine Hose zu kurz ist. Seine Mutter ist nicht begeistert davon, sie bewegt sich auffallend langsam, sieht aber ein, dass ihr Sohn eine neue Hose braucht und setzt sich zögernd ins Auto – fast als wage sie es nicht, loszufahren –, um mit ihm zu einem Supermarkt zu fahren. Als sie dort ankommen, reicht ihr ein Blick auf eine schwangere Frau, dass sie fast wieder umkehrt. Aber der Junge braucht nun einmal eine Hose, also kaufen sie eine.

In diesem Anfang von Labor Day liegt schon fast die ganze Geschichte: Seit sein Vater sie verlassen hat, lebt der 13-jährige Henry (Gattlin Griffith) mit seiner depressiven Mutter Adele (Kate Winslet) allein in dem Haus. Sie geht kaum noch vor die Tür, er wird jeden Sonntag von seinem Vater und dessen neuer Familie zum Abendessen abgeholt. Vor allem aber versteht sich Henry als Stütze seiner Mutter, er ist ihr Gesprächspartner und hat ihr einst sogar einen Gutschein geschenkt, mit dem er ihr 'Ehemann für einen Tag' sein wollte – leise ahnend, dass er diese Rolle nicht vollständig erfüllen und ihr ihre Einsamkeit nicht nehmen kann. Henry weiß, dass seine Mutter ihn braucht, sie sind die einzige Familie, die sie haben – und eine Familie ist sowohl für Henry als auch Adele von entscheidender Bedeutung.

Im Gegensatz zu der geschwätzigen Romanvorlage von Joyce Maynard braucht Jason Reitman in seiner Adaption von Der Duft eines Sommers anfangs nur wenige Worte und fasst das Leben von Adele und Henry mit all seinen Implikationen in der schönen Exposition in nahezu beiläufige, indes bewusst komponierte Bilder. Verzichtet hat Jason Reitman auf einen Erzähler aus dem Off – der erwachsene Henry (Tobey Maguire) – dennoch leider nicht. Deshalb wird dem Zuschauer wie dem Leser des Buches jede Deutung des Geschehens abgenommen, vor allem aber wird Henrys Erzählperspektive zu selten durchbrochen. Welchen Nutzen eine andere Perspektive gehabt hätte, wird bei Adeles und Henrys Supermarktbesuch deutlich: Henry wird dort von Frank (Josh Brolin) angesprochen. Er ist ein entflohener Häftling und verletzt, deshalb überzeugt er erst Henry und schließlich mit mehr Druck Adele, ihn mit zu sich nach Hause zu nehmen. Mit wenigen Bildern macht Jason Reitman hier spürbar, wie Adele diese Situation empfindet: Frank greift im richtigen Moment in Henrys Nacken, um eine Bedrohlichkeit zu suggerieren, außerdem scheint er zu ahnen, dass Adele keinen Fremden ansprechen und um Hilfe bitten würde. Deshalb sorgt ihr Zögern an der Kasse für Spannung, letztlich aber kann Adele keinen Kontakt zu ihrer Außenwelt aufnehmen. Zu lange scheint sie von ihr getrennt zu sein – und auch diese hat sich bereits mit Adeles merkwürdigem Verhalten abgefunden.

In der Folge bleibt der Film überwiegend bei Henrys verklärter Sichtweise: Nachdem Frank von Henry und seiner Mutter mit nach Hause genommen wurde, bleibt er dort und entpuppt sich als nahezu idealer Mann: er säubert die Dachrinne, repariert eine Treppe, schmiert eine Tür, zeigt Henry, wie er einen Reifen wechselt und einen Baseball wirft, kümmert sich um Adele und tanzt mit ihr. Dabei nutzt der Film – wie bereits der Roman – traditionelle Motive, um die Annäherung dieser drei Menschen zu zeigen: Während sich Adele und Henry überwiegend von Dosensuppen ernähren, kommt mit Frank nicht nur Lebendigkeit in ihr Leben, sondern auch frisches Essen und er kocht erst einmal ein Chili. Anschließend füttert er die zu diesem Zeitpunkt noch gefesselte Adele und nähert sich ihr an. In dieser Szene zeigt sich, wie groß Adeles Sehnsucht nach einem Mann im Haus ist. Später wird das Backen eines Pfirsichkuchens zum Sinnbild der Familie und der Verführung: Frank erklärt Henry die wichtigen Schritte, wenn er dann mit Adele den Teig knetet, wird Adeles Äußerung, dass es bei Sex vor allem um die Sehnsucht nach Berührung geht, in Bilder übersetzt.

Mit warmen Farben, dem zauberhaften Duft eines Pfirsich-Pies und den guten Darstellern gelingt es Jason Reitman, den romantisch verklärten Kern der Geschichte und die Hilfsbedürtigkeit Adeles einzufangen. Frank ist ihr Retter, sie ist allzu gerne die Gerettete, die fragile Schönheit, die für die Chance auf Glück alles hinter sich lassen wird (von Kate Winslet überzeugend gespielt). Dadurch ist Labor Day ein ungeheuer altmodischer Film, der berührt und teilweise sehr schöne Bilder hat, aber auch langweilt. In den besten Momenten greift Jason Reitman Motive des Romans nahezu beiläufig auf: die auf den Boden gezeichneten Füße, die spanischen Vokabeln auf den Möbeln oder der Blick auf die schwangere Frau lassen das Leben erkennen, das Adele und Henry bisher hatten. Auch sind manche Details realistischer – so fesselt Frank Adele anfangs durchaus mit Seilen und nicht mit Seidentüchern, auch kommt Henrys Freundin von alleine auf die Wahrheit. Jedoch vertraut Jason Reitman seinen weichen, warmen Bildern (Kameramann: Eric Steelberg) nicht. Stattdessen unterlegt er fast jede Einstellung mit scheinbar bedeutsamer Musik. Dadurch wird die Mischung aus Coming-of-Age- und Sehnsuchtsgeschichte einer Frau noch weichgespülter. Auch sind die Rückblenden in Franks Leben – in der Regel mit einer Gegenlichtaufnahme eingeleitet – eine seichte Version des Lebens eines Farmersohns im Mittleren Westen. Dass er nach Vietnam gegangen ist, wird lediglich durch eine Uniform gezeigt, die Tat, die ihn ins Gefängnis brachte, wird durch das altbekannte Bild einer überlaufenden Badewanne angedeutet.

Vor allem aber bleibt die Geschichte ebenso unglaubwürdig wie sie bereits im Buch war. Sicher lässt sich vieles erklären – Adeles Sehnsucht nach einer Familie sorgt dafür, dass sie über die Umstände des Zusammentreffens hinwegsieht, Henry sehnt sich ebenfalls nach Anerkennung und Glück für seine Mutter, also unterstützt er sie. Dass er seinem Vater einen Brief zu Fuß nach Hause bringt, anstatt ihn später per Post zu schicken, lässt sich indes kaum erklären. Sicher ist das alles bereits im Roman enthalten, aber aus dieser Vorlage hätte ein besserer Film werden können, wenn sich Jason Reitman stärker von ihr gelöst hätte. Beispielsweise hätte er Frank erlauben können, tatsächlich eine böse Facette zu haben – wie großartig hätte Josh Brolin das gespielt. Oder er hätte die Bittersüße in den Momenten des Zusammenseins dieser Drei einfassen können. Er übernimmt aber Henrys romantische Verklärung dieser Tage und bleibt fest in der Kleinstadtwelt, in der ein Pfirsich-Pie der einzige Weg zum Glück ist. Zweifellos geht dadurch ein altmodischer Charme von diesem Film aus. Aber nur, wer sich dieser einfachen Auffassung vom Glück anschließen kann, wird mit Labor Day zufrieden sein.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/labor-day-2013