Hannas Reise

Ein Karrieregirl im Auslandseinsatz

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Hanna ist BWL-Studentin. Der Typ Karrieregirl, der mit ausgefahrenen Ellenbogen das Beste für sich rausholen will. Sprich: Assessmentcenter Unternehmensberatung. Doof, dass sich beim Bewerbungsgespräch auch so was wie "menschliche issues" im Lebenslauf gut machen. Also kurzerhand ein paar Wochen Israel dazu erfinden. Juden sind immer gut, behinderte Juden zählen doppelt. Die Mama wird’s schon richten: Sie organisiert die Aktion Friedensdienst, 'ne gefälschte Bescheinigung dürfte kein Problem sein. Die Mama freut sich, nach über einem Jahr Hanna wiederzusehen – eine Chance, es der Tochter heimzuzahlen: gefälscht wird nicht, zack, paar Wochen nach Israel. Sie sitzt im Flieger, kommt in Tel Aviv an, der Vorspann ist zu Ende und der Zuschauer sitzt mittendrin in Hannas Abenteuer.
Schnörkellos schnell wird man in den Film hineingeworfen, und das ist gut so. Man muss die Voraussetzung akzeptieren – dass für Hanna dieses Humanismusgedöns irre wichtig ist, und dass sie tatsächlich in den Flieger steigt, obwohl in zwei Monaten ihre Abschlussprüfung stattfindet –, und kann sich dann getrost konfrontieren lassen. Konfrontieren mit Hanna, die so absolut unsympathisch ist zu Anfang, und die nun ihrerseits konfrontiert ist mit Behinderten, die Schnelligkeit, Flexibilität und Optimierungswillen nicht zu ihren Eigenschaften zählen. Konfrontiert mit einer zugemüllten Friedensdienst-WG mit irren Mitbewohnern, und konfrontiert mit Itay, dem Kollegen, der sie aufzieht mit ihrem Deutschsein, der aggressiv flirtet auf ironische Weise, die ebenso gut ablehnender Spott sein kann.

Julia von Heinz erweist sich mit diesem Film als tatsächlich bemerkenswerte Regisseurin. Denn, mal ehrlich: Das Thema ist nicht gerade prickelnd, Deutsche und Juden, im Hintergrund der Holocaust, Sühne und Wiedergutmachung, dabei die Frage, was das alles uns heute angeht und wie wir heute damit umgehen. Das wurde schon so oft behandelt; da kann kaum etwas Neues erzählt werden; das wird oft auf belehrende, abgestandene oder allzu joviale Weise behandelt; da geht es dem Zuschauer erstmal wie Hanna, die genug über die Geschichte weiß, um sich von deren ständigen penetranten Präsenz distanzieren zu wollen. Bei diesem Thema kommt es in ganz besonderer Weise darauf an, wie erzählt wird. Und dieses richtige Wie – das beherrscht Julia von Heinz.

Hanna wird als Charakter nicht verraten, ihre Erlebnisse in Israel ergeben sich auf natürliche Weise, nicht vom Willen eines Drehbuchautors aufgezwungen. Das Flirten mit Itay; die Besuche im Holocaust-Überlebendenheim; das Skypen mit dem Freund in Deutschland; das langsame Herantasten an die Behinderten, an Israel, an sich selbst – das ist fein austariert, gerade genug verdichtet, um einerseits nicht als zu lahme Selbstfindungsbetroffenheit zu firmieren, um andererseits auch nicht als komprimiertes Themenabhaken zu wirken.

Gut: Die Nebenhandlung mit der Mutter, die damals, vierzig Jahre zuvor, gegen das Elternhaus rebellierte, als sie von den Verstrickungen ihrer Eltern, Hannas Großeltern, ins Naziregime erfuhr; und die Betroffenheit von Hanna, als wiederum sie davon erfährt und im Herzen so etwas wie den Wunsch nach Sühne verspürt – das ist etwas plakativ eingeschoben. Aber allein schon, sich an solch einem kleinen Detail aufzuhalten, zeigt, wie überdurchschnittlich der Rest des Filmes ist – allein aus diesem schwächeren Handlungsstrang hätten andere zehn Filme gemacht. Sehr schön dagegen flicht von Heinz eine kleine metaphorische Motivkette in die Handlung ein mit einer der Behinderten, die ein nerviges Faible für die Uhrzeit hat – und Hanna muss erkennen, dass es nicht unbedingt helfen muss, dann auch ständig auf die Uhr zu blicken.

Und vor allem ist Hanna als Figur interessant: Aus Karrieregründen nach Israel, Egozentrismus, der sich als Nächstenliebe ausgibt – und gleichzeitig wissen wir natürlich genregemäß und wegen des Filmtitels, dass mit ihr etwas passieren wird. Dieses innere Geschehen: auch das führt von Heinz nicht mit der Brechstange aus, die Läuterung wird nicht auf Biegen und Brechen herbeigeführt: vielmehr sehen wir die ganz natürliche Erweiterung der Perspektive, wenn man etwas Neuem begegnet. Das dann Teil wird der Persönlichkeit, ohne den Charakter wirklich zu verändern. Denn klar bleibt Hanna egoistisch, auch am Ende. Sie fährt nur die Ellenbogen nicht mehr aus dabei.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/hannas-reise