Das finstere Tal (2014)

Das Unmögliche wird wahr

Eine Filmkritik von Gregor Torinus

Der deutsche bzw. deutschsprachige Genrefilm ist ein leidiges Thema, das jedem echten Genreliebhaber hierzulande Magenschmerzen bereitet. In der Regel gibt es bei den heimatlichen Genrefilmen zwei Varianten: Hinterlässt ein Film einen eher positiven Gesamteindruck, so liegt die Betonung in der Regel ausdrücklich auf dem Sachverhalt, dass er "für deutsche Verhältnisse" gelungen sei. Zumeist folgt darauf noch ein Nachsatz wie "obwohl er nur bekannte amerikanische Vorbilder kopiert". Ist ein deutscher Genrefilm dahingegen ganz offensichtlich missglückt, ist das Ergebnis oft von solch einer unterirdischen Qualität, dass man am liebsten einen Mantel des Schweigens über die ganze im höchsten Maße peinliche Angelegenheit legen möchte...

Aber nun ist das scheinbar Unmögliche doch wahr geworden: Mit der deutsch-österreichischen Koproduktion Das finstere Tal wurde soeben im Wettbewerb der Berlinale ein Genrefilm gezeigt, der auch nach internationalen Standards einfach nur großartig ist. Und da ein Wunder selten allein kommt, handelt es sich ausgerechnet auch noch um das amerikanischste aller Filmgenres, denn Das finstere Tal ist ein richtiger Western. Zwar hatten die Deutschen bereits mit dem letztjährigen Gold bewiesen, dass sie auch einen Western drehen können, wenn sie nur wirklich wollen. Doch im Gegensatz zu Gold ist Das finstere Tal kein Film über deutsche Aussiedler auf dem amerikanischen Kontinent, sondern ein Film über einen Amerikaner, der in ein winziges, abgelegenes Alpendorf kommt, in dem alle Bewohner im breitesten Dialekt reden. Der Film ist keine Kopie amerikanischer Vorbilder, sondern eine sehr originelle Synthese aus einem echten Western und aus einem deutschen Heimatfilm. Das hört sich zwar recht scheußlich an, funktioniert jedoch hervorragend und ist sogar ziemlich genial:

Völlig abgeschieden von der restlichen Zivilisation liegt im 19. Jahrhundert ein winziges Dorf versteckt in den Alpen. Eines Tages erscheint dort ein Fremder (Sam Riley), der sich Greider nennt und den Winter über in dem Ort bleiben möchte, um dort als Fotograf zu arbeiten. Doch Fremde sind in diesem geschlossenen Mikrokosmos unerwünscht und erst, als Greider einen Sack Gold hergibt, besorgen ihm die Söhne des über den Ort herrschenden Brenner-Bauern tatsächlich ein Quartier. Greider kommt im Haus der Witwe Gader und ihrer jungen Tochter Luzi (Paula Beer) unter. Luzi steht kurz davor ihre große Liebe Lukas zu heiraten, doch aus einem zunächst unerfindlichen Grund sind die beiden neben ihrer Freude zugleich voller Furcht. Überhaupt liegt eine schwer fassbare drückende Stimmung über dem gesamten Ort. Luzi rät Greider anfangs sogar wieder zu gehen, bevor es anfängt zu schneien, da er dann bis zum Ende des Winters nicht mehr dort wegkomme. Als das Dorf bald darauf tatsächlich vollkommen eingeschneit ist, kommt einer der Brenner-Söhne bei einem Unfall ums Leben. Als kurz danach auch noch ein zweiter der sechs Brüder bei der Jagd stirbt, deuten die Indizien auf einen Mord hin...

Das finstere Tal ist die Verfilmung des gleichnamigen Erfolgsromans von Thomas Willmann. Bei dieser filmischen Adaption hat der Österreicher Andreas Prochaska Regie geführt, der bereits mit seinen gelungenen Slashern In 3 Tagen bist du tot (2006) und In drei Tagen bist du tot 2 (2008) als kompetenter Genreregisseur auf sich aufmerksam machen konnte. Doch Das finstere Tal hebt Prochaskas Schaffen noch einmal auf ein ganz anderes Level. Der Film erreicht ein derartiges Niveau, dass er von seiner hohen Warte aus ganz gelassen auf alle Arten von finsteren Tälern blicken kann. Das finstere Tal zeigt eine so majestätische, wie gewaltige Naturlandschaft, in der die fast archaische Dorfgemeinschaft lebt. Eine Fotografie ist für diese Menschen "ein Spiegel mit einer Art von Gedächtnis". An diesem Ort scheint die Zeit stillzustehen und auch das Drehbuch hat keine Eile, um sein bitteres Drama zu entfalten. Der Film verzichtet fast vollständig auf plumpe Überraschungseffekte und setzt stattdessen auf eine sich mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks entwickelnde Handlung.

Neben der perfekten Verbindung von äußerst authentischen und überzeugenden Darstellern und einer so gemächlichen, wie konsequenten Narration, überzeugt Das finstere Tal auch durch seine sehr intensive Atmosphäre. Großartig sind die von dem Kameramann Thomas Kienast eingefangenen Bergpanoramen, die so einfachen, wie stilisierten Bilder von bedrohlich aufragenden kahlen Bäumen und von undurchdringlichen Schneelandschaften. Die eindringlichen Bilder gewinnen zusätzlich weiter an Intensität durch die pompös-düstere-bedrohliche Musik von Matthias Weber. Diese finstere Stimmung erinnert mehr an nihilistische Spaghetti-Western, als an typisch amerikanische Vertreter dieses uramerikanischen Genres. Die durch Ruhe und Gemächlichkeit erzeugte Spannungssteigerung überträgt das Prinzip der berühmten Anfangssequenz von Sergio Leones Meisterwerk Spiel mir das Lied vom Tod (1968), in der eine Gruppe von Killern an einem Bahnhof auf das Eintreffen des Zuges wartet, auf den gesamten Film.

Das finstere Tal kopiert weder den selbstgerechten Moralismus des klassischen amerikanischen Western, noch den Nihilismus des Western italienischer Prägung, sondern schafft etwas ganz Eigenes. Hier geht es weder um den Einzug der Zivilisation in eine zuvor unzivilisierte und deshalb wilde Gegend, noch um die reine Affirmation der Unmoral. Stattdessen zeigt Das finstere Tal eine aufgrund von Angst und Passivität als natürlich hingenommene krankhafte Ordnung und den unmoralischen Weg diese zu beenden um eine neue, weit natürlichere Ordnung, herzustellen. Der Film illustriert das am Ende explizit angesprochene Paradoxon der aus Angst hingenommenen Unterdrückung aus Angst vor der eigenen Freiheit. Zugleich verzichtet Das finstere Tal darauf, das Gezeigte aus einer wie auch immer gearteten tieferen Sicht der Dinge heraus begründen zu müssen. Man kann die Philosophie des Films deshalb ebenso gut zu dem bekannten Macho-Spruch verkürzen, dass ein Mann einfach tut, was ein Mann zu tun hat. Gerade dadurch wird Das finstere Tal zu reinem Genre. Aber egal wie man es wendet, am Ende steht in jedem Fall ein großartiger Monolith von einem Film.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/das-finstere-tal-2014