Diplomatie (2014)

Wortgefecht um die Rettung von Paris

Eine Filmkritik von Gregor Torinus

Wäre es nach Adolf Hitlers Willen gegangen, wäre Paris komplett zerstört worden. Dabei war der deutsche Diktator 1940 bei seinem Besuch der besetzten französischen Hauptstadt derart von der Schönheit der Seine-Metropole begeistert, dass er seinen Lieblingsarchitekten Albert Speer beauftragte, Berlin nach Pariser Vorbild auszubauen. Doch nach der Zerstörung Berlins und angesichts des Vormarsches der Alliierten auf die französische Hauptstadt erließ Hitler 1944 den Befehl "Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen." Hitler war sich vermutlich sicher, dass dieser Befehl ordnungsgemäß ausgeführt wird. Denn nach dem fehlgeschlagenen Attentat vom 20. Juli 1944, das von Offizieren der Wehrmacht ausgeführt wurde, hatte er Dietrich von Choltitz - einer der wenigen Generäle, denen er noch vertraute - zum Stadtkommandanten von Paris ernannt. Dass es trotzdem nicht zur Zerstörung von Paris kam, ist bekannt. Nicht bekannt sind dahingegen die genauen Gründe, die den bis dahin stets linientreuen General erstmalig einen Befehl verweigern ließen. In Diplomatie erzählt Volker Schlöndorff eine fiktive Version dieses entscheidenden geschichtlichen Moments:

Es ist die Nacht vom 24. auf den 25. August 1944, die letzte Nacht der Besatzung von Paris. Der von Hitler ernannte Pariser Stadtkommandant General von Choltitz (Niels Arestrup) kann nicht schlafen. Um vier Uhr morgens steht er auf und stellt sich auf den Balkon seiner Luxussuite im Hotel Meurice um einen Kaffee zu trinken und eine Zigarette zu rauchen. Die Alliierten stehen bereits vor den Toren der Stadt und alles ist vorbereitet, um Paris zu sprengen: Die Seine-Brücken, Notre-Dame, der Louvre, Sacré-Coeur, der Place de la Concorde und der Eiffelturm sind komplett vermint. Sobald von Choltitz den Befehl geben wird, wird das Paris, wie man es kannte, mit einem Schlag komplett zerstört und werden Hunderttausende Pariser Zivilisten in den Tod geschickt. Doch plötzlich steht ein zweiter Mann im Zimmer des Generals. Es handelt sich um Raoul Nordling (André Dussollier), den schwedischen Generalkonsul der Stadt. Nordling hat sich über einen alten Geheimgang und eine Tapetentür Zugang zu diesem einstigen Zimmer der Geliebten von Napoleon III verschafft. Mit allen Mitteln der Diplomatie versucht der zurückhaltende, aber entschlossene Nordling den General von der Zerstörung seiner geliebten Heimatstadt abzubringen. Doch von Choltitz kommt aus einer traditionsreichen Familie hochrangiger Militärs und hat in seiner gesamten Laufbahn noch nie einen Befehl verweigert...

Das Kriegsdrama Diplomatie basiert auf einem Theaterstück von Cyril Gely, der den Stoff gemeinsam mit Volker Schlöndorff für die große Leinwand adaptiert hat. Bereits in dem Bühnenstück spielten André Dussollier und Niels Arestrup die beiden Hauptrollen. Trotzdem macht Schlöndorff diese Geschichte ganz zu seiner eigenen. Der deutsche Regisseur ist hierfür absolut prädestiniert. Fast möchte man von einem Schicksals-Stoff sprechen. Der in Wiesbaden geborene Schlöndorff ging bereits als Kind nach Frankreich, machte in Paris sein Abitur und begann seine Filmkarriere als Assistent französischer Meister-Regisseure wie Louis Malle, Jean-Pierre Melville und Alain Resnais. Nach eigener Aussage kennt Schlöndorff Paris besser als jeder Taxifahrer. Das mag vielleicht ein wenig übertrieben sein, zeigt jedoch seine unbedingte Liebe zu dieser Stadt. Aufgrund seiner persönlichen Geschichte dürfte die Figur des in Paris aufgewachsenen Schweden Raoul Nordling für Volker Schlöndorff ein besonderes Identifikationspotential bergen. Der äußerst zurückhaltende, aber zugleich mit einem messerscharfen Verstand ausgestattete Diplomat ist auch eindeutig die Identifikationsfigur des Films, die von André Dussollier auf ganz hervorragende Weise gespielt wird. Weit weniger sympathisch, aber keineswegs weniger interessant ist die Persönlichkeit des Generals Dietrich von Choltitz, die Niels Arestrup auf fast beängstigend glaubhafte Weise verkörpert.

Diplomatie überzeugt aufgrund des großartigen Zusammenspiels dieser zwei schauspielerischen Schwergewichte. Volker Schlöndorff hat den Film als ein weitestgehend klassisches Kammerspiel angelegt, das von seinen in geschliffenen Dialogen dargebotenen Wortgefechten lebt. Diese sind so spannend, dass die wenigen an Nebenschauplätzen gezeigten körperlichen Kämpfe auch tatsächlich nebensächlich bleiben. Die gesamte Handlung konzentriert sich auf den Dreiklang von Choltitz, Nordling und Paris. Die bedrohte Hauptstadt erwacht im Voranschreiten der Verhandlung um sein zukünftiges Fortbestehen vom nächtlichen Dämmerschlaf immer mehr zum Leben und zeigt sich gegen Ende in seiner ganzen glanzvollen Pracht. Mag Volker Schlöndorff als Regisseur auch ähnlich zurückhaltend agieren, wie Raoul Nordling im Film, so weiß der deutsche Regisseur zugleich ebenso genau wie der schwedische Generalkonsul, was er tut: Jeder Bildausschnitt, jede Kamerafahrt und jeder Schnitt sitzen perfekt und unterstützen unauffällig, aber effektiv die durchdachte Dramaturgie. Das Ergebnis ist klassische Kinokunst in höchster Vollendung.

Umso unglaublicher ist es, dass dieses filmische Meisterwerk auf der diesjährigen Berlinale nur in der Nebensektion "Berlinale Special" gezeigt wurde, während George Clooneys tumber Action-Klamauk Monuments Men – wenn auch außer Konkurrenz - im offiziellen Wettbewerb lief. In beiden Filmen geht es um geschichtlich belegte Kuriosa während des Zweiten Weltkrieges im Zusammenhang mit der Rettung wichtiger Kulturgüter. Dass die Festivalleitung eines der drei angesehensten Filmfestivals der Welt sich jedoch lieber US-Promis und Filmmüll ins Hauptprogramm holt, als einen der besten deutschen Regisseure mit seinem makellosen neuen Meisterwerk, zeigt, weshalb die Berlinale innerhalb der drei wichtigsten Festivals als das qualitative Schlusslicht gilt.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/diplomatie-2014