Die Frau hinter der Wand (2013)

I'm crazy, but you like it

Spätestens seit Roman Polanskis Mieter-Trilogie weiß man, dass großstädtische Mietshäuser eine Brutstätte des Irrsinns sein können: Ob Catherine Deneuve als Carol (in Ekel), Mia Farrow als Rosemarie (in Rosemaries Baby) oder Polanski selbst als Trelkovsky (in Der Mieter) – sie alle fanden in ihren Appartements kein Glück, sondern erlebten dort veritable Albträume. Dass auch der Wohnungsbezug des Protagonisten aus Grzegorz Muskalas Die Frau hinter der Wand den Beginn einer Reise ins Abseitig-Finstere markiert, ist daher wenig überraschend. Weit überraschender ist indes, wie viel bizarren Witz der Regisseur und Ko-Autor aus dieser Reise zu schlagen weiß – und welch wilde Leidenschaft sich dabei Bahn bricht.

Martin (Vincent Redetzki) kommt aus der Provinz nach Berlin, um Jura zu studieren. Er haust in seinem Auto, da er keine Wohnung findet – bis er auf recht obskure Weise von einem Hausmeister (Ronald Nitschke) angesprochen wird. Wiewohl die Wohnung, die der Mann ihm anbietet, in einem desaströsen Zustand ist und Martin überdies erfahren muss, dass der Vormieter einfach spurlos verschwand, zieht Martin kurzerhand in die schäbige Bude ein. Seine Vermieterin Simone (Katharina Heyer), die nebenan lebt, tritt zunächst nicht persönlich in Erscheinung – Martin kann sie allerdings durch die dünnen Wände hören und sie von einem Fenster aus beobachten. Als die beiden sich schließlich in Simones Wohnung treffen, ist dies der Auftakt eines erotischen Verhältnisses. Die verführerische Frau ist jedoch auch mit dem aggressiven Pianisten Sebastian (Florian Panzner) liiert und gibt dem Studenten so manches Rätsel auf. Martin entwickelt eine Obsession für Simone; dennoch regt sich bei ihm zunehmend der Zweifel: Haben Simone und/oder Sebastian womöglich etwas mit dem plötzlichen Verschwinden seines Vormieters zu tun?

Falls sich obiger Absatz wie die Inhaltsangabe eines 08/15-Psychothrillers liest, könnte dies daran liegen, dass sich Grzegorz Muskala und Robert Dannenberg für ihr Drehbuch sehr gründlich im Figuren- und Motivinventar des Genres umgesehen haben. Doch was aus den zahlreichen Versatzstücken letztlich entstanden ist, ist alles andere als ein Schema-F-Werk: Die TV-Produktion kommt als immens unterhaltsamer Film mit bitterbösem Humor und einer hervorragenden atmosphärischen Kraft daher. Bildzitate (Shining!) werden elegant eingeflochten – und vieles erinnert an Polanski und Alfred Hitchcock beziehungsweise an die spielerischen Hitchcock-Variationen von Brian De Palma. Die Geschichte wird als Mix aus schwarzer Komödie, Amour fou und wüster Crime-Story mit blutigem Finale erzählt und mit einer gehörigen Portion Stil inszeniert. Die eigenartig verwinkelten Wohnungen des Hauses werden nur selten verlassen – gleichwohl wirkt das Geschehen weniger beklemmend als zum Beispiel die genannten Polanski-Arbeiten.

In den Liebesszenen zwischen Martin und Simone wird eine surreale Sinnlichkeit erzeugt – etwa wenn die beiden auf einem gemeinsamen Rauschgifttrip sind. Das im besten Sinne Seltsame an Die Frau hinter der Wand ist, dass man Sympathie für die Figuren dieses Films empfindet, obwohl sie fraglos alle ein bisschen "drüber" (das heißt: ziemlich verschroben und zum Teil auch völlig verrückt) sind. Vincent Redetzki gibt den streberhaft-verklemmt anmutenden Underdog-Helden überaus (tragi-)komisch – und Katharina Heyer ist als blondes Enigma wahrlich eine Wucht: Wie sich das begehrte "girl next door" als potenzielle Femme fatale entbirgt und Heyer dies in einer Mischung aus Verruchtheit und Verletzlichkeit darbietet, ist spannend und lustig zugleich. Die beiden Schauspieler haben eine stimmige Chemie – was sie zum glanzvollen Zentrum eines gelungenen, sehenswerten Langfilmdebüts macht.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-frau-hinter-der-wand-2013