Spirit Berlin (2014)

Von der Gefahr, sich in der Selbstfindung zu verlieren

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Berlin gilt als Hochburg des Künstler- und Hipstertums. Doch wie ist es um die spirituelle Seite der deutschen Hauptstadt bestellt? Kordula Hildebrandt nimmt diese in ihrem Dokumentarfilm Spirit Berlin in den Blick – wobei ihr die Sinnsuche eines jungen Mannes als dramaturgisches Gerüst dient.

Stephan Ziller kam einst aus der fränkischen Provinz nach Berlin, um hier als Schauspieler zu arbeiten. Der Wunsch nach Selbsterfahrung veranlasst ihn nun dazu, den spirituellen Angeboten in seiner Umgebung nachzuspüren. Er geht – unter anderem – zum Shōtōkan-Karate-Training und zum Yoga-Kurs, sucht einen Ashram, einen Krishna-Tempel sowie ein Sufi-Zentrum auf, nimmt zudem noch an einem Taizé-Gebet teil, trifft ein Körpermedium zur medialen Beratung, lässt sogenannte "heilsame Klänge" auf sich wirken und befasst sich mit der "inneren Stille". Oft kommt Stephan dabei mit den Leuten aus den unterschiedlichen Bereichen der spirituellen Szene ins Gespräch und lernt dadurch diverse Glaubens-, Lebens- und Liebesformen kennen. Aber wird ihm all das letztlich dabei helfen, seinen individuellen Weg zu finden?

Die Beobachtungen, die Spirit Berlin vornimmt, sind von Wohlwollen bestimmt. Es geht Hildebrandt nicht so sehr ums Hinterfragen – und (erfreulicherweise) auch absolut nicht darum, die Vertreter und Anhänger des Spirituellen ins Lächerliche zu ziehen. Zwar sind einige Erlebnisse von Stephan durchaus erheiternd für den Zuschauer; dennoch lassen sich ernsthaftes Interesse sowie tiefer Respekt stets erkennen. In den Unterhaltungen – welche noch um Talking-Heads-Aufnahmen von spirituellen Akteuren ergänzt werden – werden die verschiedenen Methoden und Ansichten zumeist recht vordergründig vermittelt; man sollte diese Passagen wohl eher als Anregung, weniger als Auseinandersetzung begreifen. Sehr deutlich wird indes aufgezeigt, dass man durch die Nutzung zahlreicher spiritueller Angebote nicht zwangsläufig zur großen (Selbst-)Erkenntnis gelangt. So droht Stephans intensives Workshop-Programm in Stress auszuarten und ins Nichts zu führen.

Der Protagonist des Dokumentarwerks erinnert in seiner Mischung aus Liebenswürdigkeit und "weirdness" ein bisschen an den US-Indie-Star Paul Dano. Seine sympathische Erscheinung sorgt dabei für zusätzlichen Unterhaltungswert; überdies trägt die Reise des jungen Mannes auch romantische Früchte. Denn als Stephan der Yoga-Lehrerin (und Schauspielerin) Simone Geißler begegnet, verliebt er sich in diese. Die Liebesanbahnung des Paares hat eine gewisse RomCom-Anmutung. Die erste Begegnung ist märchenhaft-musikalisch ausgestaltet; es folgen zaghafte Gesten sowie gemeinsames Dancen in der Barfuß-Disco – und schließlich die Durchführung eines Rituals im Tantra-Institut, aber auch eine mögliche Krise. Die Kamera von Daniel Goede findet für diese Stationen schöne Bilder. Hildebrandt gelingt somit zweierlei: zum einen ein einfühlsam-inspirierender Einblick in die Welt des Spirituellen, zum anderen die Verwandlung des Lebens in eine sehr nette, alternative filmische Love Story.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/spirit-berlin-2014