Die Verachtung (1963)

Hinter den Kulissen von Cinecittà

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Filme übers Filmemachen. Kino, das vom Kino erzählt. Viele Regisseur:innen kommen früher oder später an den Punkt, an dem sie sich mit ihren eigenen Vorstellungen von Kinematografie, zwischen Kunst und Kommerz, Leidenschaft und Arbeit, Freud und Leid, auseinandersetzen. Neben Federico FellinisAchteinhalb“ (1963), Rainer Werner Fassbinders „Warnung vor einer heiligen Nutte“ (1971), François Truffauts „Die amerikanische Nacht“ (1973), Woody Allens „Stardust Memories“ (1980), Wim Wenders’ „Der Stand der Dinge“ (1982) und Robert Altmans „The Player“ (1992) zählt Jean-Luc Godards „Die Verachtung“ aus dem Jahre 1963 gewiss zu den prägendsten Vertretern dieser Film-im-Film-Werke.

Interessant ist, wie unterschiedlich solche audiovisuellen Essays letztlich ausfallen können. Während etwa Fellini im selben Jahr wie Godard sehr radikal vorging und Truffaut wiederum eine Dekade später einen eher hymnisch-verträumten Ansatz wählte, setzte Godard in erster Linie auf das Mittel der philosophischen Reflexion. Der 1930 geborene und 2022 verstorbene (Mit-)Begründer der Nouvelle Vague, der Klassiker wie Außer Atem (1960) und Elf Uhr nachts (1965) schuf, lieferte einen weiteren Film, der sowohl pessimistisch als auch wunderschön, zugleich tragisch und äußerst humorvoll ist.

Zum einen geht es in Die Verachtung um eine Ehekrise. Die junge Camille (Brigitte Bardot) empfindet für ihren Gatten, den Drehbuchautor Paul (Michel Piccoli), nur noch das, was dem Film seinen pointierten Titel gibt: die pure Verachtung. Das hat zum anderen mit dem zweiten großen Sujet des Werks zu tun: den schwierigen Produktionsumständen eines aufwendigen Kinodrehs. Paul wird von dem US-Produzenten Jeremy Prokosch (Jack Palance) engagiert, um das Skript zu einem Projekt über die Irrfahrten des Odysseus umzuarbeiten, das der Regie-Veteran Fritz Lang (der sich selbst spielt) gerade in Cinecittà zu realisieren versucht. Lang will anspruchsvolle Kunst schaffen; Prokosch legt indessen mehr Wert auf nackte Haut – und macht zudem Camille eindeutige Avancen, was Paul zu ignorieren scheint.

Die Verachtung ist allein schon aufgrund seiner ausgeklügelten Farbdramaturgie ein Ereignis. Hinzu kommt die prominente Besetzung, in der die französischen Schauspiel-Stars Michel Piccoli und Brigitte Bardot auf den in Wien geborenen und in Deutschland rasch zur Ikone gewordenen Meister Fritz Lang treffen, der sich nach seiner Emigration in Hollywood etablieren konnte. Mit Jack Palance ist darüber hinaus ein prägnantes Gesicht aus der Studioära mit an Bord, das sich dank Schurkenrollen in Werken wie Maskierte Herzen (1952) oder Mein großer Freund Shane (1953) perfekt eignet, um das geldgierige, kunstfeindliche Business zu verkörpern. Reales Vorbild für den Part des mächtigen (und Macht missbrauchenden) Prokosch war Joseph E. Levine, der zu den Produzenten von Die Verachtung gehört.

Diese Meta-Ebene macht sich in vielen Facetten des Plots und der Umsetzung bemerkbar. So wurde angeblich auch Godard darum gebeten, eine Nacktszene mit Bardot einzubauen. Wie der Regisseur, die Schauspielerin und der Kameramann Raoul Coutard dieser Forderung mit Farbfilter-Aufnahmen nachkamen, ist hingegen weder billig noch aufgesetzt, sondern ziemlich raffiniert. Gleiches gilt für den ebenfalls von Produktionsseite verlangten Einsatz des Cinemascope-Verfahrens: In den breiten Bildern fängt Godard die Kluft zwischen Paul und Camille treffend ein. Dass er dabei wohl auch von seiner eigenen Ehe mit der Schauspielerin Anna Karina erzählt, ist naheliegend – und wird durch einige visuelle Hinweise, etwa eine schwarze Perücke und ein Plakat von Die Geschichte der Nana S. (1962) im Bildhintergrund, noch verdeutlicht.

Von der originellen Eröffnungssequenz, in der Godard die Namen von Cast und Crew via Voice-Over vorträgt, während ein Filmteam bei der Arbeit gezeigt wird, bis zum bitteren Schluss ist Die Verachtung auch heute, 60 Jahre später, noch eine absolut einnehmende Erfahrung.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-verachtung-1963