Wild Tales - Jeder dreht mal durch! (2014)

Zum Totlachen oder: Schöner Sterben in Argentinien

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ist es eine Reaktion auf die Dauerkrise in Argentinien? Sind es die Rachefantasien verunsicherter Bürger gegen die Eliten des Landes oder humoristisch-utopistische Panoramen des sich abzeichnenden Kampfes von "denen da unten" gegen "die da oben"? Ganz sicher kann man sich bei Damian Szifrons anarchisch-heiterem und dabei bitterbösen Episodenfilm Wild Tales nicht sein. Gewiss ist aber eines: Dieser Film hat das Zeug dazu, auch in den deutschen Kinos für eine faustdicke Überraschung zu sorgen.

Sechsmal entfesselt der Regisseur in seinen Miniaturen den argentinischen Kleinbürger und lässt ihn Amok laufen gegen die Unbilden der Welt, des Systems oder der eigenen Vergangenheit. Das beginnt bereits in der sehenswerten Episode, die hier den Auftakt bildet. In dieser dämmert es einer scheinbar bunt zusammengewürfelten Gesellschaft an Bord einer Verkehrsmaschine, dass sie alle eines verbindet: Jeder von ihnen hat in der Vergangenheit einem Mann entsetzlich Unrecht getan oder ihm großes Leid zugefügt – und stets ist es der gleiche Name, der da fällt. Dumm nur, dass genau dieser Mann am Steuerknüppel der Maschine sitzt, in der sie alle gerade sitzen.

In ähnlichem Stil und mit nahezu gleicher Zielrichtung sind auch die anderen fünf Episoden aufgebaut. Immer ist es die spiralförmige Chronik einer Eskalation, stets wird hier ein kleiner Mann zum Wutbürger par excellence, der mit aller Konsequenz den rechten Weg verlässt und sich auf den Pfad der Rache begibt. Mal sorgt ein Sprengmeister, der sich über ein Abschleppunternehmen geärgert hat, für (Un)Ordnung, dann nimmt eine Bedienung Rache an einem späten Restaurantgast, in dem sie einen Menschenschinder aus ihrer Vergangenheit erkannt hat, dann wieder läuft eine Hochzeitsgesellschaft vollkommen aus dem Ruder. Außerdem geraten auf einer einsamen Landstraße ein Yuppie und ein Bauer aneinander und dann ist da noch die Geschichte einer Fahrerflucht und ihrer Folgen.

Was Szifron in seinem von den Almodovar-Brüdern produzierten Film versammelt hat, sind aber nicht nur rein private Geschichten von Menschen, die durchdrehen, seine Miniaturen erzählen stets auch etwas über den Zustand des Landes. In ihnen schimmert eine Menge Frust über die Machteliten und die sozialen Schranken durch, über hinterhältige Politiker, die alltägliche Korruption, den alltäglichen Wahnsinn eines entfesselten Kapitalismus, gegen den der sogenannte "kleine Mann" sich nicht anders zur Wehr zu setzen weiß als mit purer, ungezügelter Gewalt. Es sind Menschen wie Herman Melvilles Schreiber Bartleby, die sich eines Tages den Mechanismen des zivilisierten Umgangs miteinander verweigern, doch statt wie jener in Untätigkeit und Lethargie zu verfallen, greifen sie ähnlich wie Michael Douglas in Joel Schumachers Falling Down zu den buchstäblich letzten Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.

Wild Tales ist ein Feuerwerk des schwarzen Humors. Wer Roald Dahls Killekille-Geschichten mag, wird seine helle Freude an diesem Knallbonbon der derberen Sorte haben – das dürfte aber auch für alle anderen Zuschauer gelten. Zumindest dann, wenn für diese die Pointen auch mal ein wenig weh tun dürfen. Begünstigt durch die episodische Struktur des Films – man ist fast geneigt zu sagen "der Filmkompilation" - kommt keine Sekunde Langeweile auf, im Gegensatz zu vielen Omnibusprojekten, bei denen verschiedene Regisseure je einen Kurzfilm beisteuern, gibt es hier kaum ein Segment, das qualitativ gegen die anderen abfällt. Vielleicht ist das sogar das einzige "Problem" des Films, sofern man dies so bezeichnen kann: Die Versammlung so vieler Pointen und in sich abgeschlossener Geschichten ist bei aller Leichtigkeit auch ein wenig anstrengend – vielleicht ist der leichte Erschöpfungszustand, mit dem man aus diesem Film taumelt, aber auch einfach nur ein schlichter Lachmuskelkater.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/wild-tales-jeder-dreht-mal-durch-2014