Cinderella (2015)

Intelligente Neufassung

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Ein weiterer Cinderella-Film: Dinge, die die Welt nicht braucht, möchte man meinen. Aber dem ist so nicht. Dieser Film war lange überfällig. Das wusste bisher nur keiner. Regisseur Kenneth Branagh, eigentlich bekannt für seine Shakespeare-Verfilmungen, nimmt sich des Klassikers mit viel Liebe an und schmiedet aus ihm eine intelligente und modernisierte Version, die der alten Geschichte um Cinderella (Aschenbrödel) neues Leben einhaucht und sie ihrem eigentlichen Sinn wieder näher bringt. Denn die Fabel des jungen Mädchens wird schon seit Jahrhunderten erzählt, ihre älteste Version datiert bis ins erste Jahrhundert zur ägyptischen Erzählung Rhodopis zurück, die von dem griechischen Historiker Strabo stammt.

In Branaghs Cinderella ist es die junge Ella (Lily James), die nach dem frühen Tod ihrer Mutter mit ihrem liebevollen Vater allein zurückbleibt. Mut und Güte soll sie stets in sich tragen, gab ihr die sterbende Mutter mit auf den Weg. Als der Vater aus Güte die soeben verwitwete Lady Tremaine (Cate Blanchett) heiratet und diese und ihre zwei Töchter Anastasia (Holliday Grainger) und Drisella (Sophie McShera) einziehen, beherzigt Ella den Rat ihrer Mutter und versucht den Neuankömmlingen so gut zu helfen, wie es geht. Auch wenn sich diese ihr gegenüber herzlos und gemein verhalten. Als auch noch ihr Vater unerwartet stirbt, ist Ella schutzlos der Eifersucht und den Grausamkeiten ihrer neuen Familie ausgeliefert. Sie wird bald zu einer einfachen Dienerin degradiert und von allen hämisch "Cinderella" genannt - alles scheint für Ella verloren. Wäre da nicht die Erinnerung an ihre Mutter, die Ella Mut und neue Hoffnung gibt. Als sie eines Tages in den Wäldern einem gut aussehenden Fremden (Richard Madden) begegnet, scheint Ella endlich einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Sie hält den charmanten Mann für einen Bediensteten im königlichen Palast, nichtsahnend, dass er in Wirklichkeit der Prinz selbst ist. Als der Hof alle jungen Frauen des Landes zu einem großen Ball einlädt, sieht Ella die Gelegenheit gekommen, ihn wiederzusehen. Mit Hilfe einer guten Fee (Helena Bonham Carter) macht sie sich auf, um ihr Leben ein für alle Mal zu ändern.

Branagh kennt sich gut aus mit klassischen Stoffen und Kostümdramen. Und so ist Cinderella auch visuell und musikalisch ein rauschendes Fest. Pompös möchte man es nennen, so bunt, und quietschvergnügt. Den Disney-Kitsch, der die Geschichte durch seine famose animierte Verfilmung aus den 1950er Jahren in diese Richtung stark geprägt hat, nimmt Branagh wieder auf: Das berühmte blaue Kleid und das Lied aus dem Disney-Original treten hier wieder auf. Und auch ansonsten hat sich der Regisseur bei der Ausstattung nicht im Geringsten gezügelt. An einigen Stellen trieft es vor Kitsch und auch die klassischen Prinzessinnen-Posen und -Momente (sich im neuen Kleid drehen und die Arme nach oben strecken etc.) sind alle mit dabei. Aber das ist kalkulierte Absicht. Branagh zollt nicht nur den Vorgängern Respekt. Vielmehr stellt er diese Momente aus, die das Märchen erst zum Märchen machen. Die Ernsthaftigkeit dieser Darstellung hat einen spannenden Doppeleffekt. Zum einen erinnert sie an Filme aus der Kindheit, zum anderen reflektiert Branagh hier auch den Sinn von Märchen und Fabeln.

Das klingt alles recht klassisch und ja, Branagh verhält sich sehr respektvoll seinem Ausgangsmaterial gegenüber. Das Märchen bleibt im Kern gleich. Doch es sind die Feinheiten, die diese Cinderella-Verfilmung zu einer großartigen Neuinterpretation machen: Zuerst einmal schließt Branagh die kausalen Lücken. Warum heiratet der Vater so eine schlimme Frau? Aus Güte, um sie vor Schulden und Ausgrenzung zu retten. Wieso bleibt Cinderella freiwillig als Dienstmagd bei ihrer Stiefmutter und packt nicht ihre Sachen und geht? Weil das Haus, in dem sie leben, seit 200 Jahren im Besitz ihrer Familie ist und sie sich ihren toten Eltern gegenüber verpflichtet fühlt, es zu bewachen und bewahren. Doch nicht nur das, der Film verlagert die magischen Anteile in realere Formen. Die Tiere um Cinderella herum sind nicht mehr kleine Helferlein, die tatsächlich auf sie hören und eingreifen. Vielmehr leben sie auf dem Hof als Tiere, die eine Zuneigung zu dem Mädchen hegen, da diese sie gut behandelt. Lediglich die kleine Mäusebande darf ein wenig Disney-Magie behalten, dient aber vor allem als Gag-Lieferant. Es ist so viel einfacher, sich auf magische Fähigkeiten zu stützen. Aber diese Cinderella ist eher die Heldin der Arbeiterklasse. Sie ist weder blaublütig, noch machen die Vögelchen ihr Bett. Nein, selbst ist die Frau - und das in jeglicher Hinsicht. Auch das mit dem Prinz macht sie allein. Nur einmal greift eine Fee (hinreißend komisch: Helena Bonham Carter) ein, aber lediglich, um ein wenig auszuhelfen.

Auch die Stiefmutter ist keine eindimensionale, immerzu böse Frau. Cate Blanchetts Version ist überraschend vielschichtig. Sie ist die Witwe, die ihren ersten Mann liebte, die weiß, dass ihre Töchter wenig Chancen haben und die alles versucht, um deren Zukunft zu sichern. Sie ist aber auch die Frau, die Schulden hat und sich über Wasser halten muss und die Frau, die im Angesicht eines so schönen, jungen Mädchens tagtäglich zu spüren bekommt, dass sie alt wird und ihre Attraktivität schwindet. Und schwindende Attraktivität in diesem patriarchalen Königreich heißt für eine Frau nichts Gutes.

Diese kleinen, aber wichtigen Änderungen in den Kausalitäten und Beweggründen transportieren den alten Stoff mit Lichtgeschwindigkeit in die Jetzt-Zeit. Ein cleverer Schachzug, denn so gewinnt er plötzlich wieder an Zugkraft und Aktualität. Das ist nicht mehr das arme Mädchen mit dem Glasschuh, nein, diese Cinderella erzählt von Existenzängsten im Kapitalismus, von Geschlechterhierarchien und -konstellationen in einer patriarchalen Gesellschaft, von Zielstrebigkeit, Ehrgefühl und Emanzipation durch das Selbstständigwerden der Hauptfigur.

Und witzig ist es noch dazu, denn Cinderella kommentiert an vielen Stellen sich selbst und die Absurdität mancher Märchen-Phrasen. Höhepunkt und gern gesehener running gag ist vor allem der hochhackige Glasschuh, der immer wieder als "total bequem" angepriesen wird - ganz so, wie die Modeindustrie manche Monsterfußbekleidung immer wieder als angenehm anzupreisen sucht.

(Festivalkritik Berlinale 2015 von Beatrice Behn)

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/cinderella-2015