Im Labyrinth des Schweigens

Die Mörder sind unter uns

Eine Filmkritik von Laurenz Werter

Es gab eine Zeit, da wusste in Deutschland kaum jemand etwas mit dem Begriff "Auschwitz" anzufangen. Bis in die frühen 1960er Jahre hinein wollte die junge Bundesrepublik die Sünden der Vergangenheit am liebsten vergessen, aber mit dem so genannten "Auschwitz-Prozess", der Ende 1963 begann, konnte das System des Schweigens nicht mehr aufrechterhalten werden.
Ein Journalist wendet sich an die Staatsanwaltschaft Frankfurt, da er einen SS-Mann identifiziert hat, der in Auschwitz Dienst tat und nun als Lehrer arbeitet. Doch keiner der gestandenen Staatsanwälte will davon etwas wissen, nur der junge Johann Radmann (exzellent: Alexander Fehling) geht der Sache auf den Grund. Auch ihm ist nicht bewusst, was in Auschwitz wirklich geschah, doch je tiefer er in die Materie eintaucht, desto bewusster wird ihm, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfahren muss. Aber wo anfangen, wo aufhören, sind es doch fast 8.000 Verdächtige, gegen die er nun ermitteln muss – und das gegen den Widerstand zahlreicher deutscher Behörden.

Um den Prozess selbst geht es in dem Film nicht, er beginnt erst, wenn der Film endet. Wichtiger ist der Weg, der dorthin führte, da Radmann exemplarisch für eine Generation steht, die nicht hinterfragte, was die Eltern im Krieg getan haben, die es auch nicht wissen wollte oder das eigene Gewissen beruhigte, indem man sich einredete, die eigenen Vorfahren hätten zu den wenigen Anständigen im Land gehört. Was sowohl Radmann als auch dem Zuschauer im Verlauf des Films bewusst werden muss, ist die Tatsache, dass es nicht um die Zuteilung von Schuld oder Unschuld geht, sondern dass dieser Prozess alleine einem Zweck dient: Den Opfern eine Stimme zu geben. Nur damit konnte die Wahrheit Fuß fassen und ein Ort emblematisch für die Gräuel eines Regimes werden.

Bei der Dramatisierung der wahren Geschichte nimmt sich der Film Freiheiten. Er verdichtet die zwei realen Staatsanwälte zu einer einzigen Figur und gibt dieser auch ein Privatleben, das mit der Haupthandlung nur wenig zu tun hat, aber für eine Emotionalisierung der Geschichte sorgt. Bemerkenswert am Umgang mit dem Realen, ist die Selbstsicherheit des Films, der sich nicht in der Schilderung des Grauens ergeht, sondern diese allein durch die Reaktionen der Menschen, die sie hören müssen, bildhaft werden lässt. Im Labyrinth des Schweigens hat dabei den Vorteil, dass der Zuschauer anders als die Figuren im Film nur zu gut damit vertraut ist, wofür Auschwitz steht.

Einen Schwerpunkt in Radmanns Ermittlungen legt der Film auf dessen Obsession, den Todesengel, Dr. Josef Mengele, festzunehmen. Dies ist ein fiktives Element der Handlung, illustriert aber anhand des wohl bekanntesten Beispiels, wie schwer es in jener Zeit war, gegen Nazi-Kriegsverbrecher vorzugehen, deren Aufenthalts teilweise bekannt war, die aber den Schutz alter Seilschaften genossen, die nach dem Niedergang des Dritten Reichs in der Bundesrepublik entweder ihre Karrieren fortsetzten oder aber Karriere machten.

Die Dramatisierung der Geschichte ist verschmerzbar, schließlich war der Ansatz nie, einen Dokumentarfilm zu machen. Mit Hilfe dieser Elemente wird der Zuschauer jedoch stärker in die Geschichte hineingezogen und mit der Frage konfrontiert, die seit jeher bei diesem Thema mitschwingt und auch Radmann sich selbst stellt: Was hätte ich damals getan? Die Antwort ist weder leicht noch schön, zeigt der Film doch auch auf, dass die Täter eben nicht mehrheitlich Sadisten oder Psychopathen, sondern ganz normale Menschen aus der Mitte der Gesellschaft waren.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/im-labyrinth-des-schweigens