Underdog (2014)

Ein Hundeleben

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Der große Robert Bresson betonte einmal die Bedeutung von Hunden im Kino. Sie würden immer als erstes bemerken, wenn etwas nicht stimmt. Mit einem Hund könne man Dinge erzählen, die in Menschen vorgehen, ohne dass diese es selbst wahrnehmen würden. Wenn man an die eindrücklichen Schlussminuten und den Gewaltakt seines letzten Films Das Geld / L'argent (1983) denkt, versteht man was der französische Filmemacher damit meinte. Was er damit sicher nicht meinte, ist die Art und Weise, in der Kornél Mundruczó in seinem "Un Certain Regard"-Gewinner White God Hunde filmt. Der ungarische Regisseur entfaltet ein wildes Pathos-Gebell, indem er seinen vierbeinigen Protagonisten Hagen als über-emotionales Opfer hinstellt, das sich in einen kaltblütigen Rachekiller verwandelt. Dabei versagt der Film sowohl in Bezug zu seiner parabelhaften Sozialkritik als auch auf filmisch-emotionaler Ebene. Gleichzeitig stellt White God aber auch eine andere Frage: Jene nach der Bedeutung von Originalität im Kino.

Erzählt wird die Geschichte von der jungen Lili und ihrem Hund Hagen der laut Abspann von zwei Hunden gespielt wurde. Lili muss eine Zeit bei ihrem Vater leben. Dieser mag keine Hunde und nachdem Hagen auch noch eine Orchesterprobe von Lili stört, wird der arme Hund ausgesetzt. Ab diesem Zeitpunkt verfolgen wir in Parallelmontagen Lilis Suche nach dem Hund und vor allem Hagens Überlebenskampf und seine gefährlichen Begegnungen mit bedrohlichen Menschen. Später wird Hagen zu einem mordenden Rächer. Gemeinsam mit hunderten Hunden hinterlässt er eine Blutspur in der Stadt und es stellt sich die Frage, ob und wie er Lili begegnen wird.

Zu den Stärken des Films zählt zunächst seine Anfangssequenz. In einer schlicht überwältigenden Stimmung fährt das junge Mädchen in Zeitlupe durch eine völlig verlassene Stadt. In präzisen und atmosphärischen Bildern fängt Mundruczó eine endzeitliche Poesie ein, der dann ein Sahnehäubchen verpasst wird, als tatsächlich hunderte Hunde hinter dem Mädchen rennen. Wie oft im Film fragt man sich: Wie hat der Regisseur das gemacht? So sind die Szenen mit Hagen und anderen Hunden nicht nur choreographisch äußerst spannend inszeniert sondern funktionieren (wenn man das überhaupt sagen kann) schauspieltechnisch. Der Hund leistet sich keinen falschen Blick, keine falsche Bewegung. White God zeigt Szenen mit Hunden, die man eigentlich nur in Animationsfilmen erwarten würde. So versucht Hagen einmal, eine befahrene Straße zu überqueren. Die Kamera verfolgt das Geschehen aus der Ferne. Der Hund geht immer einen Schritt vor und einen zurück und das Ganze wirkt unheimlich direkt und ja, man sollte es nicht schreiben, echt.

Diese Vermischung aus einer Walt Disney Dramaturgie (man erinnert sich an Cap und Capper unter anderem) und einer realistischen Handkamera - Form macht eine Faszination des Films aus. Die Tatsache, dass er sich in der Folge fast in einen Racheslasher verwandelt und sowieso daherkommt wie eine Hundeversion von Gladiator, lässt den Film aufgrund seiner wilden Mischung tatsächlich originell erscheinen. Aber ist Originalität alleine ausreichend? Es ist klar, dass Filmkritiker und Menschen, die sich sehr viele Filme ansehen, immer eine gewisse Schwächen für Filme haben, die mal etwas anderes machen, die einen gewissermaßen aus dem Sitz locken. Nur ist im Fall von White God die Originalität neben dem handwerklichen Können eine isolierte Freude.

Zum einen ist da der Widerspruch zwischen der evozierten Hundeliebe und mordenden Hunden. Nicht, dass das ein großes Problem an sich wäre, aber ein Film, der ohne jegliche Subtilität auf die Niedlichkeit und Schutzlosigkeit seiner "Protagonisten" hinweist, indem er sich in der ersten Hälfte des Films immer ganz besonders herzzerreißende Momente mit Hagen nimmt, um diesen dann in eine bewusste Tötungsmaschine zu verwandeln, ist in höchstem Maße manipulativ und nimmt weder sein Publikum noch seine Geschichte ernst. Das Ganze wird gesteigert von der missglückten Sozialparabel, die hinter all dem steckt. Häufig wird darauf hingewiesen, dass Hagen kein reinrassiger Hund sei. Die Menschen gehen auch deshalb nicht gut mit ihm um. Aber wenn man sich dann dafür entscheidet, dass die Antwort auf diesen Rassismus ein brutaler Rachefeldzug ist, dann hat das weder historische, noch utopische, noch gegenwärtige Relevanz. Dann ist das nur ein Show-Off. Schaut man sich zum Beispiel die Rachefantasien eines Quentin Tarantino an, dann findet man dort - trotz aller politischen Schwammigkeiten - deutlich vielschichtiger Auseinandersetzungen mit der Parabelhaftigkeit einer Unterdrückung und der Rache.

Der Show-Off Charakter wird von einem Pathos unterstützt, den man eigentlich aus dem künstlerischen Kino verschwunden wähnte. Fast jede Einstellung versucht dem Zuseher ein Gefühl aufzuzwängen, die Figuren werden nur benutzt, um eine Emotion zu erzeugen. Die meisten Charaktere definieren sich trotz eines extrem sorgfältigen Kostüm- und Maskenbilds und durchaus ansprechenden Schauspielleistungen auf die Frage: Mögen sie Hunde oder nicht. Dabei ist jeder von ihnen überzeichnet, eindimensional und unglaubwürdig. Warum, ja warum mag eigentlich niemand Hunde? In Kombination mit dem formellen Realismus führt dieser Weg in die Bedeutungslosigkeit. Im Überschwang einer Regiearbeit, der jegliches Gefühl in einem Sturm aus dicken Bildern verlorenging, versucht sich Mundruczó mit der Musik von Franz Liszt zu retten. Dies gelingt ihm manchmal - wie in der Eröffnungssequenz - virtuos und manchmal kann man kaum glauben, wie dreist hier große Musik missbraucht wird, um eine möglichst epische Szene zu ermöglichen, wo eigentlich nichts ist.

Die Frustration über soziale Ungerechtigkeit, die in der Musik anklingt, fehlt dem Film, weil er immerzu eine Fantasie in der Tradition von Spielbergs Amerika bleibt. Damit wird er seinem sozialkritischen Anspruch nicht annähernd gerecht. Aber auch als Fantasie funktioniert White God nicht, denn dazu fehlt die Perspektive. Weder sind wir hier in der Welt der Hunde, noch des Kindes. Wie spätestens die letzte Einstellung zeigt, haben wir eine göttliche Perspektive auf das Geschehen. Und diese ist je nach dem Glauben distanziert, emphatisch oder nicht da. Aber sie ist sicherlich nicht fantastisch. Und damit wird vielleicht auch klar, dass die Originalität von White God weder ein Verständnis für Figuren noch für Raum oder Zeit hat. Es ist eine aufgesetzte Originalität. Man kann sie womöglich kurz genießen und dann verliert sie jeglichen Sinn. Aber vielleicht ist es mit White Dog nur wie mit dem hässlichen Köter im Park heute Morgen: Er will ja nur spielen.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/underdog-2014